Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

7.2 Entwicklung des Untersuchungsraums ohne Durchführung der Maßnahme (Nullvariante)

Selbstverständlich bleibt der Untersuchungsraum in Zukunft auch ohne Durchführung einer Fahrrinnenvertiefung nicht konstant. Er ist aufgrund globaler Klimaschwankungen, Änderung von Nutzungen, Änderung der Wasserqualität usw. einem permanenten Wandel ausgesetzt. Hinzu kommen bereits geplante und genehmigte andere Nutzungen, die ihrerseits Auswirkungen auf den Strom und seine Überflutungsräume haben werden.

Es werden die im Februar 1997 herausgegebenen maßnahmenspezifischen Modellrechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau "Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe – Gutachten Hydromechanik – Auswirkung der "Nullvariante"" verwendet sowie die HT-Studie Nr. 75 "Übersicht über geplante Baumaßnahmen im Bereich des Hamburger Hafens als Grundlage für die Erstellung der Null-Variante der UVU" und die HT-Studie Nr. 81 "Über die Wirkung der Fahrrinnenanpassung an Unter- und Außenelbe auf die Hydrologie der Tidelbe vor dem Hintergrund möglicher Klima- und Meeresspiegel-Änderungen".

Zu den für die terrestrischen Biotoptypen wesentlichen Auswirkungen anderer geplanter und genehmigter Maßnahmen zählen:

  • Vorlandverluste durch Erhöhung und Verstärkung der Hauptdeiche und des Finkenwerder Vordeichs im Bereich der Hamburger Delegationsstrecke. Durch diese Maßnahmen werden sich keine Veränderungen der MTHW-Linie ergeben. Eine mögliche Erhöhung der Wasserstände bei Sturmfluten ist für die terrestrischen Lebensräume nicht relevant, wohl aber der generelle Verlust von Lebensraum, der die Lage weiter verschärft.
  • Hydraulische Auswirkungen durch Zuschüttung von Hafenbecken (Vulkanhafen, Indiahafen, Griesenwerder Hafen, Südwesthafen) und Ausbau und Vertiefung der Norderelbe bis in den mittleren Freihafen (Kaiser-Wilhelm-Hafen, Vorhafen) und der Süderelbe im Zuge der Hafenerweiterung Altenwerder. Die Wasserfläche im Hamburger Hafen wird nach den Planungen um etwa 40 ha abnehmen. Die verringerte Dämpfung des Tidegeschehens hat nach Abschluß der Umstrukturierungen Tidenhuberhöhungen zur Folge. Die Vertiefung der Süder- und Norderelbe auf 14,9 bzw. 15 m unter NN verstärkt die Reflektion an der am Übergang zu den Mittelelbe-Tiefen von nur etwa 3 m entstehenden Schwelle. Die beiden sich addierenden Effekte werden im Maximum im Hambuger Hafen eine Tidenhub-Erhöhung von ca. 2 cm nach sich ziehen, die bis Glückstadt auf etwa einen halben Zentimeter abgeklungen sein wird. Als MTHW-Erhöhung ergeben sich 0,9 cm bei Geesthacht bis 0, 2 cm bei Glückstadt.
  • Der Neubau des Este-Sperrwerks wird nur lokal zu Änderungen führen. Im unmittelbaren Einflußbereich der Maßnahme liegen allerdings bedeutende Vorkommen seltener und gefährdeter Moose.
  • Die Öffnung der Alten Süderelbe wird sich auf die Sedimentationsverhältnisse im Mühlenberger Loch und Köhlfleet auswirken, führt aber zu keiner weiteren Veränderung der Wasserstände in der Elbe. Für eine Öffnung liegen noch keine Modellrechnungen vor, da noch keine Angaben zur durchströmenden Wassermenge gemacht werden können.
  • Durch Wiederaufnahme der Reetnutzung im Amtsbereich des ALW Itzehoe sind Auswirkungen auf Flora und Fauna zu erwarten. Diese werden unmittelbar Gruppen wie Nachtschmetterlinge und Blattwespen betreffen, die in den Schilfstengeln leben und überwintern. Mittelbar werden Singvögel auf dem Zug betroffen sein, denen diese Larven und Puppen als Nahrung dienen. Der Einfluß auf die Flora dürfte eher geringer sein, da eine zusätzliche Belichtung des Bodens eine Zunahme der botanischen Artenvielfalt fördern dürfte. Als eine mögliche Ausgleichsmaßnahme sollte ein Ankauf der Reetnutzungsrechte in Erwägung gezogen werden.
  • Auf dem Spülfeld Glückstadt-Süd wird auf einer Strecke von 4 km vorgedeicht. Auswirkungen sind wegen des jetzt dort bereits bestehenden hohen Spülfelds nur bei sehr hohen Hochwässern zu erwarten und für Betrachtungen der MTHW-Linie nicht relevant.
  • Vertiefung der Liegewanne auf 11, 4 m unter NN und Erweiterung der Kaianlage des Nordhafens in Stade-Bützfleth. Die Auswirkungen wurden von der BAW in die oben genannten Berechnungen mit einbezogen und lassen sich von denen der Hafenzuschüttungen und -erweiterungen in Hamburg nicht trennen. Sie sind in die oben angegebenen Werte bereits einbezogen.
  • Verlegung des Fahrwassers der Ostemündung zur Sicherung des "Osteriff-Stacks". Eine vorübergehende Beeinträchtigung der Avifauna ist möglich, dauernde Auswirkungen sind jedoch nicht anzunehmen.
  • Der Amerikahafen in Cuxhaven wird in eine Mehrzweckumschlagsanlage mit Stromliegeplätzen umgestaltet. Die hydraulisch wirksamen Tiefen der Stromrinne liegen zwischen 15 und 18 m unter NN. Es ergeben sich nach der Modellrechnung zwischen etwa Neuwerk und Glückstadt Tidenhuberhöhungen von maximal einem halben Zentimeter und Erhöhungen der MTHW-Linie von etwa 0,2 cm.
  • Die Abflachung der Fahrrinnenkurve im Bereich des Leitdammes Kugelbake bis zu einer Ausbautiefe von etwa 15,25 m unter NN. Die Baggerungen weisen Vertiefungen von bis zu 3,5 m auf. Die Auswirkungen dieser Maßnahme sind in die oben genannte Maßnahme des Amerikahafens bereits eingerechnet.

Vorlandverluste, Neubau des Este-Sperrwerks, Öffnung der Alten Süderelbe, Vordeichung in Glückstadt und Verlegung des Fahrwassers der Ostemündung werden außer lokalen Einflüssen und Einflüssen bei hohen Sturmfluten keine erhebliche zusätzliche Belastung der terrestrischen Biotoptypen der Elbe darstellen. Der Neubau des Este-Sperrwerks vernichtet einen wichtigen Standort seltener und gefährdeter Stromtalmoose. Die Situation für die von starkem Rückgang bedrohten Moose wird dadurch noch schlechter (siehe Anhang 2: Moose).

Die Reetnutzung hat bei sachgerechter Durchführung nur geringe Auswirkungen auf die Pflanzenbestände, wohl aber auf die Bestände an Insektenlarven in den Stengeln. Daher wird der Untersuchungsraum als Lebensraum für Nachtschmetterlinge in seiner Bedeutung auch ohne Durchführung der Fahrrinnenanpassung etwas ungünstiger werden als derzeit (siehe Anhang 7: Nachtschmetterlinge).

Zuschüttung und Vertiefung von Hafenbecken im Hamburger Hafen, Vertiefung in Stade-Bützfleth, Umbau des Amerikahafens und Abflachung der Kurve am Leitdamm Kugelbake wurden gemeinsam in einer Modellrechnung der BAW betrachtet, die bezüglich der für die terrestrischen Lebensräume allein relevanten Erhöhung der MTHW-Linie nur einen Wert von 0 bis 0,9 cm ergab. Werte von unter einem Zentimeter liegen zwar unterhalb der Erheblichkeitsschwelle, bedeuten aber dennoch eine Verschärfung der Situation für die Außendeichs-Lebensräume, da der Effekt gleichsinnig zur Fahrrinnenanpassung verläuft und diese in ihren Auswirkungen noch verstärkt.

Aufgrund von Klimaänderungen sind weiterhin zwei wesentliche Faktoren zu erwarten:

  • Durch Extrapolation des bisherigen säkularen Meeresspiegel-Anstiegs ergibt sich in den nächsten 10 Jahren (angenommener Zeitraum zur Definition der Nullvariante) ein weiterer Anstieg von 1 cm, der in der Elbe zu einem MTHW-Anstieg von 2 - 3 cm und zu einem MTNW-Anstieg von 0 - 7 cm führen wird.
  • Die Zahl mittelhoher Sturmfluten (1,5 - 2,5 m über MTHW) wird geringfügig steigen, während die Häufigkeit hoher Sturmfluten und die mittlere Höhe von Sturmfluten unverändert bleiben wird.

Dies führt zu einer Vorwegnahme der Wirkungen einer Fahrrinnenvertiefung auf terrestrische Biotoptypen, indem höherliegende Flächen häufiger überschwemmt werden und der MTHW-Anstieg in zehn Jahren etwa der Wirkung der Maßnahme entspricht. (Für die zwischen Deich und Vegetationsgrenze liegenden terrestrischen Biotope ist die MTNW-Linie nicht maßgebend.)

Die Entwicklung der aquatischen Aushubdeponie Brammer Bank wird im Materialband VII behandelt, während das Spülfeld Pagensand hier betrachtet werden muß. Derzeit handelt es sich neben einigen Gewässern, einem Sumpfigen Weiden-Auwald und einem Tide-Weiden-Auwald in erster Linie um ausgedehnte seggenreiche Naßgrünland-Flächen, die unter den Schutz des § 15 LNatSchG und § 20c BNatSchG fallen. Derzeit ist eine Tendenz zu einer verstärkten Vernässung zu erkennen, da die Wasserhaltungsmaßnahmen aufgegeben wurden und die Gräben langsam ihre Funktion verlieren. Dies ist an sich ein positiver Prozeß für den Naturhaushalt. Da die Flächen 1992 zuletzt genutzt worden sind, ist allerdings eine selbständige Umwandlung in ein Röhricht zu erwarten. Die Flächen behalten zwar ihren Schutzstatus, werden aber eine Reihe gefährdeter Pflanzen- und Vogelarten verlieren. Eine fachgerechte Pflege dieser Flächen käme als mögliche Ausgleichsmaßnahme in Frage. Sie könnte gleichzeitig dem Schutz des Wachtelkönigs wie der Naßgrünländer dienen.