Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

6 PROGNOSE

6.1 Einführung

Für die geplante Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe an die Containerschiffahrt als Ausbaumaßnahme an einer Bundeswasserstraße kommt das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zur Anwendung. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt frühzeitig zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten.

Die Beschreibung und Bewertung dieser Auswirkungen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) erfolgt in zwei Abschnitten: Der Beschreibung und Bewertung des Ist-Zustandes des betroffenen Gebietes folgt die Prognose, welche den durch das Vorhaben (sowie u.U. seine Varianten) veränderten Zustand des betroffenen Gebietes nach der Maßnahme und außerdem den zukünftigen Zustand des Gebietes ohne die Maßnahme (Null-Variante) beschreibt.

Nach Abschluß der UVU muß festgestellt werden, ob es sich bei den prognostizierten Veränderungen um Auswirkungen im Sinne der gesetzlichen Umweltanforderungen handelt.

Für die Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens auf Flora und Fauna liefert das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) die entsprechenden allgemeinen Bewertungsmaßstäbe: Eingriffe in die Natur im Sinne des BNatSchG sind z. B. Veränderungen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können. Den Kommentaren zu §2 UVPG ist zu entnehmen, daß es für die Ermittlung und Beschreibung der Projektfolgen zunächst nicht darauf ankommt, ob es sich bei den betroffenen Tieren und Pflanzen um besonders geschützte Arten handelt.

Rechtlich konzentriert sich die Betrachtung der Auswirkungen eines Vorhabens auf die Fragen: "Was ist erheblich?" und "Was ist nachhaltig?", da juristisch eine Ausgleichspflicht durch den Vorhabenträgers nur dann besteht, wenn der Eingriff in den Naturhaushalt erhebliche oder nachhaltige Folgen hat.

Bei dem Begriff der "Erheblichkeit" handelt es sich zunächst um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Er dient lediglich dazu, entscheidungserhebliche Auswirkungen von entscheidungsunerheblichen Bagatellfällen zu trennen. Für das weitere Vorgehen ist es daher notwendig, soweit möglich, diese Baggatellschwelle zu definieren. Mit dem Begriff der "Nachhaltigkeit" soll beschrieben werden, ob die Auswirkungen eines Vorhabens lediglich kurzfristig zu erkennen sind, oder die Umwelt langfristig bzw. sogar dauerhaft beeinflussen. Auch hier ist es im Einzelfall nötig, eine Schwelle für die Nachhaltigkeit festzulegen. Es bleibt zu berücksichtigen, daß im BNatSchG beide Begriffe für die Bewertung eines Eingriffs in bezug auf seine Ausgleichspflichtigkeit voneinander unabhängig gehandhabt werden.

Der Gesetzgeber gibt für die Bewertung der Ausgleichbarkeit eines Eingriffs in Natur und Landschaft lediglich relativ allgemein formulierte Hinweise (Verwaltungsvorschrift zum UVPG). Als nicht ausgleichbarer Eingriff gilt eine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung der Funktionen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes. Dies kann z. B. durch Verlust oder Minderung von Lebensraumfunktionen für wildlebende Pflanzen und Tiere geschehen. Für eine Bewertung der Auswirkungen von Vorhaben auf Fließgewässer im speziellen bieten die o.g. Verwaltungsvorschriften außer dem Saprobien-Index und dem BSB5 keine biologischen Bewertungskriterien an. Diese müssen daher von den Fachgutachtern für die jeweils betrachteten Lebensgemeinschaften neu beschrieben und angewendet werden.

Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen zu unterlassen, oder, falls sie tatsächlich unvermeidbar sind, diese durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen. Diese werden im vorliegenden Fall in einem landschaftspflegerischen Begleitplan beschrieben. Im Zusammenhang mit diesen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind Biotope, die Teillebensraum oder Trittsteine für Tiere und Pflanzen der Roten Listen darstellen, sowie sonstige naturraumtypische (repräsentative), seltene oder gefährdete Biotope besonders hervorgehoben.

Im Rahmen des vorliegenden Materialbandes zu den aquatischen Lebensgemeinschaften war zunächst geplant, die Prognose vor dem Hintergrund der Bewertung des Ist-Zustandes vorzunehmen. Zu diesem Zweck wäre der Zustand der Tideelbe nach der Fahrrinnenanpassung anhand der für die Beschreibung des Ist-Zustandes aufgestellten Kriterien bewertet worden. Eine Wertstufenverschlechterung eines Untersuchungsabschnittes hätte folgerichtig zur Ermittlung erheblicher bzw. nachhaltiger Beeinträchtigungen der aquatischen Lebensgemeinschaften geführt, eineVorgehensweise, wie sie u.a. von der BfG praktiziert wird, allerdings keinen allgemeingültigen Standard darstellt.

Es stellte sich jedoch heraus, daß die meisten aufgestellten Kriterien zwar in der Lage sind, einen Untersuchungsabschnitt im Ist-Zustand überschlägig zu beschreiben und zu bewerten, sie aber nicht in der Lage sind, kleinräumige Unterschiede innerhalb eines Untersuchungsabschnittes zu erfassen. Diese Vereinfachung war jedoch nötig, da eine differenziertere Bewertung den Rahmen der vorliegenden UVU gesprengt hätte, zumal dann auch ein entsprechend differenzierteres Leitbild hätte entworfen werden müssen (an einem Leitbild für die Elbe arbeitet z.B. eine Kommission der IKSE seit mehreren Jahren).

Ein Bewertung des Ausbau-Zustandes anhand der o.g. Kriterien wird also nicht vorgenommen, da die prognostizierten Veränderungen der hydrografischen, morphologischen und aller davon abhängigen Parameter relativ gering und oft nur lokal und zeitlich begrenzt wirksam sind. Diese Veränderungen können in keinem Fall zur Abwertung eines ganzen Untersuchungsabschnittes führen. Die im Ist-Zustand durchgeführte Form der Bewertung eignet sich also schon aufgrund der Größe der betrachteten Raumeinheiten (Untersuchungsabschnitte) nicht für die Erfassung zweifelsohne vorhandener Beeinträchtigungen der aquatischen Lebensgemeinschaften.

Die vollständige Beschreibung der Bedeutung der Fahrrinnenanpassung für aquatische Tiere und Pflanzen erfordert eine Untergliederung der Auswirkungen von direkt und indirekt wirkenden Faktoren:

Für "Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe", die ungeachtet der Wortwahl faktisch eine Vertiefungsmaßnahme ist, wird die Fahrrinne von Karten-Null (KN) -13,5 m auf maximal KN -15,3 m bzw. im Minimum auf KN - 14,4 m ausgebaggert (jeweils plus maximal 0,5 m Vorratsmaß), d. h. die Sohle wird an den jeweiligen Stellen um 0,9 bis 1,8 m tiefer gesetzt. Entsprechend der zukünftigen Sohltiefeneinstellung wird hierfür Sediment entnommen und an Land verbracht, in Seitenbereichen eingebaut oder im Strom verklappt. Baggerungen wirken sich zunächst auf die bodenlebenden Organismen der Fahrrinne aus, da sie direkt in deren Lebensraum eingreifen. Von den Verklappungen ist zunächst die Bodenfauna direkt betroffen, die anderen aquatischen Lebensgemeinschaften nur dann, wenn durch die Verklappung aquatischer Lebensraum verloren geht. Im Zusammenhang mit den direkt wirkenden Faktoren ergeben sich erhebliche und z.T. auch nachhaltige Beeinträchtigungen der aquatischen Lebensgemeinschaften.

Diesen direkten Auswirkungen der Baumaßnahme stehen die indirekten Auswirkungen von Baggerung und Verklappung, veränderter Gewässermorphologie sowie aller davon abhängigen Parameter gegenüber. Ausbaubedingte Veränderungen der Strömungs- und Salzgehaltsverhältnisse, sowie des Lichtklimas und des Schwebstoffgehaltes haben Konsequenzen für die Lebensgemeinschaften. Durch Veränderungen des Tidenhubes können sich Ausdehnung von Watt- und Flachwasserbereichen verändern.

Bei der Folgenabschätzung geringer Veränderungen, wie sie z.B. im Gutachten zur Tidedynamik (MATERIALBAND I) prognostiziert werden, besteht die grundsätzliche Schwierigkeit, daß die hydrodynamischen und chemischen Parameter in einem Ästuar von Natur aus eine außerordentlich hohe Variabilität aufweisen. Gleiches gilt für die populationsdynamischen Größen der Lebensgemeinschaften. Diese systemeigene Variabilität der abiotischen und biotischen Parameter macht eine Trennung zwischen natürlichen und ausbaubedingten Auswirkungen schwierig. Für die Auswirkung aller Parameter, die in ihrer Veränderung zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen führen, die aber dennoch nicht übersehen werden dürfen, wird im Rahmen der vorliegenden Prognose der Begriff Risiko eingeführt.

Wenn in bestimmten Fällen mehrere dieser Risikofaktoren in dem selben ökologisch bedeutsamen Gebiet wirksam werden oder ein bestimmter Risikofaktor über seine Wirkung auf viele Glieder des Nahrungsnetzes an Bedeutung gewinnt, wird darauf hingewiesen, daß in der Summe der Auswirkungen die Erheblichkeitsschwelle dennoch überschritten werden kann.