Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3 HYDROBIOLOGISCHE EINSCHÄTZUNG DES IST-ZUSTANDES

Primärproduzenten

Aus den Ergebnissen ist abzuleiten, daß der aktueller Zustand (Zeitraum seit der 13,5 m-Fahrwasservertiefung sowie Nachlaufzeit) durch eine stete Veränderung gekennzeichnet ist. Im Elbe-Ästuar bestimmen hydrodynamische, physikalisch/chemische und biologische Prozesse grundsätzlich in der von ROHDE (1971) beschriebenen Weise das Ökosystem Tideelbe. Tidenhub und Strömungsgeschwindigkeiten unterliegen dabei einer kurzzeitigen Rhythmik. Sie bewirken ein "Pendeln" des Wasserkörpers, der sich durch den Einfluß des Oberwassers "sägezahnartig" seewärts bewegt. Eine längerfristige Periodik ergibt sich aus den jahreszeitlich bedingten unterschiedlichen Abflußverhältnissen, die weiterhin durch den Einfluß z.T. mehrjähriger abflußreicher oder trockener Phasen modifiziert werden (Abb. 3.1). Gemessen an der mittleren Durchflußmenge in der unteren Tideelbe ist die Oberwassermenge nur relativ gering1; der Einstrom von Seewasser führt zur Bildung von Brackwasser (Kap. 2.4.3). Langfristig erfolgte eine Verschiebung der oberen Brackwassergrenze2 elbeaufwärts bis Lühesand Nord, wie sie anhand von Chloriddaten bei niedrigen Oberwasserabflüssen von BERGEMANN (1995) sowie veränderter Vorkommensgrenzen mariner Benthosorganismen bei unterschiedlich hohen Oberwasserabflüssen von Riedel-Lorjé et al. (1995) bereits belegt werden konnte. Dabei werden die unterschiedlichen Halinitätszonen von bestimmten Phytoplankton-Gemeinschaften besiedelt.

Abb. 3.1: Schematische Darstellung der Verschiebungen des Trübstoffmaximums infolge unterschiedlicher Oberwasserführungen (ARGE ELBE, 1988 modifiziert)

Die hydrodynamisch bedingten horizontalen und vertikalen Salzgradienten sowie ihre Verschiebung sind für die Ausbreitung verschiedener Organismen von wesentlicher Bedeutung (Kap. 2.5, Kap. 2.6, Kap. 2.7, Kap. 3). So ermöglicht die vertikale Salzgehaltsschichtung marinen Organismen ein Vordringen über Grund bis in eine Zone, die an der Wasseroberfläche bereits Süßwasser aufweist (Kap. 2.6.2).

Bei einem relativ hohen Nährstoffangebot bestimmen schwankende Salzgehalte und dichte Trübungswolken die biologischen Verhältnisse des oligo-/mesohalinen Brackwassergebietes im Elbe-Ästuar. In diesem Gebiet physiologisch ungünstiger Salzgehalts-Verhältnisse liegt das sog. "Artenminimum" (REMANE & SCHLIEPER, 1958), auch wenn es hier zeitweise durch Verdriftung und Einschwemmungen aus den Nebenflüssen zu höheren (Individuen-) Artenzahlen kommen kann. Im Gegensatz zu den, über einen wesentlich weiteren Brackwasserbereich verbreiteten, euryhalinen marinen Algen nehmen die limnischen im Übergang vom oligo-/mesohalinen Brackwassergebiet stark ab. Aufgrund dieser asymmetrische Verteilung ist allgemein eine relativ artenarme aber individuenreiche Flora und Fauna zu erwarten (Kap. 3.1), wie sie Extrembiotope charakterisiert (THIENEMANN, 1939).

Die Bedeutung des Brackwassergebietes für die Primärproduktion im gesamten Elbe-Ästuar scheint sich aber im Verlauf der letzten Jahrzehnte verändert zu haben. Hierauf geben die Untersuchungen von Plankton und Mikrophytobenthos (Tab. 3.1.1) einen Hinweis (Kap. 3.1, Kap. 3.2).

Tab. 3.1.1: Untersuchungen von Plankton und Mikrophytobenthos in den Jahren vor 1960, zwischen 1960-1988 und ab 1989 (Kap. 2.5.1, Kap. 2.5.2) während unterschiedlicher Ausbauphasen im Elbe-Ästuar3

Plankton-Untersuchungenvor 19601960-1988ab 1989
Längsprofil gesamtx  
Abschnitte xx
punktuell x 
Mikrophytobenthos-Untersuchungenvor 19601960-1988ab 1989
Längsprofil gesamt   
Abschnitte  x
punktuellxx 

Fußnoten:

1.) Der mittlere Oberwasserabfluß beträgt am Pegel Neu Darchau ca. 700 m³ sec-1, die Durchflußmenge (je nach Tide) bei Glückstadt 15.000-20.000, bei Brunsbüttel 20.000-30.000, bei Cuxhaven über 40.000 m³ sec-1 (BERGEMANN, mdl. Mitt.).
2.) Die obere Brackwassergrenze kann sich im Extrem um ca. 60 km verlagern; d.h. bei Tnw zwischen km (A) 715 (Otterndorf/Altenbruch) und km (A) 650 (Lühesand) plus einem Tideweg bis Thw von ca. 10-15 km (RIEDEL-LORJÉ et al., 1992).
3.) 1936-1950 10 m-MTnw Ausbau; 1960: Inbetriebnahme des Stauwehrs Geesthacht; 1957-1962: 11 m-Ausbau; 1964-1969: 12 m-Ausbau; 1974-1978: 13,5 m-Ausbau (ARGE, 1984)