Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

4.3 Vorbelastungen

4.3.1 Morphologische und hydromechanische Veränderungen durch Ausbau und Eindeichung

Die Situation im Elbeästuar ist geprägt durch erhebliche Verluste von Vordeichsfläche, Schließung von Nebengewässern, Verkürzung von Prielen sowie die Verkleinerung von Wattfläche und Flachwassergebieten. Damit sind direkt großflächig Lebensräume der gebietstypischen Vogelgemeinschaften vernichtet worden. Die verbliebenen Reste naturnaher Elbufer sind durch Nutzungsansprüche der Seeschiffahrt und durch Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung weiter gefährdet. Während Naturschutzmaßnahmen und -programme allmählich bei der Reduzierung von Beeinträchtigungen und Gefährdungen durch landwirtschaftliche Nutzung Fortschritte machen, verschlechtert sich die Situation der Vogellebensräume immer noch durch Veränderungen morphologischer Strukturen.

Die systemtypische Dynamik des Stroms im Elbeästuar ist heute in einem stark überformten Flußbett verändert, lokal abgeschwächt oder verstärkt. Damit ist die eigentlich struktur- und wertgebende Hochwasserdynamik ein durch Eingriffe überlagerter Einflußfaktor.

Lokal gehen durch verstärkte Abrasion am Rand der vertieften Fahrrinne Sandbänke verloren oder strömungsexponierte Vorlandfläche wie im Bereich des Hullenbrammers. Wasserbauliche Stabilisierungsmaßnahmen wirken durch statische Festlegung veränderlicher Biotope ebenso beeinträchtigend auf Vogellebensräume. Demzufolge werden natürliche Entstehung und dynamische Veränderungen hoch gelegener Sandwatten, Sandbänke und -inseln zu Mangelfaktoren des Biotopkomplexes der Küstenlebensräume insbesondere in Flußmündungsgebieten (z. B. Dahl & Heckenroth 1983, Hötker 1995, Oelke 1993). Dies wirkt limitierend auf die Ansiedlung großer Küstenvogelkolonien und die Verbreitung anspruchsvoller ästuartypischer Vogelarten.

Diese Entwicklung ist typisch für alle deutschen Nordsee-Ästuare und im Vergleich mit Weser und Eider in der Elbe noch weniger stark fortgeschritten. Grundsätzlich besteht deshalb für die Erhaltung und Wiederherstellung ästuariner Vogellebensräume besondere Verantwortung, insbesondere für das Elbeästuar. Generell sollten deshalb zusätzliche Strombaumaßnahmen unterlassen werden, die zur Verschlechterung der hier beschriebenen Situation beitragen. Vorrangig sind Maßnahmen zur Verringerung der beschriebenen Beeinträchtigungen durch Rücknahme des Ausbaus und der Einengung des Flußbettes erforderlich. (Schuchardt et al. 1993)

4.3.2 Direkte und indirekte stoffliche Belastungen

Wesentliche Belastungen des Ökosystems und der typischen Lebensgemeinschaften sind neben Lebensraumverlust und -veränderung durch Ausbau und Eindeichung:

  • Kontamination der Sedimente und Anreicherung von Umweltgiften (insbesondere Schwermetallen) in der Nahrungskette
  • Verölung von Vögeln als indirekte Folge von Schiffshavarien in der Elbmündung
  • Auswirkungen stofflicher Belastungen auf die Vitalität und Reproduktion der Vögel

Die gravierendsten Auswirkungen auf das Ökosystem Außen- und Unterelbe und seine Zönosen haben allgemeine und spezielle stoffliche Belastungen der Elbe, ihrer Ufer und Sedimente. Diese Beeinträchtigungen von Lebensraum und Lebensgemeinschaft nahmen wiederholt katastrophale Ausmaße an. Sie sind zum einen auf das Gefährdungspotential einer viel befahrenen Großschiffahrtsstraße im Bereich der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals und der Industrieschwerpunkte im Bereich der Stader und Brunsbüttler Elbufer zurückzuführen, zum anderen auf die sehr hohe Vorbelastung durch Stoffeinträge im Einzugsgebiet der Elbe oberhalb Hamburgs und Direkteinleitungen im Hamburger Raum (Arge Elbe 1992, Podlouky & Wilkens 1977, Schuchardt et al. 1993). Aktuell entspannt sich die Belastungssituation bei einzelnen Stoffgruppen deutlich.

Eine Folgeerscheinung belasteter Sedimente und Flachwassergebiete sind Botulismusepidemien. Botulismusepidemien, soweit sie erkannt wurden, gab es im Elbeästuar bereits 1982, 1983, 1984, 1986, 1992 und zuletzt 1995. Die bisher größten Verluste brachte die 1983er Epidemie mit insgesamt 40.000 Opfern in der Wedeler Marsch.

Bei der Entstehung dieser Epidemien sind als primäre Auslöser oft andere Mortalitätsfaktoren als die Botulismus-Infektion anzunehmen, da sich Botulismus-Bakterien in Tierkadavern entwickeln (Westphal 1991). Eine allgemein schlechte Konstitution, verminderte Vitalität und Widerstandskraft sind in der Regel auf Schadstoffanreicherungen im Organismus zurückzuführen. Die begünstigenden Bedingungen für die epidemieartige Ausweitung von Botulismus wird deshalb letztlich auf die hohe Schadstoffbelastung der Elbe und ihrer Sedimente zurückzuführen sein.

Untersuchungen hierzu machten Becker et al. (1985, 1985a), die im Jahr 1981 Eier von typischen Küstenvogelarten aus verschiedenen Regionen der deutschen Nordseeküste auf chlororganische Verbindungen (Lindan, DDT, PCBs u. a.) und Quecksilber analysierten. Dabei stellte sich das Elbeästuar (Probenahmestellen: Hullen/Schwarztonnensand) in beiden Untersuchungen als die Region heraus, in der die Eier am stärksten kontaminiert waren.

So konnten bei Silbermöwe und Flußseeschwalbe als Fischfressern stark überhöhte Quecksilberwerte gefunden werden, die bei der Flußseeschwalbe in einem Bereich liegen, wo schon ein Rückgang des Schlupferfolges nachgewiesen werden konnte. Weitere Untersuchungen von Becker et al. (1992) sowie Beyerbach et al. (1993) dokumentieren die anhaltend hohe Belastung des Elbeästuars.