Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3.5 Benthos Nebenflüsse

Im Rahmen der UVU wurden die Nebenflüsse zweimal im Jahr beprobt. Hiermit ist es möglich, einen Überblick über das vorhandene Artenspektrum und die Abundanzen der einzelnen Taxa zu bekommen. Zu Beginn der Untersuchungen war davon ausgegangen worden, daß sich bei den zuständigen Wasserämtern ausreichendes Datenmaterial befände, um dieses mit den selbst erhobenen Daten vergleichen zu können und eine Einschätzung der bisherigen Veränderungen in der Benthosbesiedlung vornehmen zu können.

Für die tidebeeinflussten Bereiche der Nebenflüsse liegen jedoch keine Untersuchungen der Ämter vor, außer den, im Auftrag des WSA Hamburg von SCHUHMACHER (1961) in den südlich der Elbe gelegenen Nebenflüsse Este, Lühe, Schwinge und Oste durchgeführten Beprobungen. Das Benthos der Este wurde noch von STEEGE (1991) untersucht, jedoch fehlen in dieser Arbeit quantitative Angaben. Für die Lühe, Pinnau, Oste und Ilmenau können die Makrozoobenthosuntersuchungen der ARGE ELBE (1991) mit herangezogen werden. Sie beziehen sich aber nur auf die Steinschüttungen am Gewässerrand und nicht auf Sedimentproben. Erschwerend kommt hinzu, daß bei allen Untersuchungen mit verschiedenen Methoden gearbeitet worden ist. So wurden bei SCHUHMACHER (1961) zwar auch Greiferproben genommen, es gibt aber keinen Hinweis im Methodenteil, mit welcher Siebgröße die Proben gesiebt wurden. Ebenso ist nicht erkennbar, wie oft die Beprobungen an den einzelnen Stellen durchgeführt wurden. Eine Einordnung der 1993 und 1996 vorgefundenen Benthosbesiedlung anhand früherer Ergebnisse ist somit schwer möglich. Im Folgenden soll dennoch versucht werden, eine Bewertung der Benthosbesiedlung in den Nebenflüssen vorzunehmen.

Die mittleren Individuenzahlen pro m2 in den einzelnen Nebenflüsse lagen im gleichen Rahmen wie die im entsprechenden Abschnitt der Tideelbe gefundenen gemittelten Abundanzen (Kap. 2.6.2.1.2), oft sogar darüber. Am häufigsten vertreten waren, wie auch in der Tideelbe, die Arten Limnodrilus hoffmeisteri, Limnodrilus claparedeanus, Limnodrilus profundicola und Potamothrix moldaviensis. Die Ergebnisse der Nebenflüsse reihen sich in die Befunde anderer Autoren für den Elbebereich ein. Nach POSEWANG-KONSTANTIN (1992) stellte Limnodrilus hoffmeisteri auch im Mühlenberger Loch die bestandsbildene Art dar. Als Begleitarten kamen Limnodrilus claparedeanus und Limnodrilus profundicola vor. In den von ORTEGA et al. (1994) untersuchten Hafenbecken lagen zwar die Individuendichten mit meist über 200.000 Individuen m-2 höher, als die in den Nebenflüssen gefundenen Abundanzen, doch dominierten auch dort die Tubificiden. Limnodrilus hoffmeisteri, Limnodrilus claparedeanus und Limnodrilus profundicola kamen im Mittel im Verhältnis 60 % : 30 %: 10 % vor. Auch in den Arbeiten von DZWILLO (1966), PFANNKUCHE (1977) und MATTHIAE (1977) wurde Limnodrilus hoffmeisteri sowohl für den limnischen als auch für den oligohalinen Bereich der Tideelbe als dominante Art beschrieben. Die o.g. Limnodrilus-Arten sind weit verbreitet und haben keine besonderen Habitatsansprüche. Durch ihre Anpassungsfähigkeit können sie in dem weiten Bereich von Sand bis Schlick siedeln.

Betrachtet man die Artenzahlen in den untersuchten Nebenflüssen und vergleicht sie mit der von PFLUG et al. (1992) bei seiner Bewertung der Besiedlungsdichte des Gewässerbodens mit Wirbellosen anhand von bachtypischen Arten vorgenommenen Einteilung, so hätten die Lühe, Pinnau und Ilmenau im Beprobungsjahr eine mittlere Artenvielfalt aufgewiesen. Die Este, Schwinge, Oste, Krückau und Stör wären im Hinblick auf ihre Artenvielfalt als erheblich gestört einzustufen. ORTEGEA et al. (1994) bezeichnen die Bodenfauna der Hamburger Hafenbecken mit 25 Arten als artenarm. Demnach wären alle acht Nebenflüsse als artenarm einzustufen. Die von der ARGE ELBE (1991) für das oberflächennahe Zoobenthos der Pinnau ermittelte Artenzahl von elf, wird von ihr als sehr gering für ein Nebengewässer eingeschätzt. Betrachtet man die Bodenfauna nicht isoliert, sondern bezieht die Uferfauna mit ein, d. h. man betrachtet die für das Benthos in einem Gewässer in Frage kommenden Lebensräume gemeinsam, so kommt man z.B. bei der Lühe zusammen mit den von der ARGE ELBE (1991) gefundenen Arten(gruppen)zahlen auf über 50 Benthosarten. Damit wäre sie sicherlich nicht als erheblich gestört einzustufen. Die Lühe wies im Vergleich mit den anderen Nebenflüssen auch in den einzelnen Proben mit die größten Artenvielfalten auf.

Die variierenden Dominanzverhältnisse der einzelnen Organismengruppen in der Stör könnten durch das Vorkommen der unterschiedlichsten Sedimenttypen bedingt sein. In der Stör wurden an den Probestellen sowohl Grob-, Mittel-, Feinsand als auch Schlick gefunden, während die anderen Nebenflüsse weniger unterschiedliche Sedimenttypen aufwiesen. Die Habitatvielfalt in der Stör ermöglichte es verschiedenen Organismen, dominant zu sein.

Insgesamt läßt sich für alle Nebenflüsse feststellen, daß der Einfluß der Tide ihre Biotope entscheidend gestaltet, wie es auch schon von SCHUHMACHER (1961) festgestellt wurde. Er unterscheidet hierbei - nach ihrer Wirkung auf die Fauna - drei Komponenten:

1. die wechselnde Strömungsrichtung
2. die erhöhte Strömungsgeschwindigkeit im Unterlauf
3. die periodischen Änderungen des Wasserstandes

Der rhythmische Wechsel der Strömungsrichtung durch die Tide führt zu einem intensiven Einfluß der Elbe auf die Nebenflüsse. Am Beispiel der Este konnte STEEGE (1991) zeigen, daß das mit der Flut einströmende Elbewasser in der Este von der Mündung bis zur Ortschaft Estebrügge eine Erhöhung des Chlorid-, Nitrat- und Phosphatgehaltes bewirkt und damit dazu beiträgt, daß die Este unterhalb von Estebrügge als "kritisch belastet" zeitweise auch als "stark verschmutzt" einzustufen ist.

Die erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten sind mitverantwortlich für die hohen Schwebstoffgehalte in der Pinnau, Krückau und Stör. SCHUHMACHER (1961) konnte in seinen Untersuchungen den begrenzenden Einfluß der Strömung auf die Besiedlung des Bodens am Beispiel der Oste zeigen. Unterhalb km 50 war die Bodentierwelt bis auf wenige Tubificiden unbesiedelt, die zur Mündung hin immer weniger wurden und ab km 71,8 ganz verschwunden waren. Das Sediment (schlickiger Feinsand), das hier den Grund des Gewässer bedeckt, war durch die hohe Stromgeschwindigkeit in ständiger Bewegung und der Lebensraum der Tiere dadurch mehr oder weniger gestört. Nach SCHUHMACHER sind die hydrographischen Faktoren in der Oste indirekt über die durch sie hervorgerufene Sedimentverteilung wirksam. In unseren Untersuchungen wurden auch unterhalb km 71,8 Organismen gefunden. Dabei handelte es sich im wesentlichen um den Polychäten Marenzelleria viridis, der aufgrund seiner Lebensweise (er baut Röhren bevorzugt in weichen Feinsand), in der Lage ist dort zu siedeln.

Die periodischen Änderungen des Wasserstandes verhindern in den Nebenflüssen die Bildung eines biologisch produktiven Litorals. Am Beispiel der Schwinge konnte SCHUHMACHER (1961, S.209) zeigen: "Dem im tidefreien Abschnitt vielgestaltigen Formenreichtum des Litoralbezirks steht - als Folge des periodischen Trockenfallens des für die biologische Produktion wichtigsten Gewässerteils - eine an Arten verarmte und an ökologischen Typen einseitig geprägte Fauna im Tidegebiet gegenüber.". Die Bildung eines produktiven Litorals wird zusätzlich durch die verschiedenen Uferbefestigungen und durch die Verschlickung von Uferzonen (ARGE ELBE, 1991) erschwert.

Die drei o.g. Komponenten bewirken einen schnellen Wechsel der Lebensbedingungen und kennzeichnen damit die Nebenflüsse als zugehörig zum astatischen Gewässertyp (THIENEMANN, 1950). Nach SCHUHMACHER (1961) ist der astatische Charakter der von ihm untersuchten Nebenflüsse die Hauptursache für die festgestellte Artenarmut und Beschränkung auf wenige ökologische Typen.

Abschließend sei noch am Beispiel der Oste gezeigt, daß sich der Gezeiteneinfluß seit den Untersuchungen von SCHUHMACHER (1961) in Folge der Baumaßnahmen in der Tideelbe verstärkt hat. In seinen Untersuchungen ließ sich der Brackwassereinfluß bis Fluß-km 67 nachweisen. Im Untersuchungsjahr 1993 wurde der Polychät Capitella capitata, der nach HARTMANN-SCHRÖDER (1971) gelegentlich bis zur oberen Grenze des oligohalinen Brackwassers vordringt, noch mehr als 20 km oberhalb an der Probestelle NO V (Fluß-km 40) vorgefunden. Der limnische Bereich der Oste hat sich demnach schon entschieden verkleinert.

Die Zunahme des Tidenhubes als Folge der bisherigen Vertiefungen und damit die Absenkung der mittleren Tideniedrigwasserlinien hat bisher dazu geführt, daß nicht nur die Seitenräume der Fahrrinne der Tideelbe, sondern auch die kleinen Ästuare der Nebenflüsse trockenfallen (KAUSCH, 1994) und damit ein Verlust ökologisch wichtiger Flachwassergebiete einhergeht. Dies ist an der Este schon gut zu beobachten. Bei Niedrigwasser besteht die Este in ihrem Mündungsgbiet nur aus der Fahrrinne, die durch Unterhaltungsbaggerei aufrecht erhalten werden muß.