Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

5.2 Bewertung

5.2.1 Lebensraumtypische Faktoren

Die Struktur der Organismengemeinschaft in einem Biotop wird bestimmt durch eine Vielzahl von abiotischen und biotischen Randbedingungen. In einem Ästuar entscheiden Strömung, Tidegeschehen und Wasserführung sowie die Ausprägung morphologischer Strukturen maßgeblich über die Zusammensetzung und Dynamik der biotoptypischen Organismengemeinschaft. Der Kriterienkatalog für das Biotopniveau erfaßt dementsprechend vornehmlich Parameter, die in der Lage sind, den Lebensraum anhand hydrologischer und morphologischer Meßgrößen zu beschreiben und zu bewerten.

5.2.1.1 Bewertungsmaßstab der lebensraumtypischen Faktoren

Im folgenden werden die Bewertungskriterien für die lebensraumtypischen Faktoren sowie ihre Skalierung in fünf Bewertungsstufen kurz erläutert.

Hydrologische Faktoren

Eine aquatische Biozönose ist maßgeblich geprägt von den hydrodynamischen Prozessen in ihrem Lebensraum. Kennzeichnend für ein Ästuar ist eine hohe Dynamik aller Strömungsparameter aufgrund des Tidegeschehens. Im Rahmen der Ausbaumaßnahmen in der Tideelbe hat sich der Tidehub z.T. deutlich erhöht, da ausbaubedingt die morphologische Dämpfung vermindert wurde, die dem Einschwingen der Gezeitenwelle entgegensteht. Die Veränderung des Tidehubs setzt sich aus einer Absenkung des mittleren Tideniedrigwassers (MTnw) und einer geringeren Erhöhung des mittleren Tidehochwassers (MThw) zusammen. Größe und Gestalt des Eulitorals und der Flachwasserbereiche (definiert als der Bereich bis MTnw minus 2 Meter) sind direkt von Veränderungen des Tidegeschehens beeinflußt.

- Mittleres Tideniedrigwasser (MTnw)

Flachwasserbereiche gehören zu den biologisch produktivsten Bereichen eines Tidegewässers. Ihre Ausdehnung ist abhängig von der MTnw-Linie und dem Gefälle im Flußquerschnitt. Eine Absenkung oder Ansteig des MTnw um zwei Meter würde theoretisch den vollständigen Verlust der vorhandenen Flachwasserbereiche bedeuten. Aus hydrobiologischer Sicht wird in vorliegenden Bewertungsmaßstab allerdings schon ein mittlerer theoretischer Flächenverlust von 50% als "worst case" angesehen, also eine Veränderung des MTnw um einen Meter. In der Prognose zu den Auswirkungen der Ausbaumaßnahme wird zu beurteilen sein, ob sich die Flachwasserbereiche bei Veränderungen des MTnw ohne Flächenverlust verschieben (abhängig von der Geländeneigung).

Die Veränderungen des MTnw werden über den Vergleich aktueller und historischer Pegeldaten (1902) bestimmt. Genaue Pegeldaten und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1.

Für Untersuchungsabschnitt VII liegen keine historischen Pegeldaten vor.

Die fünfstufige Bewertungsskala für die Veränderung des MTnw wird in Tabelle 5.2.1.1 beschrieben:

Tab. 5.2.1.1: Bewertungsskala für die Veränderung des mittleren Tideniedrigwassers

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Veränderung < 10%entspricht Veränderung um < 10 cm Veränderung < 30% entspricht Veränderung um < 30 cm Veränderung < 50% entspricht Veränderung um < 50 cm Veränderung < 70% entspricht Veränderung um < 70 cm Veränderung ³ 70% entspricht Veränderung um ³ 70 cm

- Mittleres Tidehochwasser (MThw)

Mit den Ausbaumaßnahmen an der Elbe ist allgemein eine Erhöhung des MThw verbunden. Diese Veränderung betrifft neben der Biozönose des Eulitorals vor allem die terrestrische Biozönose des Uferbereichs. Die Bewertung der Veränderung des MThw orientiert sich an dessen Einfluß auf eine das Ufer besiedelnde Röhrichtzone (siehe Planungsgruppe Grün, 1993). Nach KÖTTER (1961) reicht der optimale Lebensraum des Röhrichts bis etwa einen Meter unter MThw. Ein Anstieg des MThw um einen Meter würde nach dieser Definition theoretisch den vollständigen Verlust dieses Ausbreitungsraumes bedeuten, und wird daher auch in der vorliegenden Bewertung als "worst case" angesehen. Die Veränderungen des MThw werden über den Vergleich aktueller und historischer Pegeldaten (1902) bestimmt (Genaue Pegeldaten und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1).

Für Untersuchungsabschnitt VII liegen keine historischen Pegeldaten vor.

Die fünfstufige Bewertungsskala für den Anstieg des MThw wird in Tabelle 5.2.1.2 beschrieben:

Tab. 5.2.1.2: Bewertungsskala für die Veränderung des mittleren Tidehochwassers

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Veränderung < 10%entspricht Veränderung um < 10 cm Veränderung < 30% entspricht Veränderung um < 30 cm Veränderung < 50% entspricht Veränderung um < 50 cm Veränderung < 70% entspricht Veränderung um < 70 cm Veränderung ³ 70% entspricht Veränderung um ³ 70 cm

- Tidehub

Eine Erhöhung des Tidehubs (wobei im allgemeinen das Absinken des MTnw der entscheidende Faktor ist) ist vor allem für die Lebensgemeinschaften der Watt- und Flachwasserbereiche spürbar. Zu den wichtigsten Auswirkungen zählen verminderte Überdeckungszeiten der Wattflächen und das Trockenfallen ehemaliger Flachwasserbereiche. Die Erhöhung des Tidehubs ergibt sich aus der Addition der Veränderungen von MTnw und MThw. Der "worst case" Fall ist demnach definiert als eine Veränderung des Tidehubs um zwei Meter. Die Veränderungen des Tidehubs wird über den Vergleich aktueller und historischer Pegeldaten (1902) bestimmt (Genaue Pegeldaten und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1).

Für Untersuchungsabschnitt VII liegen keine historischen Pegeldaten vor.

Die fünfstufige Bewertungsskala für die Zunahme des Tidehubes wird in Tabelle 5.2.1.3 definiert:

Tab. 5.2.1.3: Bewertungsskala für die Veränderung des Tidehubes

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Veränderung< 10%
entspricht Veränderung um < 20 cm
Veränderung < 30% entspricht Veränderung um < 60 cm Veränderung < 50% entspricht Veränderung um < 100 cm Veränderung < 70% entspricht Veränderung um < 140 cm Veränderung ³ 70% entspricht Veränderung um ³ 140 cm

- Strömungsklima

Ein natürliches Ästuar ist typischerweise geprägt durch ein kleinräumiges Verteilungsmuster verschiedener Lebensräume. In einem ständigen Wechsel verschwinden und entstehen Biotopstrukturen wie Sandbänke, Flachwasserzonen und Rinnen mit unterschiedlichen Strömungseigenschaften. Die Lage der Hauptstromrinne verändert sich in Abhängigkeit von Tidegeschehen und Oberwasserabfluß. Diese Dynamik führt zu einer hohen Vielfalt von Lebensräumen, steht aber im Widerspruch zu den Nutzungsansprüchen der Schiffahrt. Durch die Vertiefung der Hauptstromrinne zur permanenten Fahrrinne haben sich die Strömungsgeschwindigkeiten in diesem Bereich erhöht und der Fluß wird in einem erheblichen Teil seines Querschnittes von diesem Bereich dominiert. Demgegenüber sind Zonen mit mildem Strömungsklima zum größten Teil in den Uferbereich zurückgedrängt worden.

Über den Parameter Strömungsklima soll die Abweichung des heutigen Zustandes der Tideelbe von einem natürlichen Zustand beschrieben werden. Da es sich hierbei um eine subjektive Einschätzung der Veränderungen handelt, der keine historischen Daten zugrunde liegen, werden nur sehr hohe, mittlere und sehr geringe Wertigkeit vergeben. Die Vielfalt des Strömungsklimas wird anhand der Daten der BAW-AK (siehe Materialband I, Tidedynamik) beurteilt. Als Beurteilungsgrundlage dient die grafische Darstellung der mittleren Ebbstromgeschwindigkeiten.

- Weitere hydrologische Parameter:

Für benthische Organismen ist die Mobilität des Sedimentes, das sie besiedeln, von entscheidender Bedeutung. Diese hängt ab von der Beschaffenheit des Sedimentes und von der Energie, mit der die Strömung auf das Sediment einwirkt. Ein Maß für diese Energie ist der sogenannte Geschiebetransport, welcher im Gutachten der BAW-AK als Parameter beschrieben wird.

Für alle betrachteten Lebensgemeinschaften hat der durch die Schiffahrt erzeugte Schwell zumindest temporär eine Bedeutung. Dieser Parameter wird in einem gesonderten Gutachten der BAW-AK beschrieben.

Die beiden oben beschriebenen Parameter werden nicht als Bewertungskriterien zur Bewertung des Ist-Zustandes im Rahmen der lebensraumtypischen Faktoren herangezogen, sie werden jedoch bei der Bewertung der geplanten Baumaßnahme berücksichtigt werden müssen.

Morphologische Faktoren

Die Morphologie eines Ästuars ist abhängig von den geologischen Gegebenheiten im Einzugsgebiet sowie von den hydrodynamischen Prozessen, die auf diese Gegebenheiten einwirken. Prägend für die Lebensgemeinschaften des Mündungsgebietes eines natürlichen Tieflandstromes ist der Wechsel von Entstehung und Zerstörung verschiedenster morphologischer Strukturelemente innerhalb seines Überschwemmungsgebietes auf langfristigen Zeitskalen. Als Folge periodisch wechselnder hydrologischer Bedingungen und der damit zusammenhängenden Sedimentations -und Erosionsprozesse existiert ein Mosaik vielfältiger morphologischer Elemente, wie Inseln, Sände, Nebenarme, Stillgewässer und Priele. Nur das Vorhandensein dieser Elemente ermöglicht die Existenz einer vielfältigen ästuartypischen Lebensgemeinschaft.

- Fläche des Vordeichlandes

Die Auenlandschaft eines natürlichen Ästuars ist gekennzeichnet durch ausgedehnte Überschwemmungsgebiete. Diese werden periodisch überflutet (Sturmfluten und Hochwässer), wobei ein Individuenaustausch zwischen den Lebensgemeinschaften des Hauptstromes und Lebensgemeinschaften ansonsten voneinander isolierter Stillgewässer ermöglicht wird. Die Überschwemmungsgebiete der heutigen Tideelbe sind auf zum Teil intensiv genutzte Vordeichländer beschränkt, welche diese ökologische Funktion nur noch teilweise erfüllen. Als Maß für die Intensität des Eingriffs in die Überschwemmungsgebiete dient die Veränderung der Fläche der Vordeichländer. Es wird die Ab- bzw. Zunahme der Flächen gegenüber einem historischen Zustand um die Jahrhundertwende bewertet (Flächenberechnung und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1). Eine Abnahme der Vordeichflächen wird negativ bewertet. Der historische Zustand wird als 100% festgesetzt. Bei einer Zunahme der Fläche wird die sehr hohe Wertigkeit vergeben.

Im Gebiet des Hamburger Hafens (Untersuchungsabschnitt II) wird auf eine Bewertung der Flächenentwicklung über verschiedene Kriterien verzichtet, da ein historischer Referenzzustand aufgrund des vorliegenden Kartenmaterials nicht schlüssig bilanziert werden konnte (siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1).

Die fünfstufige Bewertungsskala für die Veränderung der Flächen wird wie in Tabelle 5.2.1.4 beschrieben festgesetzt:

Tab. 5.2.1.4: Bewertungsskala für die Abnahme der Fläche des Vordeichlandes

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Abnahme < 10% Abnahme < 30% Abnahme < 50% Abnahme < 70% Abnahme ³ 70%

- Flächen der Wattgebiete und Flächen der Flachwassergebiete

Für die verschiedenen Lebensgemeinschaften des Ästuars sind die Flachwasser -und Wattgebiete von herausragender Bedeutung. Flachwassergebiete mit ihrem günstigen Lichtklima zeichnen sich durch eine hohe Primärproduktion (Phytoplankton und Phytobenthos) aus. Die hohe Primärproduktion ermöglicht hohe Produktionsraten bei Primärkonsumenten (Zooplankton und Zoobenthos), welche wiederum den Aufwuchs von Fischlarven begünstigt. Mit seinem milden Strömungsklima stellt der Flachwasserbereich außerdem ein wichtiges Retentionsgebiet für planktische Organismen und ein Fluchtbiotop für schwimmende Organismen dar. Das Watt, ein charakteristischer Lebensraum von Ästuaren, ist ebenfalls ein Gebiet hoher benthischer Produktion, seine Besiedlung mit Aufwuchsalgen ist bedeutsam für den Sauerstoffhaushalt des Gewässers.

Ein Verlust dieser im Vergleich zum Tiefwasser (MTnw minus > 2 Meter) hochproduktiven Flächen stört das ökologische Gleichgewicht im Lebensraum Ästuar. Es wird die Ab- bzw. Zunahme der beiden Flächen gegenüber einem historischen Zustand um die Jahrhundertwende bewertet (Flächenberechnung und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1). Eine Abnahme der Fläche wird negativ bewertet. Der historische Zustand wird als 100% festgesetzt, die Einteilung der Bewertungsskala wird wie in Tabelle 5.2.1.4 festgesetzt. Für Untersuchungsabschnitt I liegen keine Daten zu den Flächen von Watt und Flachwasser vor. Das vorliegende Kartenmaterial erlaubt lediglich die Einschätzung der Veränderung der Summe beider Flächen.

- Quotient aus der Fläche der Wattfläche und der Flachwassergebiete

Durch die bereits beschriebenen Veränderungen des Tidehubs, sowie durch die Aufspülung von Baggergut in einigen Bereichen des Elbe-Ästuars sind Vergrößerungen von Wattflächen festzustellen, die aber mit einem Verlust von Flachwassergebieten einhergehen. Diese einschneidenden Veränderungen lassen sich aber durch die Bewertung von Flächenverlusten allein nicht darstellen. In der vorliegenden Bewertung sollte bewußt vermieden werden, einen der beiden Lebensräume als höherwertig einzustufen. Da aber eine Verschiebung des Größenverhältnisses beider Lebensräume zueinander durch den Menschen eine Entfernung vom natürlichen Zustand bedeutet, muß diese bewertet werden.

Zu diesem Zweck wird im hydrobiologischen Gutachten der Quotient aus Fläche der Watten / Fläche der Flachwassergebiete als zusätzliches Bewertungskriterium eingeführt. Der aus den historischen Flächenangaben ermittelte Quotient wird als 100% festgesetzt, eine Abweichung von diesem Wert, egal in welcher Richtung, wird als negativ bewertet.

Daten zum Untersuchungsabschnitt I liegen nicht vor. Die fünfstufige Bewertungsskala für die Veränderung des Quotienten ergibt sich wie in Tabelle 5.2.1.5 beschrieben.

Tab. 5.2.1.5: Bewertungsskala für die Veränderung des Quotienten aus der Fläche der Wattgebiete und der Fläche der Flachwassergebiete

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Veränderung < 10% Veränderung < 30% Veränderung < 50% Veränderung < 70% Veränderung ³ 70%

 

- Fläche des Tiefstwasserbereiches

Im Rahmen der Nutzbarmachung der Tideelbe für die Schiffahrt wurde durch wiederholte Vertiefung der Hauptstromrinne sowie damit verbundene Querschnittserweiterungen die ursprüngliche Morphologie des Flusses einschneidend verändert. Eine durchgängige, in ihrer Breite und Ausdehnung kaum veränderliche Rinne, in welcher die Strömung gebündelt wird, ist nicht Bestandteil des Querprofils eines natürlichen Flachlandflusses. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, wird die Ausdehnung dieser Rinne in die Bewertung mit einbezogen. Bewertet wird die Veränderung der Fläche des sogenannten Tiefstwasserbereiches (definiert als MTnw minus 10 Meter) gegenüber einem historischen Zustand (Flächenberechnung und Auswertung siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1).

Die historische Größe der Fläche wird als 100% gesetzt. Vergrößerungen der Fläche werden negativ bewertet. Eine fünfstufige Bewertungsskala für die Vergrößerung der Tiefstwasserfläche ergibt sich wie in Tabelle 5.2.1.6 beschrieben.

Tab. 5.2.1.6: Bewertungsskala für die Zunahme der Tiefstwasserfläche

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Zunahme < 10% Zunahme < 30% Zunahme < 50% Zunahme < 70% Zunahme ³ 70%

- Querschnittsausprägung

Im natürlichen Zustand entsteht die morphologische Strukturvielfalt in einem Ästuar durch das ungehinderte Zusammenspiel hydrodynamischer, klimatischer und geologischer Prozesse. Im Interesse der Nutzung der Tideelbe durch den Menschen mußten diese dynamischen Prozesse eingeschränkt oder auf bestimmte Bereiche begrenzt werden. Ein Kennzeichen für diese Eingriffe ist die Veränderung des Querschnittes durch Regelungsbauwerke wie Buhnen, Parallelwerke und Leitdämme. Das Kriterium "Querschnittsausprägung" bewertet diese Veränderung anhand einer fünfstufigen Bewertungsskala (Auswertung siehe auch PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1) wie in Tabelle 5.2.1.7 dargestellt. Untersuchungsabschnitt VII erhält keine Wertung, da das Untersuchungsgebiet in diesem Bereich keinen Flußcharakter mehr besitzt.

Tab. 5.2.1.7: Bewertungsskala für die Querschnittsausprägung

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Querschnitt auf der gesamten Fließstrecke ohne Regelungsbauwerke Querschnitt auf £ 10% der Fließstrecke mit Regelungsbauwerken Querschnitt auf £ 50% der Fließstrecke mit Regelungsbauwerken Querschnitt auf £ 90% der Fließstrecke mit Regelungsbauwerken Querschnitt auf > 90% der Fließstrecke mit Regelungsbauwerken

- Uferverbau

Der Ausprägung einer natürlichen Uferbiozönose sind in der Tideelbe an vielen Stellen Grenzen durch den Verbau der Ufer mit unterschiedlichsten Materialien gesetzt. Die Ufer sind im Untersuchungsgebiet auf weiten Strecken mit Steinschüttungen, Pflasterungen, Kaimauern oder Vorsetzen befestigt. Bei der Bewertung bleibt unberücksichtigt, daß verschiedene Verbauformen einen unterschiedlichen Natürlichkeitsgrad haben. So sind zum Beispiel Steinschüttungen auf jeden Fall ökologisch wertvoller als senkrechte Kaimauern aus Stahlbeton. Bewertet wird lediglich der prozentuale Anteil von unverbautem Ufer an der gesamten Uferlänge. Ein fünfstufige Bewertungsskala für den Uferverbau (Auswertung siehe auch PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1) ergibt sich wie in Tabelle 5.2.1.8 dargestellt.

Tab. 5.2.1.8: Bewertungsskala für den Uferverbau

sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
geringe
Wertigkeit
sehr geringe
Wertigkeit
Anteil des unverbauten Ufers > 90% Anteil des unverbauten Ufers > 70% Anteil des unverbauten Ufers > 50% Anteil des unverbauten Ufers > 30% Anteil des unverbauten Ufers £ 30%

- Ausprägung der ästuartypischen morphologischen Strukturvielfalt

Das natürliche Ästuar zeichnet sich durch eine Vielfalt verschiedener morphologischer Elemente aus. Der Strom ist strukturiert durch Inseln und Sände, die Nebenarme entstehen lassen. Die Ufer weisen Buchten und Altarme auf und bei entsprechend flacher Uferneigung existiert ein verzweigtes Netz von Priel- und Marschgräben. Diese morphologischen Strukturen haben entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der aquatischen Tier- und Pflanzengemeinschaft (ARGE ELBE, 1994). Umfangreiche anthropogene Eingriffe haben in einigen Elbabschnitten bereits zu einem erheblichen Verlust dieser Biotopelemente geführt.

Bei der Bewertung dieser Veränderungen wird abgeschätzt, wie stark die morphologische Strukturvielfalt eingeschränkt ist. Soweit möglich werden historische Seekarten zum Vergleich herangezogen. Es werden lediglich sehr hohe, mittlere sehr geringe Wertigkeit vergeben.

Biologische Faktoren

- Ausprägung der Auenvegetation

Die Uferzone eines natürlichen Fließgewässers wird von einer Vegetation mit einer typischen Zonierung besiedelt. Bei ausreichend niedriger Strömungsgeschwindigkeit entwickelt sich ein Röhrichtgürtel, auf den mit zunehmender Entfernung vom Wasser ein Auwald mit Weidenaue und Hartholzaue folgt. In einem Ästuar kommen als weitere typische Elemente im Bereich des Salzeinflusses Brackwasserröhricht, Salzwiesen und Salzwatten mit Vegetation hinzu. Diese Biotoptypen stehen je nach Wasserführung unterschiedlich lange mit dem Hauptstrom in Kontakt, und sind entscheidende Elemente der Strukturvielfalt im Biotop Fließgewässer.

Der Ausbreitung dieser typischen Vegetation sind heute in der Tideelbe durch Eindeichung, Fahrrinnenausbau, Uferbefestigung und vor allem durch die Nutzung der Vordeichsländer durch den Menschen Grenzen gesetzt. Diese Veränderungen müssen in die Bewertung des Lebensraumes eingehen.

Grundlage für die Einbeziehung dieser Elemente in die hydrobiologische Bewertung bildet die Biotoptypenkartierung nach Materialband VI (Flora und Fauna, terrestrische Lebensgemeinschaften) und die darauf aufbauende "zusammenfassende Biotoptypendarstellung" (vergl. PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997), aus der die folgenden Biotop-Obertypen in diese Bewertung übernommen werden:

1. Hartholzauwald 8. Brackwasserröhricht
2. Weidenauwald 9. Flußröhricht
3. Sumpfwald 10. sonstiges Röhricht
4. Weidenauengebüsch 11. Uferstaudenflur
5. Salzwatt mit Vegetation 12. Uferpioniervegetation
6. untere Salzwiese 13. Sumpf
7. obere Salzwiese 14. naturnahe stehende und fließende Gewässer

Bei der Bewertung wird überschlägig abgeschätzt, welche Flächenanteile der Vordeichflächen heute mit auentypischen Elementen bedeckt sind, wobei unberücksichtigt bleibt, ob es sich dabei um die vollständige Auenzonierung (s.o.) handelt. Exakte Angaben über die Größe dieser Flächen konnten zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Bewertung nicht gemacht werden, es soll aber erwähnt werden, daß auentypische Vegetationselemente heute weniger als ein Viertel der Vordeichflächen besiedeln.

Für Untersuchungsabschnitt VII lagen zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Bewertung keine entsprechenden Informationen vor.
Es werden sehr hohe, mittlere und sehr geringe Wertigkeit vergeben:

Sehr hohe Wertigkeit: Der überwiegende Teil des Vordeichlandes wird von auentypischen Vegetationselementen besiedelt.
Mittlere Wertigkeit: Auentypische Vegetationselemente auf dem Vordeichland sind durch intensive Nutzung zurückgedrängt.
Sehr geringe Wertigkeit: Auentypische Vegetationselemente auf dem Vordeichland sind stark zurückgedrängt, große Teile der Fläche des Vordeichlandes sind versiegelt oder überbaut.

Aus den obigen Bewertungskriterien ergibt sich ein Bewertungskatalog für die lebensraumtypischen Faktoren wie in Tabelle 5.2.1.9 dargestellt. In der Tabelle bedeutet:

-D : Nur eine Abnahme wird bewertet

+D : Nur eine Zunahme wird bewertet

D : Eine Veränderung unabhängig von der Tendenz wird bewertet

Tab. 5.2.1.9: Kriterienkatalog und Bewertungsskala für die lebensraumtypischen Faktoren

Bewertungskriterium

sehr hohe

WertigKeit

Hohe

Wertigkeit

Mittlere

Wertigkeit

geringe

Wertigkeit

sehr geringe

Wertigkeit

Hydrologische

Faktoren

         
MTnw D < 10% 10% £ D < 30% 30% £ D <50% 50% £ D < 70% D ³ 70%
MThw D < 10% 10% £ D < 30% 30% £ D <50% 50% £ D < 70% D ³ 70%
Tidenhub D < 10% 10% £ D < 30% 30% £ D <50% 50% £ D < 70% D ³ 70%
Strömungsklima Strömungsregime überwiegend heterogen. Zahlreiche Zonen mit mildem Strömungsklima   Strömungsregime im UA wenig heterogen. Wenige Zonen mit mildem Strömungsklima   Strömungsregime im UA überwiegend monoton. Zonen mit mildem Strömungsklima vorwiegend durch Regelungsbauwerke.
Morphologische Faktoren Sehr hohe Wertigkeit

Hohe

wertigkeit

Mittlere wertigkeit geringe Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit
Fläche Deichvorland -D < 10% 10% £ -D < 30% 30% £ -D <50% 50% £ -D < 70% -D ³ 70%
Fläche Watt -D < 10% 10% £ -D < 30% 30% £ -D <50% 50% £ -D < 70% -D ³ 70%
Fläche Flachwasser -D < 10% 10% £ -D < 30% 30% £ -D <50% 50% £ -D < 70% -D ³ 70%
Quotient Flachw./Watt D < 10% 10% £ D < 30% 30% £ D <50% 50% £ D < 70% D ³ 70%
Fläche Tiefstwasser +D < 10% 10% £ +D < 30% 30% £ +D <50% 50% £ +D < 70% +D ³ 70%
Querschnitts-Ausprägung Fließstrecke mit natürlicher Querschnittsausprägung ohne Regelungsbau-werke. Querschnitt der Fließstrecke in maximal 10% des UA mit Regelungsbauwerken. Querschnitt der Fließstrecke in maximal 50% des UA mit Rege-lungsbauwerken. Querschnitt der Fließstrecke in über 50% des UA durch Regelungs-bauwerke verän-dert. Querschnitt der Fließstrecke in über 90% des UA durch Regelungs-bauwerke verändert.
Uferverbau < 10% verb. Ufer < 30% verb. Ufer < 50% verb. Ufer < 70% verb. Ufer ³ 70% verb. Ufer
Morphologische StrukturVielfalt Morphologische Strukturvielfalt im UA entspricht der eines natürlichen Ästuars.   Natürliche morphologische Strukturvielfalt im UA ist eingeschränkt.   Natürliche morphologische Strukturvielfalt im UA ist stark eingeschränkt.
Biologische

Faktoren

Sehr hohe Wertigkeit

Hohe

wertigkeit

Mittlere wertigkeit geringe Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit
Auenvegetation Vegetation des Überschwemmungsgebietes zeigt überwiegend die für ein Ästuar typischen Auenelemente.   Auenvegetation auf den Überschwemmungs-gebieten durch intensive Nutzung deutlich zurückgedrängt.   Auenvegetation auf den Überschwemmungs-gebieten sehr stark zurückgedrängt. Es überwiegen versiegel-te und überbaute Flächen.
  = Wertstufe nicht definiert

 

5.2.1.2 Zusammenfassende Bewertung der lebensraumtypischen Faktoren

In Tabelle 5.2.1.10 ist die Bewertung der sieben Untersuchungsabschnitte anhand der lebensraumtypischen Faktoren dargestellt. In Anlehnung an die Bewertung in Kapitel 9.2 (PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997) werden die Wertigkeiten hier zur besseren Übersichtlichkeit als Noten von 1 bis 5 dargestellt, wobei Note 1 sehr hoher Wertigkeit entspricht.

Tab. 5.2.1.10: Bewertung der Untersuchungsabschnitte nach den lebensraumtypischen

Faktoren

Bewertungskriterium

UA

VII

UA

VI

UA

V

UA

IV

UA

III

UA

II

UA

I

Hydrologische Faktoren              
MTnw   1 2 2 3 5 5
MThw   2 2 2 3 3 3
Tidenhub   1 1 1 3 5 5
Strömungsklima 1 3 5 3 3 5 5
Morphologische Faktoren              
Fläche Deichvorland 1 1 4 3 5 5 4
Fläche Watt 1 1 2 1 1 3
Fläche Flachwasser 2 3 1 2 3
Quotient Flachw./Watt 2 4 3 5 5  
Fläche Tiefstwasserbereich 1 4 4 5 5  
Querschnittsausprägung   3 3 2 4 5 4
Uferverbau 3 3 3 2 3 5 4
Morphologische Strukturvielfalt 3 3 3 3 3 5 5
Biologische Faktoren              
Auenvegetation   3 5 3 5 5 5
  = keine Bewertung

Für eine Bewertung der morphologischen Typen in UA II lagen keine schlüssigen Bilanzierungen vor. Aufgrund der extremen Überformung dieses Untersuchungsabschnittes gegenüber einem Zustand von vor ca. 100 Jahren wird pauschal sehr geringe Wertigkeit vergeben.
Die Veränderung der Summe von Watt- und Flachwasserfläche in Untersuchungsabschnitt I erhält mittlere Wertigkeit (siehe PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT NORD, 1997; Kapitel 7.1).