Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3.2 Mikrophytobenthos

Das Mikrophytobenthos der Tideelbe ist bisher nur wenig bearbeitet worden. So sind im historischen Rückblick die Ergebnisse aufgrund der wenigen Untersuchungen und aus methodischen Gründen (Kap. 2.5.2) nicht vergleichbar. Dies gilt sowohl für Artenzusammensetzung als auch für die Biomasse. Auch fehlen alte Untersuchungen und Mikrophytobenthos-Längsprofile, die vollständig und mit den aktuellen Messungen methodisch vergleichbar sind.

In der neueren Literatur erfolgte eine Zuordnung des Mikrophytobenthos zu den Stromkilometern (u.a. GÄTJE, 1991), allerdings gibt es bisher nur Untersuchungen im unteren Süß- und Brackwasser. Da die Daten Zeiträume aus verschiedenen Jahreszeiten und mit unterschiedlichen Oberwasserführungen bzw. Salzgehalten umfassen, ist eine abschnittsbezogene Kartierung (UVU-Vorgabe) nicht möglich. Nach bisherigen Untersuchungen ist gegenwärtig die Produktion und Biomasse des Mikrophytobenthos in der unteren limnischen Region und, im Gegensatz zum Plankton (Kap. 2.5.3, Kap. 3.2), im Mesohalinikum besonders hoch (Kap. 2.5.2).

Die ökologische Bedeutung der vom Mikrophytobenthos besiedelten Wattenflächen ist hoch. SEEMANN (1993) rechnet das Neufelder Watt dem außerordentlich hochproduktiven Wattenmeer zu, welches eine durchschnittliche Produktivität von 500 g m-² (organischer Trockensubstanz) pro Jahr aufweist. Das Mikrophytobenthos spielt auf den Wattengebieten eine wichtige Rolle bei der Sauerstoffversorgung der Oberflächensedimente und der darüberstehenden Wassersäule (WILTSHIRE, 1992). Sie wird wesentlich durch das Licht gesteuert, was indirekt auch aus der saisonalen Biomasseverteilung mit einem Maximum im Juni abzulesen ist (Abb. 3.2.1). GÄTJE (1991) ermittelte für den aktuellen Zeitraum eine durchschnittliche Bruttoprimärproduktion der benthischen Mikroalgen im Elbe-Ästuar von 193 g C m-² pro Jahr, entsprechend einer errechneten Nettoproduktion von 164 g C m-² pro Jahr. Im Vergleich zu der etwa 5-7 fachen Nettoprimärproduktion pro Flächeneinheit durch Makrophyten, in der Elbe fast ausschließlich Schilf, spielt allerdings das Phytobenthos (und besonders das Phytoplankton) eine untergeordnete Rolle. Nach Untersuchungen von FAST (1993) beträgt die Nettoprimärproduktion des Phytoplanktons im Jahresmittel nur etwa ein Viertel der des Mikrophytobenthos. Allerdings muß über den relativen flächenbezogenen Vergleich der Primärproduktion auf die absolute Verteilung der Schilf- und Wattenflächen im Ästuar (ARGE ELBE, 1984; KIES et al., 1992) hingewiesen werden (UVU: KURZ, 1995). Da die Makrophyten jedoch nur noch ein kleines Gebiet von ca. 14 km² besiedeln, gewinnen die benthischen Mikroalgen, besonders die einzelligen Diatomeen im Schlickwatt, für die Primärproduktion erheblich an Bedeutung (Tab. 3.2.1).

 

Tab. 3.2.1: Biomasse und Primärproduktion im Elbe-Ästuar (KIES et al., 1994, mod.)

Lebensgemeinschaft Gebiet

[km²]

Biomasse

[t]

Primärproduktion [t C a-1] Quelle
Phytoplankton 158 1.875 10.000 FAST 1993
Mikrophytobenthos 60 225 2.933 GÄTJE 1991
Makrophyten 14 25.000 25.000 SEELIG in press
Total 232 27.100 37.933  

Im Elbe-Längsschnitt ist ein seewärts abnehmender Trend der Primärproduktion zu beobachten, mit einem leichten Anstieg im äußeren Ästuar. Im Vergleich zur Fahrrinne der Tideelbe unterhalb Hamburgs weisen die Flachwassergebiete (z.B. Mühlenberger Loch und Dwars Loch) im Frühjahr/Sommer, also zur Zeit der Phytoplanktonblüte, die höheren Sauerstoffgehalte auf (Kap. 2.5.4). Da es gleichzeitig durch einen Anstieg der temperaturbedingten Zehrung in der vertieften Fahrrinne zwischen Hamburg und Brunsbüttel zu Sauerstoff-Defiziten (O2-Täler) kommt (Kap. 2.4.1), haben die Flachwasserbereiche und Watten einen entscheidenden Anteil an der Sauerstoffbilanz des Elbe-Ästuars (Kap. 3.1, Kap. 3.2). Nach Berechnungen der ARGE ELBE (1984) sind durch Baumaßnahmen zwischen 1900 und 1981/82 zwischen Hamburg und Brunsbüttel bzw. Cuxhaven etwa 1.327 ha an Flachwasserbereichen und Wattgebieten verloren gegangen, was zu einem Sauerstoffverlust für die Tideelbe von 60-110 t O2 d-1 geführt hat.

Eine weitere wesentliche Funktion des Mikrophytobenthos liegt in der biologischen Stabilisierung der Sedimente im Hinblick auf ihre Erosion (KIES & NEUGEBOHRN, 1994). Hieraus ergibt sich eine Verzahnung einerseits zwischen den Wattenflächen als Lebensraum für Mikrophytobenthos, Sauerstoffproduktion, Benthosorganismen, Sauerstoffverbrauch, Sekundärproduktion (Abb. 3.2.1, Kap. 2.6) und andererseits zur hydrologischen und verkehrswirtschaftlichen Bedeutung der Verlagerung der Sedimente.

Mikrophytobenthos entwickelt seine Hauptaktivitäten auf den Watten bei Tideniedrigwasser und reichert die Sedimentoberfläche mit Sauerstoff an. Dabei verhält es sich je nach Wasserbedeckung und artlicher Zusammensetzung unterschiedlich. Während sich die Strömung im Hauptfahrwasser infolge der Ausbaumaßnahmen deutlich erhöht hat, ist sie in den flachen Seitenräumen tendenziell zurückgegangen. In den Flachwasserbereichen wie Mühlenberger Loch und Dwars Loch entwickelt sich heute aufgrund der hohen Trübung das Mikrophytobenthos besser als das Plankton, was auf die vorrangige Bedeutung der sessilen Gemeinschaft für die Primärproduktion hinweist.

Wie schon für das Plankton beschrieben, führen nachteilige Veränderungen im Schwebstoff-Gehalt, der Wassertiefe und des Lichtklimas, d.h. eine Verringerung der euphotischen Zone, zum Rückgang auch der benthischen Lebensgemeinschaft. Denn im Bereich des Trübstoffmaximums gibt es nur in den oberen 20 cm ausreichend Licht (Kap. 2.5.4) und dort ist bei Ebbe in den obersten Sedimentschicht (0,3 - 0,9 mm) eine Sauerstoffproduktion der benthischen Mikroalgen möglich (SEEMANN, 1993). So müssen auch die mikrobenthische Primärproduktion und der Sauerstoffhaushalt im Zusammenhang mit der Fläche und Hydrographie der Watten betrachtet werden (Kap. 2.5.4). Die hohen Werte der Sauerstoffproduktion auf den limnischen Watten (ARGE ELBE, 1984; Kap. 2.5.4) lassen auf ihre große ökologischen Bedeutung schließen. Nach bisherigen Untersuchungen ist die Biomasse entlang des Salzgradienten im Mesohalinikum höher als im mixo-/oligohalinen Bereich, wo sich offensichtlich die Salzgehaltsschwankungen stärker auswirken (WILTSHIRE, 1992). Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zum Phytoplankton. Dadurch gewinnt das Mikrophytobenthos gegenüber dem Phytoplankton hinsichtlich der Primärproduktion für das Mesohalinikum an Bedeutung. Hier sind daher die Wattenflächen für die Primärproduktion unverzichtbar.

Abb. 3.2.1: Schema der Faktoren, die einen Einfluß auf das Mikrophytobenthos ausüben (GÄTJE, 1991)