Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

5.2.3 Phytobenthos

5.2.3.1 Artniveau

Eine Bewertung der Lebensgemeinschaft Phytobenthos auf Artniveau ist nicht ohne weiteres durch den Vergleich einer historischen oder "natürlichen" Artenzusammensetzung der Elbe mit einem aktuellen Zustand zu erreichen. Zum einen befassen sich ältere Untersuchungen (HENTSCHEL 1925, HUSTEDT 1939) nur mit der Artenzusammensetzung in ausgewählten kleineren Bereichen der Tideelbe, zum anderen ist die taxonomische Nomenklatur in einem ständigen Wandel begriffen. Dadurch ist in einigen Fällen z.B. schwer festzustellen, ob eine bestimmte Art aus ihrem früheren Lebensraum tatsächlich verschwunden ist, oder ob sie heute nur unter einem anderen Namen geführt wird, aber noch immer vorhanden ist. Der Vergleich heutiger Daten mit historischen birgt somit etliche Irrtümer in sich. Außerdem sind, wie bei allen biologischen Freilanduntersuchungen, Daten eigentlich nur dann miteinander vergleichbar, wenn sie mit einheitlichen Methoden ermittelt wurden. Diese Voraussetzung ist zunehmend weniger gegeben, je älter die Vergleichsdaten sind. So hat z.B. die Verbesserung mikroskopischer Methoden zu neuen taxonomischen Zuordnungen im Bereich der Mikroalgen geführt.

Für eine Bewertung ist daher eine Untersuchung vorzuziehen, die erstens einen großen Bereich der Tideelbe erfaßt und außerdem den aktuellen Stand der Methodik auf diesem Gebiet repräsentiert. Eine solche Arbeit liegt mit den Untersuchungen von GÄTHJE (1991) vor. Ihre Probenahmestellen liegen (nach Definition Kapitel 5.1.4) im oligo-, meso-, und polyhalinen Bereich der Elbe. Im limnischen Bereich werden die Daten ergänzt durch Daten von POSEWANG et al. (1992) für das Mühlenberger Loch und TENT (1981) für den Hamburger Hafen.

Das Phytobenthos wird in allen Bereichen von Kieselalgen (Diatomeen) dominiert (siehe z.B. GOSSELCK, 1993; KIES et al., 1992). GÄTHJE (1991) fand an der artenreichsten Probenahmestelle 92 benthische Diatomeen aber nur 10 Arten anderer Algengruppen. Daher wird bei der Bewertung lediglich diese Algengruppe berücksichtigt.

Die vorliegende Bewertung auf Artniveau orientiert sich nicht an der Anzahl oder Diversität vorhandener Arten, da für einen solchen Ansatz ein Zielzustand für die Artenzusammensetzung definiert werden müßte, was aus oben genannten Gründen nicht realisierbar ist. Der Schwerpunkt der Bewertung wird auf die Frage gelegt, ob eine bestimmte Art ausschließlich in einem bestimmten Bereich der Elbe vorkommt, und damit bei ausbaubedingten Veränderungen die Lebensgemeinschaft in diesem Bereich besonders gefährdet ist. Eine Halinitätszone wird also dann als besonders wertvoll eingestuft, wenn dort der prozentuale Anteil solcher "exklusiver" Mikroalgen am Artenspektrum besonders hoch ist.

Als zweites, allerdings untergeordnetes, Bewertungskriterium auf dem Artniveau wird das Vorkommen von Massenformen im Phytobenthos herangezogen. Die Artengemeinschaft einer Halinitätszone gilt dann als weniger wertvoll, wenn in ihr der prozentuale Anteil massenhaft vorkommender Arten am Artenspektrum besonders hoch ist. Ein ähnlicher Bewertungsansatz ist schon in den Vorschlägen der BfG (1994) enthalten.

Der "Artenreichtum" als solcher, der ebenfalls in den Überlegungen der BfG (1994) zu den Bewertungsverfahren für Bundeswasserstraßen eine Rolle spielt, eignet sich in diesem Zusammenhang nicht als Bewertungskriterium für die Qualität der Phytobenthos-Biozönose. Wie bereits GÄTHJE (1991) feststellt, unterscheidet sich die Artenvielfalt des Phytobenthos in der Tideelbe nicht wesentlich von der anderer Tidegewässer wie z.B. der Oosterschelde oder dem Ems-Dollart. Lediglich die Dominanzverhältnisse sind von Gewässer zu Gewässer unterschiedlich. Die meisten dominanten Arten sind demnach als Kosmopoliten und euryöke Formen anzusprechen.

Ein Bewertung des Phytobenthos anhand einer wie auch immer definierten "Seltenheit" im Sinne einer Roten Liste ist nicht möglich. Bisher fehlt eine Einstufung benthischer Mikroalgen anhand einer solchen Liste. Die meisten benthischen Diatomeen werden, sofern ökologische Angaben zu finden sind, als Kosmopoliten beschrieben (HUSTEDT, 1962), es erscheint daher zumindest fragwürdig, ob die Erstellung einer Roten Liste für diese Lebensgemeinschaft überhaupt sinnvoll ist.

Eine fünfstufige Werteskala der Bewertung des Phytobenthos auf dem Artniveau ergibt sich für die beiden Bewertungskriterien wie in Tabelle 5.2.3.1 beschrieben.

Tab. 5.2.3.1: Bewertungsskala Phytobenthos Artniveau

2. ARTNIVEAU sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Arteninventar          
Vorkommen exklusiver Arten Anteil der Arten, welche ausschließlich in einer Halinitätszone vorkommen ³ 40 % Anteil der Arten, welche ausschließlich in einer Halinitätszone vorkommen > 30 % Anteil der Arten, welche ausschließlich in einer Halinitätszone vorkommen > 20 % Anteil der Arten, welche ausschließlich in einer Halinitätszone vorkommen > 10 % Anteil der Arten, welche ausschließlich in einer Halinitätszone vorkommen £ 10 %
Vorkommen von Massenformen Anteil häufiger und sehr häufiger Arten £ 10 % Anteil häufiger und sehr häufiger Arten > 10 % Anteil häufiger und sehr häufiger Arten > 20 % Anteil häufiger und sehr häufiger Arten > 30 % Anteil häufiger und sehr häufiger Arten ³ 40 %

 

Die Bewertung der Halinitätszonen ergibt sich aus den Artenzahlen nach Tabelle 5.2.3.2.

Tab. 5.2.3.2: Artenzahl, Exklusivität und Dominanz Phytobenthos in den Halinitätszonen.

Halinitätszone Polyhalin Mesohalin Oligohalin Limnisch
Artenzahl 89 114 74 70
davon nur in der Halinitätszone 15 = 17 % 17 = 15 % 22 = 30 % 37 = 53 %
davon häufig 18 = 20 % 16 = 14 % 7 = 9 % 7 = 10 %
davon sehr häufig 1 = 1 % 2 = 2 % 3 = 4 % 17 = 24 %

Daraus folgt für die einzelnen Halinitätszonen auf Artniveau die Bewertung nach Tabelle 5.2.3.3.

Tab. 5.2.3.3: Bewertung der Halinitätszonen Artniveau Phytobenthos

Halinitätszone Polyhalin Mesohalin Oligohalin Limnisch
2. Artniveau        
Arteninventar        
Vorkommen exklusiver Arten geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit
Vorkommen von Massenformen mittlere Wertigkeit hohe Wertigkeit hohe Wertigkeit geringe Wertigkeit

 

5.2.3.2 Ökologische Funktion

Die Bewertung erfolgt bezogen auf die sieben Untersuchungsabschnitte, da in dieser Kriteriengruppe die Bedeutung nicht biologischer Parameter für die Lebensgemeinschaft Phytobenthos beschrieben werden. Diese lassen sich für jeden Untersuchungsabschnitt gesondert beschreiben.

Bei der Bewertung der "Ökologischen Funktion" der Untersuchungsabschnitte für das Phytobenthos werden die Bewertungskriterien "Funktion als Reproduktionsgebiet" und "Funktion für die Ernährung" zusammen abgehandelt, da bei Mikroorganismen Ernährung und Reproduktion nicht als voneinander unabhängige Lebensprozesse eines Individuums zu betrachten sind.

Die "Funktion als Rückzugsgebiet" wird nicht bewertet, da es sich nicht im eigentlichen Sinne um mobile Organismen handelt, welche (in den Dimensionen von Untersuchungsabschnitten) aktiv Orte mit günstigeren Lebensbedingungen aufsuchen können.

Das Kriterium "Vernetzungen im Untersuchungsgebiet" wird nicht in die Bewertung mit aufgenommen, da über das Arteninventar der Nebenflüsse keine Informationen vorliegen, und damit nicht beurteilt werden kann, ob sich das Phytobenthos der Tideelbe teilweise aus den Nebenflüssen rekrutiert. Alle Nebenelben und sonstigen Seitengewässer innerhalb eines Untersuchungsabschnittes stehen während einer Tidephase ohnehin über einen bestimmten Zeitraum mit dem Hauptstrom in Verbindung.

Das Kriterium "Wiederherstellbarkeit der Biozönose" geht nicht über eine Bewertungsskala in die Endnote ein, wird aber in der zusammenfassenden Bewertung behandelt.

Der wichtigste Lebensraum für die Lebensgemeinschaft des Phytobenthos ist das Watt (definiert als der Bereich zwischen MThw und MTnw). Die benthischen Primärproduzenten tragen zum Sauerstoffhaushalt, zur Sedimentverfestigung und zum hohen Stoffumsatz innerhalb dieses Lebensraumes bei. Das Watt hat damit eine entscheidende Bedeutung für den Sauerstoffhaushalt und die Selbstreinigungskraft eines Ästuars (Länge, 1983).

Der prozentuale Anteil der Fläche der Wattgebiete an der Fläche eines bestimmten Untersuchungsabschnittes (definiert als die Summe der Flächen von Watt, Flachwasser und Tiefwasser, siehe UVU Kapitel 7.1) ist entscheidend für die Höhe der benthischen Primärproduktion in diesem Abschnitt. Sie wird daher als Kriterium für die ökologische Funktion des Untersuchungsgebietes verwendet. Je höher der prozentuale Anteil der Wattfläche an der Gesamtfläche des aquatischen Bereiches ist, desto höher wird der Untersuchungsabschnitt in seiner ökologischen Funktion bewertet.

Ein weiterer potentieller Lebensraum für die benthischen Primärproduzenten ist der Flachwasserbereich im Ästuar (GÄTHJE, 1991). Eine positive Primärproduktion in diesem Gebiet ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, daß für die Primärproduktion ausreichende Mengen von Licht den Gewässerboden erreichen. Der prozentuale Anteil der Fläche der Flachwasserbereiche am Untersuchungsabschnitt wird daher ebenfalls als Bewertungskriterium aufgestellt. Ein hoher Anteil an Flachwassergebieten im Untersuchungsabschnitt wird positiv bewertet. Historische Kartenangaben (siehe UVU Kapitel 7.1) zeigen, daß die Flachwasserbereiche schon damals einen geringeren Anteil an der Fläche des aquatischen Bereichs hatten als die Wattgebiete. Daher erreichen bei der Bewertung die Flachwassergebiete schon sehr hohe Wertigkeit, wenn ihr Anteil am aquatischen Bereich nur halb so hoch ist, wie der Anteil der Wattgebiete (siehe Tabelle 5.2.3.4). Für Untersuchungsabschnitt II liegen keine Daten zur Größe der Flachwasser- und Wattgebiete vor.

Optimale Wachstumsbedingungen herrschen für die benthischen Primärproduzenten der Watten vor allem dann, wenn sie bei Niedrigwasser und damit Trockenfall der Wattgebiete dem direkten Licht ausgesetzt sind. Eine Limitierung der Produktion durch Nährstoffe wie Phosphat, Silikat oder Nitrat ist im Elbe-Ästuar nicht anzunehmen (Länge, 1983). Bei Überdeckung der benthischen Algen mit Wasser entscheidet vor allem die Trübung des Wasserkörpers über die Intensität der Primärproduktion. Entscheidend für die Primärproduktion durch das Phytobenthos sind somit u.a. die Parameter Tageslichtlänge, Überdeckungszeit der Watten und Trübung des Wasserkörpers durch Schwebstoffe. Der Parameter Tageslichtlänge eignet sich aus verständlichen Gründen nicht als Bewertungskriterium, die Überdeckungszeit ist ebenfalls nicht als Bewertungskriterium geeignet, da sie je nach Geländeneigung stark schwankt und sich ein Optimum daher nur schwer definieren läßt. Als Bewertungkriterium für die potentielle benthische Primärproduktion in einem Untersuchungsabschnitt wird daher der Schwebstoffgehalt im Wasser herangezogen, der während der Überflutungszeit der Watten (ca. zehn Stunden an der MTnw-Linie) wirksam wird. Er beeinflußt die Eindringtiefe des Lichtes und damit die Dicke der euphotischen Zone (definiert als die Wassertiefe, in die noch ein Prozent des an der Oberfläche gemessenen Lichtes vordringt, und in der eine positive Primärproduktion möglich ist). Mit hohen Schwebstoffgehalten ist außerdem bei ausreichend geringen Strömungsgeschwindigkeiten eine hohe Sedimentation verbunden. Die Ablagerung der Schwebstoffe auf den Wattgebieten verschlechtert nach GÄTHJE (1991) das Lichtklima für das Phytobenthos. COLIJN (1982) und FAST (1993) stellen eine klare Beziehung zwischen dem Schwebstoffgehalt (gemessen in mg l-1) und der Abschwächung des Lichtes im Wasser (gemessen als Attenuationskoeffizient) her. Setzt man eine lineare Abhängigkeit des Attenuationskoeffizienten vom Schwebstoffgehalt voraus, so lassen sich bestimmten Schwebstoffgehalten bestimmte Tiefen der euphotischen Zone zuordnen. So ist die euphotische Zone z.B. bei einem Schwebstoffgehalt von ca. 100 mg l-1 etwa 80 cm tief, bei 400 mg l-1 aber nur noch 25 Zentimeter. Auf diesen Überlegungen basiert die Bewertung der ökologischen Funktion über den Schwebstoffgehalt. Hohe Schwebstoffgehalte, wie sie als Folge hoher Strömungsgeschwindigkeiten und den damit verbundenen Resuspensionsprozessen auftreten, werden negativ bewertet.

Zur Auswertung werden Werte des Schwebstoffgehaltes in den oberen zwei Metern der Wassersäule bei vollem Flutstrom über den Watt- und Flachwasserbereichen herangezogen (vergl. Materialband II, Schwebstoffe und gelöste Stoffe).

Da im UA II nur sehr kleine Flächen für die benthische Primärproduktion zur Verfügung stehen, wird eine Bewertung in Bezug auf den Schwebstoffgehalt nicht vorgenommen.

Die Bewertungsskala der Funktion der Untersuchungsabschnitte für Reproduktion und Ernährung des Phytobenthos ist in Tabelle 5.2.3.4 dargestellt.

Tab. 5.2.3.4: Bewertungsskala ökologische Funktion Phytobenthos

3. Ökologische
Funktion
sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Funktion für Reproduktion und Ernährung          
Anteil der Wattfläche am aquatischen Bereich (Watt + Flachwasser + Tiefwasser) Anteil der Wattflächen
³ 40 %
Anteil der Wattflächen
³ 30 %
Anteil der Wattflächen
³ 20 %
Anteil der Wattflächen
³ 10 %
Anteil der Wattflächen
< 10 %
Anteil der Flachwassergebiete am aquatischen Bereich Anteil der Flachwassergebiete ³ 20 % Anteil der Flachwassergebiete ³ 15 % Anteil der Flachwassergebiete ³ 10 % Anteil der Flachwassergebiete ³ 5 % Anteil der Flachwassergebiete < 5 %
Schwebstoffgehalt über Watt und Flachwasser Schwebstoffgehalt überwiegend
£ 100 mg/l
Schwebstoffgehalt überwiegend
100 - 200 mg/l
Schwebstoffgehalt überwiegend
200 - 300 mg/l
Schwebstoffgehalt überwiegend
300 - 400 mg/l
Schwebstoffgehalt überwiegend
³ 400 mg/l

Die Bewertung der einzelnen Untersuchungsabschnitte ergibt sich aus den Daten in Tabelle 5.2.3.5.

Tab. 5.2.3.5: Anteile produktiver Flächen und Schwebstoffgehalte (über Watt und Flachwasser) in den Untersuchungsabschnitten

Kriterium UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Fläche aquatischer Bereich (Watt + Flachwasser + Tiefwasser)

in (ha)

27731 25741 8680 6939 3414   921
davon Fläche Wattgebiete

in (%)

44,7 57,5 32,6 26,4 33,3   29,6
davon Fläche Flachwasser

in (%)

13,3 10,8 7,0 11,9 19,5   13,9
Schwebstoffgehalt (mg/l) £ 100 100 - 200 300 - 400 200 - 300 100 - 200   £ 100

Für Untersuchungsabschnitt II, der praktische keine Gebiete aufweist, die für die Besiedlung durch benthische Primärproduzenten geeignet sind, wird in Bezug auf seine ökologische Funktion pauschal sehr geringe Wertigkeit vergeben.

Daraus ergibt sich die Bewertung der ökologischen Funktion der einzelnen Untersuchungsabschnitte wie in Tabelle 5.2.3.6.

Tab. 5.2.3.6: Bewertung der Untersuchungsabschnitte ökologische Funktion Phytobenthos

3. ÖKologische

Funktion

UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Reproduktion und Ernährung              
Relative Fläche der Wattgebiete sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

 

mittlere

Wertigkeit

Relative Fläche der Flachwassergebiete mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

sehr geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Schwebstoffgehalt sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

  sehr hohe Wertigkeit

 

5.2.3.3 Zusammenfassende Bewertung Phytobenthos

Die Bewertungskriterien der Kriteriengruppe "Lebensraumtypische Faktoren" (Kapitel 5.2.1.2) sind von unterschiedlich großer Bedeutung für die Lebensgemeinschaft des Phytobenthos. Als maßgebliche Faktoren müssen vor allem alle Parameter angesehen werden, welche die Größe und Funktion der Flachwasser- und Wattgebiete beschreiben. Diese Faktoren geordnet nach ihrer Bedeutung sind:

1. Veränderung der Fläche der Wattgebiete
2. Veränderung der Fläche der Flachwassergebiete
3. Veränderung des Quotienten aus Watt und Flachwasserfläche
4. Uferverbau
(Je naturferner der Verbau der Ufer, desto schlechter sind die Aufwuchsbedingungen für die benthischen Primärproduzenten, Extremfall Spundwand)
5. Veränderung des Tidenhubes

Für die sieben Untersuchungsabschnitte ergibt sich anhand dieser maßgeblichen lebensraumtypischen Faktoren folgende Bewertung:

Tab. 5.2.3.7: Bewertung der Untersuchungsabschnitte anhand der lebensraumtypischen Faktoren für das Phytobenthos

  UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
1. Lebensraum-typische

Faktoren

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit

 

Die Bewertung des Phytobenthos auf Artniveau wird den Untersuchungsabschnitten auf folgende Weise zugeordnet: Die Bewertung der limnischen Zone gilt für die Untersuchungsabschnitte I bis III, die der oligohalinen Zone für UA IV, die der mesohalinen Zone für UA V und die der polyhalinen Zone für UA VI und VII.

Nach Tabelle 5.2.3.8 ergibt sich die zusammenfassende Bewertung der Untersuchungsabschnitte für die Lebensgemeinschaft Phytobenthos

Tab. 5.2.3.8: Zusammenfassende Bewertung der Untersuchungsabschnitte für das Phytobenthos

  UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Halinitätszone polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
1. Lebensraumtypische

Faktoren

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit
2. Artniveau  
Exklusive Arten

geringe

Wertigkeit

geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit

sehr hohe

Wertigkeit

Massenformen

mittlere

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

geringe

Wertigkeit

3. Ökologsche

Funktion

 
Wattfläche sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

sehr geringe Wertigkeit

mittlere

Wertigkeit

Flachwasser mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit

geringe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

sehr geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Schwebstoff sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

geringe

Wertigkeit

mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

  sehr hohe Wertigkeit
Zusammenfas-sende Wertstufe

hohe

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

mittlere

Wertigkeit

mittlere

Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

sehr geringe

Wertigkeit

mittlere

Wertigkeit

Im folgenden wird auf Parameter eingegangen, die nicht über den Kriterienkatalog in die Bewertung eingegangen sind, die aber dennoch für die Einschätzung der Tideelbe in bezug auf die Lebensgemeinschaft von Bedeutung sind.

Die Wiederherstellbarkeit einer bestimmten Lebensgemeinschaft hängt von verschiedenen Faktoren ab: Von der Empfindlichkeit der Arten gegenüber Umweltveränderungen, von der Komplexität der Artenzusammensetzung, von dem Vorhandensein von Reservoiren aus denen sich die Lebensgemeinschaft regenerieren kann und von den Generationszeiten der einzelnen Arten. Die benthischen Algen werden allgemein als eine Lebensgemeinschaft in einem frühen Stadium der ökologischen Sukzession angesehen (ODUM, 1983). Sie existieren in einem instabilen Lebensraum mit z.T. extremen Schwankungen von Wassergehalt, Licht, Salzgehalt und Temperatur. Sie sind also an starke Schwankungen der Umweltparameter angepaßt und damit als relativ wenig empfindlich anzusehen.

Eine typische Brackwassergesellschaft mit speziell in diesem Bereich vorkommenden Arten gibt es nicht (GÄTHJE, 1991). Im Brackwasser überschneiden sich die Verbreitungsgebiete der euryhalin-limnischen und euryhalin-marinen Arten. 14 Arten kommen im gesamten Untersuchungsgebiet vor. Die meisten dominierenden Arten werden als Kosmopoliten beschrieben, von einer echten Gefährdung von Arten kann also nicht gesprochen werden. Die Generationszeit (d.h. die Zeit bis zur nächsten Zellteilung) der im Phytobenthos dominierenden Kieselalgen liegt nach HUSTEDT (1962) in der Natur im Durchschnitt bei fünf Stunden. Die Lebensgemeinschaft Phytobenthos wird also in den meisten Fällen kurzfristig wiederherstellbar sein.

Verschiedene Autoren (z.B. WHITING und McINTIRE, 1985; SUNDBÄCK, 1983) beschreiben die Bedeutung des Sedimenttypes für die Artenzusammensetzung des Phytobenthos. Sandige Sedimente sind charakterisiert durch höhere Eindringtiefen des Lichtes, niedrigen Wassergehalt und niedrigen Gehalt an organischen Substanzen. Schlickreiche Sedimente weisen zwar eine geringere Lichteindringtiefe, aber höhere Wassergehalte und höhere Gehalte an organischer Substanz auf. Im Allgemeinen werden feinere Sedimente, die naturgemäß in strömungsärmeren Bereichen anzutreffen sind, und damit konstantere Lebensbedingungen bieten (GÄTHJE, 1991), als Sedimente höherer benthischer Primärproduktion beschrieben. Die einzelnen Untersuchungsabschnitte lassen sich nicht nach Sedimenttypen unterscheiden. Im äußeren Ästuar herrschen allgemein Sandwattgebiete vor, im inneren Bereich sind Schlickwattgebiete häufiger. Diese Verhältnisse können aber für eine Bewertung nicht herangezogen werden, da die jeweiligen Watt-Typen charakteristisch für "ihren" Bereich und damit unabhängig von ihrer Produktivität wichtig für den Lebensraum Ästuar sind.

Abschließend werden die sieben Untersuchungsabschnitte mit ihren jeweiligen Besonderheiten und der daraus resultierenden Bewertung beschrieben:

Das Arteninventar in UA VII wird dominiert durch rein marine Arten. Der Anteil an Arten mit Massenvorkommen ist gemäßigt. Der Untersuchungsabschnitt weist ausgedehnte Wattgebiete auf (> 40% der Fläche), die Bedingungen für die benthische Primärproduktion sind gut. Aufgrund seiner Anbindung an den marinen Lebensraum ist dieser Untersuchungsabschnitt als sehr naturnah anzusehen. Es wird hohe Wertigkeit vergeben.

Arteninventar und Flächenverhältnisse in UA VI ähneln denen in UA VII, die Schwebstoffkonzentrationen sind jedoch leicht erhöht. Der UA erhält hohe Wertigkeit.

In UA V nimmt im Arteninventar der Anteil mariner Formen ab, es dominieren marin-euryhaline und limnisch-euryhaline Formen. Nur wenige Arten entwickeln Massenvorkommen. Der relative Anteil der Fläche von Watt und Flachwasser am aquatischen Lebensraum nimmt ab, die Wattgebiete sind auf die Uferbereiche beschränkt, es existieren keine Seitengewässer, der Schwebstoffgehalt ist sehr hoch, die Lichtbedingungen für die benthische Primärproduktion bei Wasserbedeckung sind verschlechtert. Aus diesen Erwägungen resultiert eine Einstufung in Mittlere Wertigkeit

In UA IV nimmt der Anteil mariner Arten am Arteninventar stark ab, es überwiegen euryhaline Arten mit Brackwassertoleranz und limnische Arten, nur wenige Arten entwickeln Massenvorkommen. Der Anteil der Wattflächen ist niedriger (< 30 %) als in UA V, Seitengewässer und Inseln sind aber gut ausgeprägt. Der Schwebstoffgehalt ist weniger hoch als in UA V. Die Lichtbedingungen für die benthische Primärproduktion sind verbessert. Der UA erhält mittlere Wertigkeit.

In UA III ist der Anteil rein limnischer Arten hoch, es dominieren limnische Arten und euryhaline Arten mit hoher Süßwassertoleranz. Viele der Arten kommen ausschließlich in den limnischen Untersuchungsabschnitten vor. Der Anteil der Wattflächen ist hoch (> 30%), Flachwasserbereiche nehmen zu. Es existieren Seitengewässer und Inseln. Der Schwebstoffgehalt in der Wassersäule ist niedriger, die Bedingungen für die benthische Primärproduktion sind gut. Aufgrund dieser Faktoren erhält der UA hohe Wertigkeit.

Untersuchungsabschnitt II nimmt eine Sonderstellung im Untersuchungsgebiet ein. Watt- und Flachwassergebiete sind kaum vorhanden. Obwohl der Schwebstoffgehalt gering ist, und Nährstoffe nicht produktionslimitierend wirken, ist der Bereich für benthische Primärproduzenten praktisch wertlos, da ihnen fast keine Aufwuchsflächen zur Verfügung stehen. Der UA wird mit sehr geringer Wertigkeit eingestuft.

Der Anteil von Watt- und Flachwasserbereich in UA I ist geringer (< 30%) als in UA III, es existieren keine Nebenelben oder Inseln, der Schwebstoffgehalt ist niedrig. Die absolute Fläche des für eine benthische Primärproduktion geeigneten Gebietes ist aber klein (273 ha). In diesem Untersuchungsabschnitt endet der limnische Abschnitt der Tideelbe am Wehr Geesthacht. Diese künstliche Barriere verschlechtert den Artenaustausch zwischen der oberen Tideelbe und dem restlichen limnischen Bereich des Stromes. Ein Individuentransport über das Wehr in die Tideelbe hinein ist nur möglich, wenn die Algen bei ausreichend hohe Strömungsgeschwindigkeiten den Kontakt zum Sediment verlieren und ins Freiwasser gelangen. Eine (theoretisch) geschädigte limnische Artengemeinschaft der Tideelbe, muß sich also hauptsächlich über das "Artenreservoir" der Nebenflüsse regenerieren. Für den UA wird mittlere Wertigkeit vergeben.