Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

"Man kann es verstehen, wenn die niederelbische Landschaft nur in geringer Wertung steht. Sie verzichtet in der Tat auf alles, oder doch fast alles, was gemeinhin sinnenfällig ist: grüne Waldwogen, schroffe Felsen, geschwungene Pfade mit verträumten Ausblicken, zwischen Moosgestein zu Tal schäumender Wildbach. Alle diese wundervollen Bilder des Felsenbodens suchen wir hier vergebens. Am Septembermorgen röhrt kein Hirsch, die Nachtigall selbst meidet dieses kahle Nebelland (...)."

(LINDE 1908)

1 EINLEITUNG

1.1 Anlaß der Untersuchung

Die Außen- und Unterelbe dient als Zufahrt zum Hamburger Hafen. Der gegenwärtige Ausbauzustand der Fahrrinne ermöglicht Schiffen mit einem Tiefgang von bis zu 12 m Hamburg tideunabhängig zu erreichen und zu verlassen. Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu 13,80 m können Hamburg tideabhängig anlaufen und verlassen. Die großen Containerschiffe der 3. und 4. Generation (ab Baujahr 1980) und der Post-Panmax-Klasse (ab Baujahr 1992) können vollbeladen nur mit der Flut die Elbe herauffahren. Elbabwärts ist die Fahrt nur mit verringerter Beladung möglich. Um die Bedingungen des Schiffsverkehrs zu verbessern, soll die Fahrrinne dem Tiefgang der großen Containerschiffe angepaßt werden.

Für die Genehmigung der Fahrrinnenanpassung ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens erforderlich. Die Grundlage dafür bildet eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU), mit deren Durchführung die Planungsgruppe Ökologie + Umwelt, Hannover/Hamburg im Dezember 1993 beauftragt wurde. Das vorliegende Fachgutachten behandelt als Bestandteil der UVU die Auswirkungen des Vorhabens auf das Schutzgut Landschaft (UVPG ' 2, Abs. 1).

1.2 Landschaft und Landschaftsbild

Das Bundesnaturschutzgesetz fordert die nachhaltige Sicherung von "Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft..." (' 1 Abs. 1 BNatSchG). Damit ist die Richtung der Untersuchung des Schutzgutes Landschaft vorgegeben: Die Möglichkeiten, die die Landschaft für menschliches Erleben bietet, sind zu ermitteln, zu bewerten und auf ihre Gefährdung hin zu untersuchen. Da die Infrastruktur für die landschaftsbezogene Erholung im Rahmen der UVU zur Anpassung der Fahrrinne der Elbe bereits innerhalb des Fachgutachtens "Allgemeine Umweltnutzungen" (MATERIALBAND XIV) behandelt wird, steht im Mittelpunkt dieses Gutachtens die ästhetische Dimension der Landschaft. Hierfür sind die Begriffe "Landschaftsbild" oder "Landschaftserleben" gebräuchlich.

Das Landschaftsbild ist die Gesamtheit der äußeren, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen in einem durch natürliche und/oder anthropogene Faktoren geprägten Landschaftsraum inklusive der Beziehungen zwischen dem sinnlich Wahrgenommenen und den damit verbundenen physischen und psychischen Prozessen beim Betrachter (FELLER 1979). Der Augenschein dominiert bei der Landschaftswahrnehmung, daneben nehmen auch Gehör und Geruchssinn Reize auf. Geschmacks- und Tastsinn haben eine untergeordnete Bedeutung. Das Landschaftsbild ergibt sich jedoch erst in der Verbindung dieser äußeren Reize mit dem Wissen und den Emotionen des Betrachters.

Abb. 1: Faktoren, die die Wahrnehmung der Landschaft beeinflussen (aus: FELLER 1979, zit. n. PLANUNGSGRUPPE ÖKOLGIE + UMWELT 1993)

abb01

Innerhalb der Landschaftswahrnehmung können drei Ebenen unterschieden werden (NOHL 1980, zit. n. ADAM, NOHL, VALENTIN, 1986):

  • Die sinnliche oder perzeptive Sinnschicht: Unmittelbares, unreflektiertes Wahrnehmen von Formen, Farben, Räumen, Licht, Temperatur, Geruch.
  • Die symptomatische Sinnschicht: Landschaft und ihre Bestandteile werden als Zeichen größerer Zusammenhänge historischer, aktuell politischer, ökologischer oder persönlich-biographischer Art begriffen. Die aufgenommenen Reize sprechen das Hintergrundwissen oder persönliche Erinnerungen des Betrachters an.
  • Die symbolische Sinnschicht: Landschaft und ihre Bestandteile werden assoziativ mit Bedeutungen belegt, da sie Wunschvorstellungen oder Ängste beim Betrachter ansprechen.

Die Wahrnehmung findet auf diesen drei Ebenen parallel statt, sie können jedoch, je nach Situation, unterschiedliches Gewicht haben.

1.3 Landschaftsbildschutz

Das Landschaftsbild ist die Ebene der emotional-ästhetischen Beziehung des Menschen zu Natur und Landschaft. Positive Beziehungen dieser Art gehören nicht nur zu den Voraussetzungen für landschaftsbezogene Erholung (die ein Ziel des BNatSchG ist), sie sind auch eine notwendige Bedingung für einen verantwortungsbewußten Umgang des Menschen mit seiner Umwelt. Darüber hinaus bietet das Landschaftsbild Anknüpfungspunkte und den Rahmen für die Beschäftigung mit ökologischen, kulturellen und historischen Zusammenhängen.

Das Landschaftsbild muß gegen den ubiquitären Trend einer landschaftsästhetischen Nivellierung, der besonders von der Ausdehnung der Siedlungsflächen, der Rationalisierung in Land- und Forstwirtschaft und dem Bau moderner Verkehrswege ausgeht, geschützt werden. So hat in der Vergangenheit der Ausbau der Wasserstraßen in Europa zur starken Veränderung der großen Flußsysteme geführt. Die in ihrer naturnahen Ausprägung sehr unterschiedlichen Flüsse wurden den in der Binnen- wie in der Seeschiffahrt standardisierten Schiffstypen angepaßt und verloren damit neben ökologischen Funktionen auch weitgehend ihren ursprünglichen ästhetischen Charakter.

Landschaften hoher kulturhistorischer Eigenart sind Zeugnisse der Geschichte. Für ihre Bewohner besteht die Möglichkeit zur Identifikation mit der Landschaft und damit die Voraussetzung für emotionale Bindung im Sinne von Heimat. Für Besucher ist ihre Entstehung ablesbar, die Landschaft auf der symptomatischen Sinnschicht gut erlebbar. Fällt die landschaftliche Eigenart der Angleichung durch nicht landschaftsspezifische Nutzungen zum Opfer, bedeutet das Heimatverlust und verschlechterte Nachvollziehbarkeit der Landschaftsgeschichte.

Insgesamt ist ein "Verarmungs- und Verfremdungseffekt" zu konstatieren, der die "...Minderung des Landschaftserlebnisses, der Inspiration, des Heimatgefühls und den Verlust der Geschichte sowie der Wahrnehmungssensibilität für Umweltunterschiede und -veränderungen" beim Menschen bewirkt (GAREIS-GRAHMANN 1993).