Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3.1 Phytoplankton

Gegenwärtig ist die Biomasse des Phytoplanktons in der limnischen Zone des Ästuars oberhalb des Hamburger Hafens am höchsten, was durch das Chlorophyll-Maximum bestätigt wurde (WOLFSTEIN & KIES, 1995). Hier betrug z.B. die sommerliche Biomasse des Jahres 1987 ca. 200 µg Chlorophyll a pro Liter (KIES et al., 1992), nach eigenen Messungen 1993 ca. 100 µg l-1 (Kap. 2.5.3). Es herrschen also gute Bedingungen für die planktischen Algen. Im Hamburger Hafen kommt es zu einem erheblichen Verlust an Primärproduzenten (Phytoplankton: Zellzahlen, Biomasse, Chlorophyll) durch Sedimentationsprozesse aus der euphotischen Zone (Kap. 2.5.4). Hierbei wird ein erheblicher Anteil von ihnen irreversibel geschädigt (ORTEGA et al., 1994). Unterhalb Hamburgs erfolgt ein Abbau der geschädigten Algen im limnischen Elbeabschnitt, was sich dort in einem starken Rückgang der Chlorophyll- und Chlorophyllabbau-Konzentration zeigte. Im Hamburger Hafen und unterhalb von Hamburg fand ein hoher Chlorophyll-Abbau mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch durch den Abbau von sedimentierten und resuspendierten Primärproduzenten und ihren Exsudaten statt. Parallel zu einer deutlichen Verringerung des Sestongehaltes seewärts (ab km (A) 694) stiegen die Chlorophyll-Konzentrationen dann wieder an, wobei sich das Verhältnis von Chlorophyll zu Chlorophyllabbau positiv entwickelte. Erst im polyhalinen und marinen Bereich kann aufgrund eines günstigeren Lichtklimas wieder eine bessere Chlorophyllproduktion erfolgen, die aber nicht die Werte in der oberen Tideelbe erreichte (Abb. 3.1.1).

Abb. 3.1.1: Chlorophyll-a-Gehalt (HPLC-Methode) und Salzgehalt von Oberflächenproben im Längsschnitt des Elbe-Ästuars vom April 1993 (KIES et al., 1994), Kilometerangaben (A)

Ein Vergleich der Chlorophyllgradienten im Elbelängsschnitt aus dem abflußreichen Sommer 1987 (Kap. 2.3, Kap. 2.4.3) von KIES et al. (1992) mit den eigenen Daten aus dem trockenen Sommer 1993 zeigt deutlich, daß der starke Abfall des Chlorophyllgehaltes 1987 bei ca. km (A) 650 lag, während er 1993 bereits oberhalb von km (A) 630 (Kap. 2.5.3) erfolgte. Diese Verschiebung steht in einem direkten Zusammenhang zum ersten seewärtigen Salzgehaltsanstieg und dem Trübstoffmaximum (Kap. 2.4.3).

Nach Moon & Dunstan (1990) ist die Rate von Phaeopigmenten zu Chlorophyll ein Anzeiger für den physiologischen Zustand der Algen4. In diesem Sinne ist aus den eigenen Untersuchungen im Mai und Juli 1993 nur im polyhalinen Bereich auf einen guten physiologischen Zustand des Phytoplanktons zu schließen. Im Übergang zwischen der oligohalinen und der mesohalinen Brackwasserzone können sich einerseits die mit dem Oberwasser in die Brackwasserzone eingetragenen limnischen Phytoplankter nicht dem zunehmenden Salzgehalt des Wassers anpassen und sterben ungefähr bei 5 ‰ Salinität ab (Kies et al., 1992; Kap. 3). Andererseits vertragen marine Phytoplankter, die in das Elbe-Ästuar eindringen, keine vollständige Aussüßung. Darüber hinaus ist hier eine Massenentwicklung der verbleibenden pflanzlichen Plankter aufgrund der ungünstigen Lichtverhältnisse stark eingeschränkt (Kap. 2.5.1). In den eigenen Untersuchungen fiel das Trübungsmaximum zwischen km (A) 680 und 687 direkt mit einem relativ erhöhten Chlorophyllabbau zusammen, welcher bei einem Salzgehalt von 1,1 ‰ sein Maximum bei km (A) 680 hatte (Kap. 2.4.3, Kap. 2.5.3). Im Bereich der maximalen Trübung wurden die meisten toten Algenzellen und die niedrigsten Chlorophyllwerte gefunden; BernÁt et al. (1995) ermittelten in diesem Bereich über einen Tidezyklus Chlorophyllwerte von nur 1,0-5,7 µg l-1.

Aus dem Zusammenhang zwischen Licht und Planktonbiomasse wird deutlich, daß das Phytoplankton im Elbe-Ästuar grundsätzlich nicht nährstoff- (Kap. 2.4.2) sondern lichtlimitiert ist (Kies et al. 1992, Fast 1993), so daß es die hohen Nährstoffgehalte des Elbewassers nicht ausschöpfen kann. Hieraus läßt sich die Bedeutung des limnischen Abschnitts der Tideelbe für die Phytoplankton-Primärproduktion ableiten (Kap. 3.2; RIEDEL-LORJÉ et al., 1995). Nach Angaben der ARGE ELBE (1990) ist die Tideelbe damit als wenig sensitiv für die erhöhten Nährstoffmengen einzustufen. Allerdings haben Untersuchungen zu mixotrophen Nahrungsaufnahme von Substanzen, wie z.B. Glucose, ergeben, daß manche Algen organische Substanzen aufnehmen, und damit möglicherweise die Auswirkungen der schlechten Lichtverhältnisse teilweise ausgleichen (Wolfstein, 1990). Faßt man die Ergebnisse der Chlorophyll- und Sauerstoffmessungen zusammen, dann wird der Sauerstoffgehalt der oberen Tideelbe, oberhalb des Hamburger Hafens, trotz hoher Sauerstoffzehrungsraten durch die Primärproduzenten mitbestimmt. Im Bereich des Sauerstoff- und Chlorophyllgradienten über das Hafengebiet bis in den limnisch-brackigen Bereich überwiegt in der warmen Jahreszeit die Sauerstoffzehrung gegenüber den Sauerstoff nachliefernden Prozessen (Kap. 2.4.1). Ein wichtiger Punkt ist hierbei das Verhältnis von Wasseroberfläche zu Wasservolumen.

In den neueren Veröffentlichungen erfolgte für das Plankton eine Zuordnung zu den Stromkilometern (u.a. ARGE ELBE, 1977-1994; FAST, 1993). Die Untersuchungen beinhalten aber keine ausreichend dichten Meßstellen bzw. keine größeren Zeiträume. Eine Darstellung zur Beschreibung und Bewertung langfristiger und übergreifender Daten ist daher bisher nicht möglich. Denn um regionale Daten zu Phasen gleichen Salzgehaltes sowie übereinstimmende saisonale Aspekte vergleichen zu können, ist eine größere Zahl von vergleichbaren Daten-sätzen (Kap. 2.5.1) nötig. Diese fehlen für den aktuellen Zeitraum. Für das Chlorophyll wurde zwar eine Zuordnung zu den Stromkilometern vorgenommen; sie unterliegt aber den bereits oben für das Plankton beschriebenen regionalen Schwankungen und ist daher nur eingeschränkt aussagekräftig.

Die Bewertung der eigenen Messungen erfolgt anhand einer sechsstufigen Skala (Tab. 3.1.2):

Tab. 3.1.2: Konzentrations-Bewertungs-Skala anhand eigener Meßreihen für Chlorophyll-a Bestimmungen nach der HPLC-Technik

BewertungKonzentrationen
sehr gering< 1 µg l-1
gering1-5 µg l-1
wenig5,1-10 µg l-1
mittel10,1-20 µg l-1
hoch20,1-40 µg l-1
sehr hoch> 40 µg l-1

Während nach eigenen Untersuchungen 1993 die Chlorophyll-Konzentrationen oberhalb von Hamburg als sehr hoch bewertet wurden, waren diese unterhalb im limnischen und Brackwasserbereich nur noch gering bis sehr gering (Tab. 3.1.3). Die Betrachtung der Ergebnisse im Längsschnitt erfolgte entsprechend dem Salzgradienten nach der klassischen Einteilung in limnisch, brackig und marin (Kap. 2.3, Kap. 2.4.3). In den eigenen Messungen auf den drei Längsschnitten 1993 erstreckte sich die limnische Region bei Messungen 2 Stunden vor Kenterpunkt Flut etwa bis Stadersand. Auf die oligo- und mesohaline Zone folgt zwischen Ostemündung und Cuxhaven die polyhaline Zone, d.h. der marine Bereich. Diese Bereiche sind nicht starr an Kilometer gebunden, sondern verschieben sich mit der Tide und dem Oberwassereinfluß. DOERFER (1979) beobachtete sogar an der Trübungszone bei Brunsbüttel, daß sich der Wasserkörper in vier Stunden um rund 50 km verlagerte und dabei während eines Tidedurchganges ein Gebiet von ca. 90 km überstrichen wurde. Da diese Dynamik grundsätzlich den Aufenthaltsort der aquatischen Lebensgemeinschaft beeinflußt, unterliegen die unten für den Chlorophyllgehalt dargestellten Abschnitte (Tab. 3.1.3) einer erheblichen regionalen Schwankung, vor allem dort, wo Chlorophyllgradienten vorliegen.

Tab. 3.1.3: Bewertung der mittleren Chlorophyll-Gehalte (HPLC-Methode) nach eigenen Untersuchungen von 1993 bezogen auf sieben Kilometer-abschnitte in der Elbe (Messungen ca. 2 h vor Kenterpunkt Flut; Oberwasserabfluß vgl. Kap. 2)

Abschnittvon km (A) - bis km (A)Meßorte bei km (A)Bewertung
I586-610608hoch
II610-632630gering
III632-650638, 645sehr gering - gering
IV650-677654, 660, 670, 675sehr gering - gering
V677-704680, 687, 694, 700sehr gering - gering
VI704-727706, 712, 719, 725wenig - mittel
VII727-756keine Messungen 

Im historischen Ansatz sind die Ergebnisse der verschiedenen qualitativen und quantitativen Plankton-Untersuchungen (siehe Tab. 3.1) aus methodischen Gründen schwer vergleichbar (Kap. 2.5.1), denn es fehlen dort entsprechende Chlorophyll-Messungen. Ein Vergleich der ausgewerteten Phytoplankton-Artenlisten ergibt, daß sie im wesentlichen mit der aktuellen übereinstimmen5 (Kap. 2.5.1; RIEDEL-LORJÉ, et al., eingereicht). Dennoch gibt es Hinweise auf Veränderungen.

Im Vergleich mit anderen nordeuropäischen Ästuaren weisen zwar die Artenkataloge große Übereinstimmungen auf, aber die Primärproduktion des Phytoplanktons der Tideelbe ist relativ niedrig (Kap. 3.2). Dies weist auf die Bedeutung des Lichtangebotes als trotz hohen Nährstoffangebots limitierender Faktor für die Planktonentwicklung im Elbe-Ästuar unterhalb von Hamburg hin, wie dies bereits THIEMANN (1934) feststellte und es auch für andere Brackgewässer beobachtet wurde (AGATHA et. al. 1994). Aufgrund der hohen Trübung und starker Turbulenzen in der Tideelbe ist die Verweilzeit des Phytoplanktons in der euphotischen Zone so kurz, daß nur etwa 20 % zur biogenen Sauerstoffproduktion beitragen können (FAST, 1993). Die zwischen 1931 (THIEMANN, 1934) und 1993 beobachtete Verschiebung des Gewässer-Zustandes läßt sich zwanglos mit der Zunahme der mittleren Wassertiefe im Fahrwasser und der infolge anhaltender Baggertätigkeiten und Sedimentverklappungen lokal gestiegenen Trübung (PAUL, 1992) erklären. So wird in Folge der größeren Wassertiefe das Verhältnis von durchlichteter zu undurchlichteter Wasserschicht kleiner, und es verringert sich die Photosyntheserate in der Wassersäule. Damit bewirken sowohl die erhöhten Trübstoffgehalte als auch die Vergrößerung der aphotische Zone eine Einschränkung der Primärproduktion bei gleichzeitig vermehrter Zehrung. Die Nettosauerstoffproduktion wird somit zweigleisig vermindert. Daher sind die gutbelichteten Flachwassergebiete vor und auf den Watten und in den Nebenelben für den Populationserhalt von Phytoplankton wichtig. Gerade hier kommt es aber durch die bisherigen Strombaumaßnahmen zu einer zunehmenden "Verlandung" (KAUSCH, 1995), was sich nachteilig auf die Primärproduktion des Phytoplanktons auswirkt.

In diesem Zusammenhang sei noch einmal ausdrücklich auf die Bedeutung der Flachwassergebiete für das Phytoplankton hingewiesen (FAST, 1993; auch Kap. 3.2). So stellt viel Zooplankton (Kap. 2.7.1) und ein hoher Fischreichtum (Kap. 2.7.2) in Nebenelben hinter dem Hahnöfer Sand (Kap. 2.6) einen Hinweis darauf dar, daß hier eine starke Entwicklung des Phytoplanktons stattgefunden haben muß.

Während vor der Wiedervereinigung das Sauerstoffdefizit unterhalb von Hamburg etwa zur Hälfte auf Nitrifikation beruhte, ist es in den neunziger Jahren auf die Aktivität von heterotrophen Bakterien zurückzuführen, deren organisches Substrat zu einem Großteil aus Algendetritus besteht (WOLFSTEIN & KIES, 1995). Dies ist als Folge einer Sekundärverschmutzung durch Abbau von Plankton aus dem Hamburger Hafen zu werten.

Im Vergleich zu älteren Planktonuntersuchungen hat sich der wesentliche Einschnitt der Primärproduktions-Kurve im Elbelängsprofil, d.h. das Phytoplankton-Minimum deutlich elbeaufwärts verlagert (Kap. 2.5.1). Dabei hat die "Sedimentationskammer Hamburger Hafen" (Abb. 3.1.2) der "Brackwasser-Sinkstofffalle" im Bereich des Trübstoffmaximums im oberen Brackwassergebiet (Abb. 3.1.3) den Rang abgelaufen.

Abb. 3.1.2: Konzentrationen von Chlorophyll-a [µg l-1] und Chlorophyllabbau-Pigmenten [µg l-1] im Elbe-Längsprofil am 13. 5. 1993 in 1 m Wassertiefe bei ca. 2 h vor Kenterpunkt Flut, Kilometerangeben (A)

 

Abb. 3.1.3: Verschiebung von Trübstoffwolke, Phytoplanktonbiomasse (CHLa), Schwebstoffen (SPM), Salinität (S) und Ausdehnung des Süßwasser-Tidebereichs ("Tidal Fresh Reaches") bei geringem (oben) und hohen Oberwasserabfluß (unten). (SCHUCHARDT, 1990)

Fußnoten:

4.) Ein Faktor kleiner als 1 deutet auf eine gesunde, gut wachsende Phytoplanktongemeinschaft hin, wohingegen ein Faktor größer als 1 einen sich zunehmend verschlechternden physiologischen Zustand der Algen beschreibt.
5) Abweichungen haben vorrangig methodische Gründe, wie z.B. qualitative und quantitative Unterschiede in der Probenahme oder veränderte Taxonomie. Daher dürfen bei einer Bewertung z.B. die von SCHULZ (1961) festgestellten 390 Phytoplankton-Arten (Vorkommen im ganzen Gebiet, in der oligohalinen und mesohalinen Zone) den 89 Arten (Gesamtartenliste) von FAST (1993) nicht gegenübergestellt werden und daraus ein Rückgang von >300 Arten während der letzten drei Jahrzehnte abgeleitet werden.