Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

5.2.6 Fische

5.2.6.1 Artniveau

Eine Bewertung der Fische auf dem Artniveau wird durch einen Vergleich zwischen historischem und aktuellem Arteninventar vorgenommen. In Tabelle 5.2.6.1 sind die ehemals in der Tideelbe vorkommenden Fischarten und ihre regionale Verbreitung aufgelistet. Die Aufstellung der Arten basiert auf Literaturangaben der ARGE ELBE (1995, s. Tab. 4 frühere Arten bis ~ 1900) und von PETERMEIER & SCHÖLL (1994, s. Tab. 6.6 Arten bis 1920). Die ausgewertete Literatur ist bei den jeweiligen Autoren näher angegeben. Es ist zu berücksichtigen, daß die früheste aussagekräftige fischereiliche Studie (VON DEM BORNE, 1877 zit. in PETERMEIER & SCHÖLL, 1994) erstellt wurde, als die Elbe bereits stark anthropogen verändert war. Zur Beurteilung der historischen Verbreitung der Fische in der Tideelbe wird die Arbeit von DIERCKING & WEHRMANN (1991) hinzugezogen. Bei der abschnittsweisen Einordnung der Arten werden außerdem ihre ökologischen Ansprüche mitberücksichtigt.

In die Bewertung gehen nur limnische und euryhaline Arten ein. Marine Fischarten, die im Hypopotamal der Elbe entlang des steigenden Salzgradienten vorkommen, werden in der Bewertung nicht berücksichtigt. Über ihre historische Verbreitung sind den Arbeiten der ARGE ELBE (1995) von PETERMEIER & SCHÖLL (1994) keine Angaben zu entnehmen. Untersuchungsabschnitt VII (km (A) 727 bis 756) wird nicht in die Bewertung einbezogen, da über dieses Gebiet aus den oben genannten Arbeiten keine Informationen zu erhalten sind (sie beschreiben lediglich den Bereich von Stromkilometer km (A) 586 bis 727). Für die Funktion als Reproduktionsgebiet liefern die verwendeten Literaturquellen (siehe Kap. 5.2.6.2) ebenfalls keine Angaben. Somit entfallen mehrere wichtige Kriterien zur Bewertung der Fische. Aus diesem Grund wird UA VII ganz aus der Bewertung herausgenommen.

Tab. 5.2.6.1: Liste der charakteristischen Fischarten und ihrer regionalen Verbreitung

Art   UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
    polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
Kaulbarsch **
(Gymnocephalus cernuus)
L *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Stint * *
(Osmerus eperlanus)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Flunder **
(Pleuronectes flesus)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Aal **
(Anguilla anguilla)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Dreistachliger Stichling
(Gasterosteus aculeatus)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Finte **
(Alosa fallax)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
 
Zander
(Stizostedion lucioperca)
L * * *
+
*
+
*
+
*
+
Brassen
(Abramis brama)
L * * *
+
*
+
*
+
*
+
Rapfen
(Aspius aspius)
L * * *
+
*
+
*
+
*
+
Art   UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
    polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
Plötze
(Rutilius rutilus)
L * * *
+
*
+
*
+
*
+
Güster **
(Blicca bjoekna)
L * * *
+
*
+
*
+
*
+
Flußbarsch
(Perca fluviatilis)
L   * *
+
*
+
*
+
*
+
Aland
(Leuciscus idus)
W, L * * * *
+
*
+
*
+
Flußneunauge **
(Lampetra fluviatilis)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Meerforelle
(Salmo trutta)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
* *
Strandgrundel
(Potamoschistus microps)
E *
+
*
+
*
+
*
+
   
Neunstachliger Stichling
(Pungitius pungitius)
L * * * *
+
*
+
+
Zope
(Abramis ballerus)
L     * *
+
*
+
*
+
Karpfen
(Cyprinus carpio)
L * * * *
+
*
+
+
Meerneunauge
(Petromyzon marinus)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
*
+
Lachs **
(Salmo salar)
W, E *
+
*
+
*
+
*
+
*
+
+
Schleie
(Tinca tinca)
L           *
+
Hecht **
(Esox lucius)
L     * + *
+
*
+
Karausche
(Carassius carassius)
L         *
+
 
Döbel
(Leuciscus cephalus)
L           *
+
Steinbeißer
(Cobitis taenia)
L         + +
Quappe **
(Lota lota)
W, L   + + + *
+
+
Gründling
(Gobio gobio)
L         + *
+
Barbe
(Barbus barbus)
W, L       + + +
Ukelei
(Alburnus alburnus)
W, L     *
+
*
+
*
+
*
+
Schlammpeitzger
(Misgurnus fossilis)
L   + + + +  
Zährte **
(Vimba vimba)
W, L + + + + + +
Wels
(Silurus glanis)
L       + + +
Stör **
(Acipenser sturio)
W, E + + + + + +
Maifisch
(Alosa alosa)
W, E + + + + + +
Nordseeschnäpel **
(Coregonus oxyrhynchus)
W, E + + + + + +
Groppe
(Cottus gobio)
L       + + +

Summen gemäß Tab. 5.2.6.1

  UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
  polyhalin mesohalin oligohalin   limnisch  
Kategorie I Gesamtartenzahl historisch 15 17 24 32 33 32
Kategorie II Gesamtartenzahl aktuell 18 19 22 22 23 21
Kategorie III historische Anzahl häufig aufgetretener Arten 10 11 12 13 13 12
Kategorie IV aktuelle Anzahl historisch häufig aufgetretener Arten 6 6 7 7 9 7
Kategorie V Verlust [%] historischer Wanderfischarten 39 % 43 % 40 % 41 % 38 % 50 %

Legende zu Tab. 5.2.6.1:

+: historisches Vorkommen nach ARGE ELBE (1995), PETERMEIER & SCHÖLL(1994) und DIERCKING & WEHRMANN (1991)
*: aktuelles Vorkommen nach ARGE ELBE (1995), THIEL (1994 a) und THIEL et al. (1995b)
**: nach VON DEM BORNE (1877, zit. in PETERMEIER & SCHÖLL, 1994) historisch häufig
fett: nach THIEL (s. Kap. 2.6.3, Tab. 2.6.3.1) aktuell häufig
L: limnische Art, E: euryhaline Art, W: Wanderfischart (nach PETERMEIER & SCHÖLL, 1994)

Alle Angaben über das heutige Vorkommen der Fischarten und ihre Verbreitung in der Tideelbe beruhen auf den Arbeiten von ARGE ELBE (1995) und THIEL (1994a). Die Untersuchungen von THIEL beziehen sich auf die Untersuchungsabschnitte UA III bis UA VI, die der ARGE ELBE decken den Bereich UA I bis UA VI ab. Es gilt zu berücksichtigen, daß es sich bei den Fischen um mobile Organismen handelt, deren Verteilung in der Elbe von verschiedenen Umweltparametern abhängt (vgl. Kap. 2.6.3.2). Die Zuordnung der einzelnen Fischarten zu den Untersuchungsabschnitten wurde anhand der Kilometerangaben oder Ortsangaben in der ausgewerteten Literatur vorgenommen. In der obigen Tabelle sind bis auf die selten oder als Einzelfänge auftretenden Arten alle limnischen und euryhalinen Fische der gegenwärtigen Fischgemeinschaft der Tideelbe enthalten (vgl. Tab. 2.6.3.1). Die Bedeutung mariner Fischarten, deren Verbreitungsgebiet im wesentlichen in den Untersuchungsabschnitten V bis VII liegt und die aus oben genannten Gründen nicht berücksichtigt wurden, wird in Kap. 2.6.3 näher beschrieben.

Angaben über die früher häufig auftretenden Arten sind der Arbeit von VON DEM BORNE (1877; zit. in PETERMEIER & SCHÖLL, 1994) entnommen. Die bei VON DEM BORNE als Maifisch bezeichnete Art entspricht der Finte (Alosa fallax). Der frühere "Elbelachs" gilt als ausgestorben. Bei den aktuellen Lachsnachweisen handelt es sich um Wiedereinbürgerungsversuche elbefremder Stämme (ARGE ELBE, 1995), die deshalb in der Kategorie IV (Aktuelle Anzahl historisch häufig aufgetretener Arten) nicht berücksichtigt werden.

Die Bewertungsskala für das Artniveau (Tab. 5.2.6.2) gilt für die Untersuchungsabschnitte I bis VI. Das Arteninventar wird über drei Kategorien bewertet. Kategorie II beschreibt die heutige Artenzahl der Fische in Relation zur historischen. Kategorie IV berücksichtigt, welche der früher häufigen Arten auch heute noch angetroffen werden. Kategorie V wird eingeführt, um ebenso wie Kategorie IV Verschiebungen im aktuellen Artenspektrum gegenüber dem historischen deutlich zu machen (ARGE ELBE, 1995 und PETERMEIER & SCHÖLL, 1994). Diese Verschiebungen lassen sich am Verlust von Wanderfischarten besonders gut erkennen.

Das Vorkommen schutzbedürftiger Arten wertet die Untersuchungsabschnitte auf. Es werden jedoch nur sehr hohe und hohe Wertigkeit vergeben, da das Fehlen von Rote-Liste-Arten nicht zu einer Abwertung führen darf (vgl. Kap. 5.2.5). Die Einordnung der Fische in die Kategorien der Roten Liste wurde entsprechend Tab. 3.6.1.1 vorgenommen.

Tab. 5.2.6.2: Bewertungsskala Artniveau Fische

Bewertungskriterium sehr hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
2. Artniveau          
Arteninventar Das Arteninventar entspricht dem historischen (vgl. Tab. 5.2.6.1)
II. ³ 100 % von I.
IV. = 100 % von III. und
V. £ 10 %
Das Arteninventar entspricht weitgehend dem historischen (vgl. Tab. 5.2.6.1)
II. ³ 75 % von I.
IV. ³ 75 % von
III. und
V. £ 25 %
Das Arteninventar entspricht nur teilweise dem historischen (vgl. Tab. 5.2.6.1)
II. ³ 50 % von I.
IV. ³ 50 % von
III. und
V. £ 40 %
Das Arteninventar entspricht kaum noch dem historischen (vgl. Tab. 2.6.1)
II. ³ 25 % vonI.
IV. ³ 25 % von III. und
V. £ 55 %
Das Arteninventar entspricht nicht dem historischen
(vgl. Tab. 2.6.1)
II. £ 25 % von I.
IV. £ 25 % von III.
und
V. > 55 %
Vorkommen schutzbedürftiger Arten Rote Liste Arten (Kategorie 1 und 2) sind vorhanden Rote Liste Arten (Kategorie 3 und 4) sind vorhanden      
  = Wertstufe nicht vergeben

RLA 1: vom Aussterben bedroht; RLA 2: stark gefährdet; RLA 3: gefährdet;
RLA 4:potentiell gefährdet

Die Bewertung der einzelnen Untersuchungsabschnitte ergibt sich aus den Daten in Tab. 5.2.6.3.

Tab. 5.2.6.3: Anteilige Verteilung der Arten

  UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
  polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
2. Artniveau            
Arteninventar            
Kategorie II Gesamtartenzahl aktuell (in % von Kat. I Gesamtartenzahl historisch) > 100 % > 100 % 92 % 69 % 70 % 66 %
Kategorie IV aktuelle Anzahl historisch häufiger Arten (in % von Kat.III historische Anzahl häufiger Arten) 60 % 55 % 58 % 54 % 69 % 58 %
Kategorie V Verlust historischer Wanderfischarten 39 % 43 % 40 % 41 % 38 % 50 %
Vorkommen schutzbedürftiger ArtenRLA Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden Kategorie 1 und 2 sowie 3 und 4 vorhanden

Die Ergebnisse der Bewertung auf dem Artniveau zeigt Tab. 5.2.6.4. Die Untersuchungsabschnitte UA V und VI weisen heute mehr Arten als früher auf und erhalten für ihr Artenreichtum sehr hohe Wertigkeit; der UA IV eine hohe Wertigkeit. Alle anderen Untersuchungsabschnitte erreichten mittlere Wertigkeit. Die Untersuchungsabschnitte weisen alle noch mindestens 50 % der früher häufigen Arten auf (= mittlere Wertigkeit). Der Verlust der Wanderfischarten ist in den Abschnitten UA I, III und V am größten und bewirkt dadurch die Einstufung dieser Untersuchungsabschnitte in die geringe Wertigkeit.

Bezüglich der schutzbedürftigen Arten wird für alle UA sehr hohe Wertigkeit vergeben, da in jedem Abschnitt Rote Liste Arten der Kategorie 1 oder 2 vorkommen.

Tab. 5.2.6.4: Bewertung Artniveau Fische

  UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Halinitätszone polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
2. Artniveau            
Arteninventar            
Kategorie II Gesamtartenzahl aktuell (in % von Kat. I Gesamtartenzahl historisch) sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Kategorie IV aktuelle Antahl historisch häufiger Arten (in % von Kat.III historische Anzahl häufiger Arten) mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Kategorie V Verlust historischer Wanderfischarten mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit
Vorkommen schutzbedürftiger Arten sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

 

5.2.6.2 Ökologische Funktion

In der Kriteriengruppe ökologische Funktion werden die Kriterien Reproduktion, Ernährung, Rückzugsgebiet, Vernetzung bewertet (vgl. Tab. 5.2.6.5). Die Wiederherstellbarkeit der Biozönose geht nicht in die Bewertung ein.

Reproduktion

Die Tideelbe erfüllt unter dem Gesichtspunkt der Reproduktion unterschiedliche Funktionen als Laich- und Aufwuchsgebiet für die verschiedenen Fischarten. So stellt sie wichtige Aufwuchsgebiete für marine und euryhaline Arten zur Verfügung, deren Laichgebiete sich aber außerhalb der Tideelbe befinden. Ein Beispiel hierfür ist die Flunder (Pleuronectes flesus), deren Hauptlaichgebiete sich in der Nordsee befinden. Einige Wanderfischarten durchschwimmen die Tideelbe während ihres Aufstieges in ihre Laichgebiete, wie z.B. das Flußneunauge (Lampetra fluviatilis), das in den Nebengewässern des Hauptstromes laicht (DIERCKING & WEHRMANN, 1991). Andere Arten wiederum haben ihre Hauptlaichgebiete direkt in der Elbe, wie z.B. der Stint (Osmerus eperlanus) und die Finte (Alosa fallax).

Die bisherigen Ausbaumaßnahmen in der Tideelbe haben, bei einer zunehmenden Vertiefung der Fahrrinne, Flachwasserbereiche in Form von Uferbänken, die als Laich- und Weideplätze für Fische von hoher Bedeutung sind, mehr und mehr verschwinden lassen (NELLEN, 1992). Der Bau der Staustufe Geesthacht und von Sperrwerken in vielen Nebenbereichen des Hauptstromes hat durch die Unterbindung von Fischwanderwegen zu schwerwiegenden Veränderungen des Lebensraumes geführt. So kann z.B. die Barbe (Barbus barbus) nicht mehr aus Gebieten oberhalb der Staustufe in die Unterelbe wandern.

Durch den fortschreitenden Ausbau der Elbe kam es zu einem allmählichen Rückgang potentieller Laich- und Aufwuchsbiotope (Überschwemmungsgebiete, Altarme, Buchten, litorale Pflanzengürtel etc.), was sich nachteilig auf die Reproduktion der Fische, wie z.B. die der Zährte (Vimba vimba), auswirkte. Neben anderen Ursachen haben auch verschlechterte Umweltbedingungen in den Laichgebieten (z.B. Verschlammung) oder sogar der Verlust von Laichplätzen mit dazu beigetragen, daß einige der früheren Arten heute nicht mehr angetroffen werden (z.B. Stör (Acipenser sturio); vgl. NELLEN, 1992).

Bei einigen Fischarten wie z.B. dem Meerneunauge (Petromyzon marinus) ist die genau Lage ihrer Laichgebiete in der Elbe unbekannt. Daher wird unter dem Kriterium Reproduktion bewertet, wie viele allgemein als Laich- und Aufwuchsgebiete bekannte Gebiete der betreffende Untersuchungsabschnitt aufweist. Sofern Laichgebiete speziell von einzelnen Arten der Fischgemeinschaft bekannt sind, werden sie mitberücksichtigt. Angaben hierüber stammen im wesentlichen aus den Arbeiten der ARGE ELBE (1984) und von DIERCKING & WEHRMANN (1991) sowie aus dem Kap. 2.6.3.3. Es wird also nur die Reproduktion der aktuellen Fischgemeinschaft bewertet.

Ernährung

Das relativ hohe Nahrungsangebot von Flußästuaren wie der Tideelbe bietet gute Aufwuchsbedingungen für juvenile marine Fische. Die wichtigsten Nahrungskomponenten von zehn dominanten Fischarten werden in Kap. 3.6.3 beschrieben. Da die Elbe im Vergleich zu anderen europäischen Ästuaren eine hohe Fischproduktion hat, kann zunächst davon ausgegangen werden, daß die Nahrungsbedingungen für die Fische gut sind. Nach FIEDLER (1991) bietet das reichhaltige Angebot an Zoobenthos und Zooplankton in der Unterelbe sowohl den adulten wie den juvenilen Elbfischen optimale Ernährungsbedingungen. Dies betrifft besonders den oligohalinen/limnischen Bereich, in dem ausgedehnte Nebenelben, Süßwasserwatten und zahlreiche Buchten zu hoher Nährtierproduktion beitragen. Es werden nur sehr hohe, mittlere und sehr geringe Wertigkeit definiert, da eine Differenzierung in fünf Wertstufen nicht sinnvoll erscheint.

Rückzugsgebiet

Flachwasserbereiche, strömungsberuhigte Bereiche, Nebenelben und Nebenflüsse stellen Rückzugsgebiete für die Fische dar. Nach ARGE ELBE (1984) liegt der Sauerstoffgehalt in den Nebenelben während der Sommermonate meist deutlich höher als in der Hauptelbe. So können die Fische bei Sauerstoffmangelsituationen aufgrund mikrobieller Abbauprozesse im Hauptstrom in die sauerstoffreicheren Nebenflüsse und Nebenelben ausweichen. Das Kriterium bewertet das Vorhandensein der o.g. Rückzugsgebiete im Untersuchungsabschnitt. Sehr hohe und sehr geringe Wertigkeit werden nicht definiert.

Vernetzung

Da Fische mobile Organismen sind, welche aktiv Gebiete bevorzugter Lebensbedingungen aufsuchen können, existieren für sie zunächst keine Grenzen zwischen den einzelnen Untersuchungsabschnitten. Eine Ausnahme bildet der UA I, der durch das Wehr Geesthacht nach oben begrenzt wird. Das Kriterium Vernetzung steht aber in engem Zusammenhang mit dem Kriterium Rückzugsgebiete. Die Nebenelben und Nebenflüsse stellen wie oben beschrieben solche Rückzugsgebiete für die Fische dar. Die Nebenflüsse haben vor allem Bedeutung für den Erhalt von Restpopulationen heute gefährdeter Arten, da sie zum Teil für einige Arten bessere Fortpflanzungsmöglichkeiten bieten als die Elbe selbst (ARGE ELBE, 1984). Sie können also einen Wiederbesiedlungspool darstellen, aus dem Fische, sollten sich die Bedingungen im Hauptstrom verbessern, wieder in die Elbe einwandern. Es werden sehr hohe, mittlere und sehr geringe Wertigkeit definiert, da eine verbale Differenzierung in fünf Wertstufen nicht sinnvoll erscheint.

Tab. 5.2.6.5: Bewertungsskala ökologische Funktion Fische

Bewertungskriterium sehr hohe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
3. Ökologische
Funktion
         
Funktion als Reproduktionsgebiet Im Untersuchungsabschnitt sind viele Laich-und Aufwuchsgebiete vorhanden. Er bietet allen potentiell dort laichenden Fischarten Fortpflanzungsmöglichkeiten Im Untersuchungsabschnitt sind viele Laich-und Aufwuchsgebiete vorhanden. Er bietet für viele Fischarten Fortpflanzungsmög-lichkeiten Im Untersuchungsabschnitt sind Laich- und Aufwuchsgebiete vorhanden
Er bietet einigen Fischarten Fortpflanzungsmög-lichkeiten
Im Untersuchungsabschnitt sind wenig Laich- und Aufwuchsgebiete vorhanden.
Er bietet nur wenigen Fischarten Fortpflanzungs-möglichkeiten
Im Untersuchungsabschnitt sind keine Laich- und Aufwuchsgebiete vorhanden.
Er bietet den Fischarten keine Fortpflanzungs-möglichkeiten
Funktion für die Ernährung der Biozönose Der Untersuchungsabschnitt bietet den Fischen ein reichhaltiges, vielseitiges Nahrungsangebot
z. B. Plankton, Detritus, Benthos, Garnelen und Fische
  Der Untersuchungsabschnitt bietet den Fischen ein mittleres Nahrungsangebot   Der Untersuchungsabschnitt bietet den Fischen ein geringes Nahrungsangebot
Funktion als Rückzugsgebiet   Teile des Untersuchungsabschnittes stellen Rückzugsgebiete für die Fische dar (Flachwasserbereiche, strömungs-ärmere Zonen, Nebenflüsse) Rückzugsgebiete für Fische sind im Untersuchungsabschnitt nur eingeschränkt vorhanden Im Untersuchungsabschnitt existieren kaum Rückzugsgebiete für Fische  
Vernetzungen innerhalb des Biotops Im Untersuchungsabschnitt besteht ein hohes Austauschpoten-tial. Viele Nebenelben und Nebenflüsse sind vorhanden   Im Untersuchungsabschnitt besteht ein mittleres Austauschpotential. Mehrere Nebenelben und /oder Nebenflüsse sind vorhanden   Im Untersuchungsabschnitt besteht ein niedriges Austausch-potential. Wenige Nebenelben und/oder Nebenflüsse sind vorhanden
  = Wertstufe nicht vergeben

 

Sehr hohe Wertigkeit für das Kriterium Reproduktion kann nicht erreicht werden, da sich heute mehrere Arten nicht mehr in der Elbe reproduzieren können. Die Ergebnisse der Bewertung der ökologischen Funktion zeigt Tab. 5.2.6.6. Die Untersuchungsabschnitte I, II und VI erhalten mittlere Wertigkeit. Abschnitt I enthält einige Laich- und Aufwuchsbiotope (ARGE ELBE, 1984). So erstreckt sich das Laichgebiet des Stintes (Osmerus eperlanus) bis zur Ilmenau-Mündung (SEPÚLVEDA et al., 1993). In Abschnitt II sind die Hafenbecken und kleine Häfen sowie die Uferzonen zwischen Bunthausspitze und Harburger Elbbrücken (inkl. Heuckenlock) (ARGE ELBE, 1984) als Laichgebiete beschrieben. In Untersuchungsabschnitt VI sind die im Bereiche Neufelder Watt, Neufelder Rinne und Medemgrund wichtig für die Fortpflanzung. In der Ostemündung befinden sich wichtige Aufwuchsgebiete der marinen und euryhalinen Arten (THIEL, 1994b). In Abschnitt V sind nur wenige Gebiete beschrieben, in denen Elbfische laichen, er erhält daher geringe Wertigkeit. Die Untersuchungsabschnitte III und IV erhalten für das Kriterium Reproduktion hohe Wertigkeit. Hier liegen die meisten Nebenelben und Sände und viele Laich- und Aufwuchsgebiete. Der Stint (Osmerus eperlanus) und die Finte (Alosa fallax) haben ihr Laichgebiet in diesen Abschnitten. Hervorzuheben ist hier außerdem vor allem die Haseldorfer Binnenelbe, die für karpfenartige Stillwasserarten und auch für juvenile Flundern (Pleuronectes flesus) und Kaulbarsche (Gymnocephalus cernuus) ein attraktives Aufwuchsgebiet darstellt (KAFEMANN et al., 1996). In Abschnitt III befindet sich mit dem Mühlenberger Loch und der Hahnöfer Nebenelbe das Hauptaufwuchsgebiet der Flunder (Pleuronectes flesus).

In Bezug auf die Funktion für die Ernährung der Fische erhält der limnisch/oligohaline Bereich unterhalb Hamburgs (UA III und IV) sehr hohe Wertigkeit. Diese Bewertung stützt sich auf die Ergebnisse von THIEL (vgl. Kap. 2.6.3.5), der in den südlichen Randbereichen der Tideelbe (Mühlenberger Loch, Hahnöfer Nebenelbe, Lühesander Nebenelbe) Fisch-Jahresproduktionen bestimmte, die in dieser Höhe in den anderen Elbbereichen unterhalb Hamburgs nicht erreicht werden. Alle anderen Untersuchungsabschnitte erhalten mittlere Wertigkeit.

Die Untersuchungsabschnitte I und V weisen kaum Rückzugsgebiete für die Fische auf und erhalten daher geringe Wertigkeit. Die Abschnitte III und IV erhalten aufgrund der vielen Nebenelben und Nebenflüsse hohe Wertigkeit. Mittlere Wertigkeit wird für UA II und UA VI vergeben. Im Abschnitt II stellen vor allem die Hafenbecken Rückzugsgebiete für die Fische dar.

Für das Kriterium Vernetzung erhält Untersuchungsabschnitt I sehr geringe Wertigkeit. Es sind zwar Nebenflüsse vorhanden, die Bewertung basiert aber im wesentlichen auf der Begrenzung des Abschnittes durch das Wehr Geesthacht, welches für die meisten Fische trotz Fischtreppe eine unpassierbare Grenze bildet und den Fluß ökologisch teilt. Die Einstufung der Abschnitte III und IV in sehr hohe Wertigkeit ist durch das Vorhandensein der Nebenelben und Nebenflüsse begründet. Besonders die südlichen Nebenflüsse sind sehr artenreich, sie weisen außerdem alle noch Restpopulationen der Quappe auf und besitzen ein hohes Wiederbesiedlungspotential für die Elbe. Untersuchungsabschnitt II, V und VI erhalten mittlere Wertigkeit.

Tab. 5.2.6.6: Bewertung ökologische Funktion Fische

  UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
  polyhalin mesohalin oligohalin   limnisch  
3. Ökologische Funktion            
Funktion als Reproduktionsgebiet mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Funktion für die Ernährung der Biozönose mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Funktion als Rückzugsgebiet mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit
Vernetzungen innerhalb des Biotops mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit

 

5.2.6.3 Zusammenfassende Bewertung Fische

Lebensraumtypische Faktoren

In der Unterelbe haben die Reduktionen der Überschwemmungsflächen und Flachwassergebiete sowie der weitgehende Verlust von natürlichen Uferstrukturen das Reproduktionsgeschehen der Fische erheblich beeinflußt (NELLEN, 1992; THIEL et al. 1995b). Aus diesem Grund werden bei der zusammenfassenden Bewertung für die Fische insbesondere die folgenden Kriterien der lebensraumtypischen Faktoren (nach Kap. 5.2.1.2) berücksichtigt:

1. Veränderung der Fläche der Flachwassergebiete
2. Veränderung der Vordeichsflächen
3. Uferverbau
4. Auenvegetation
5. Morphologische Strukturvielfalt
6. Strömungsklima

Die Bewertung der einzelnen Untersuchungsabschnitte in bezug auf die lebensraumtypischen Faktoren ist Tabelle 5.2.6.7 zu entnehmen. Abschließend wird für jeden Untersuchungsabschnitt eine zusammenfassende Wertstufe vergeben. Der UA VII ist aus den in Kapitel 5.2.6.1

genannten Gründen nicht in die Bewertung einbezogen.

Tab. 5.2.6.7: Zusammenfassende Bewertung Fische

  UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Halinitätszone polyhalin mesohalin oligohalin   limnisch  
1. Lebensraumtypische

Faktoren

mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit
2. Artniveau            
Arteninventar            
Kategorie II Gesamtartenzahl aktuell (in % von Kat. I) sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Kategorie IV Aktuelle Anzahl historisch häufiger Arten
(in % von Kat. III)
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Kategorie V: Verlust historischer Wanderfischarten mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit
Vorkommen schutzbedürftiger Arten sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit
3. Ökologische Funktion            
Funktion als Reproduktionsgebiet mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Funktion für die Ernährung der Biozönose mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Funktion als Rückzugsgebiet mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit
Vernetzungen innerhalb des Biotops mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit
Zusammenfassende Wertstufe hohe
Wertigkeit
geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit

 

UA VI erhält zusammenfassend eine hohe Wertigkeit. Die lebensraumtypischen Faktoren weisen hier die geringsten Veränderungen gegenüber dem historischen Referenzzustand auf. Die Gesamtartenzahl ist hoch, es sind noch 60 Prozent der früher häufigen Arten vorhanden und der Verlust von Wanderfischarten ist mit am geringsten.

UA V erhält aufgrund der geringen Bewertung der lebensraumtypischen Faktoren, des hohen Verlustes von Wanderfischarten, seiner schlechten Funktion als Reproduktionsgebiet und des Fehlens von Rückzugsgebieten geringe Wertigkeit.

Am besten werden die UA IV und UA III bewertet; sie erhalten hohe Wertigkeit. Diese Einstufung ist im wesentlichen durch die gute Bewertung der ökologischen Funktionen, die in diesen Abschnitten nur sehr hohe und hohe Wertigkeiten aufweisen, begründet. Berücksichtigt man die lebensraumtypischen Faktoren und das Artniveau, so wird deutlich, daß diese Untersuchungsabschnitte eine Tendenz zu mittlerer Wertigkeit haben.

UA II erhält aufgrund der mittleren Bewertung für die meisten Einzelkriterien eine mittlere Wertigkeit. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß es sich bei diesem Abschnitt um einen zum größten Teil anthropogen gestalteten Bereich der Elbe (Hamburger Hafen) handelt, der von dem ursprünglichen Zustand eines Flusses weit entfernt ist, was sich auch in der Bewertung der lebensraumtypischen Faktoren (sehr geringe Wertigkeit) widerspiegelt. Daraus folgt, daß der Untersuchungsabschnitt eine deutliche Tendenz hin zur geringen Wertigkeit hat.

Für UA I wurde geringe Wertigkeit vergeben. Verantwortlich für diese Einstufung ist die Bewertung der lebensraumtypischen Faktoren sowie die geringe Zahl von Rückzugsgebieten und Vernetzungen dieses Elbabschnittes. Der Verlust der Wanderfischarten ist mit 50 Prozent der höchste aller Untersuchungsabschnitte. Der Abschnitt wird durch das Wehr Geesthacht, daß trotz Fischtreppe für die meisten Fische eine unpassierbare Grenze bildet, künstlich begrenzt und der Fluß wird ökologisch zerteilt.