Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

6 Bewertung der Biotoptypen

6.1 Einführung und Aufgabenstellung

Ein wesentliches Ziel der Biotoptypenkartierung ist, auf der Grundlage genauer Datenerhebungen Bewertungen durchzuführen, die sich am tatsächlich vorhandenen Arteninventar und objektiv erfaßten ökologischen Faktoren orientieren, also mithin belegbar und nachvollziehbar sind.

Bisher gibt es keine einheitlichen Verfahren zur Bestimmung des Naturschutzwertes einer Fläche. Es gab bereits sehr früh verschiedene Ansätze (Berndt, Heckenroth & Winkel 1978, Berndt, Burdorf & Heckenroth 1983, Mulsow 1980, Pohl 1979), die sich aber meist auf höherwertige Lebensräume, wie Natur- und Landschaftsschutzgebiete beziehen. Bewertungen städtischer und deutlich von Menschen beeinflußter Lebensräume wurden bisher z. B. in Berlin, Hamburg, Kiel und Lübeck vorgelegt (Sukopp et al. 1984, Kaule 1984, Martens, Gillandt & Kurz 1985 & 1986, Hentschel & Kurz 1985 & 1987). Diese Bewertungen basierten auf einem Zahlenkonzept, in dem der Naturschutzwert einer ausgegliederten Fläche in neun Stufen (1-9) ausgedrückt wurde.

Eine Einzelbewertung von Biotopen wurde nicht für sinnvoll erachtet, da ein Biotop je nach betrachteter Individuengruppe sehr unterschiedlich groß ist. Ein Greifvogelbiotop beinhaltet Knicks, Grünland, Äcker und Wäldchen oder Röhrichte zum Brüten; auch viele Singvögel brauchen den räumlichen Zusammenhang von Knick zum Brüten und Acker und Grünland zum Nahrungserwerb. Ein Amphibienbiotop besteht aus Laichgewässer, Sommer- und Winterlebensraum. Für ausschließlich wassergebundene Lebewesen kann der Biotop nur die Größe eines Tümpels haben. Auch für Pflanzen ist der Biotop nicht allein die Stelle an der sie stehen, sondern es zählt auch der Bereich dazu, in dem ihre Bestäuber ihren Lebenszyklus vollenden. Da die Biotope überwiegend nach ihren Pflanzen umgrenzt werden, kann die Betrachtung von Einzelbiotopen ihren zoologischen Wert nicht darstellen.

Ein weiterer erschwerender Faktor ist die Abhängigkeit der Biotopbewertung vom betrachteten Bezugssystem (Untersuchungsraum). Aussagen zum Wert eines Biotops können nur in Relation zur ökologischen Gesamtsituation des jeweils betrachteten Gebietes getroffen werden. So ist die Schutzwürdigkeit einzelner Strukturen in unterschiedlicher Umgebung durchaus uneinheitlich zu sehen. Als Beispiel führt Kaule (1984) einen mesotrophen Graben (mit Wasser von mittlerem Nährstoffgehalt) an, der sich in einem nährstoffarmen Moor deutlich negativ auswirkt, da er Nährstoffe einträgt und durch sein Vorhandensein das Moor entwässert. Zwischen intensiv genutzten, gedüngten Wirtschaftsweiden ist er jedoch ein positiv zu bewertender Bestandteil der Kulturlandschaft. Überdies bietet er einer Anzahl von Tier- und Pflanzenarten, die an relative Nährstoffarmut gebunden sind, noch geeigneten Lebensraum in sonst ungeeigneter Umgebung und besitzt daher als Trittstein für solche Arten besondere Bedeutung.

Für diese UVU wird daher zur Bewertung der Natursituation und der Situation der Schutzgüter Flora und Fauna zunächst einmal eine Biotoptypenbewertung durchgeführt, die den Wert ganzer Biotoptypen beschreibt, unabhängig von ihrer Verbreitung im Untersuchungsraum.

Für die hier vorgesehene Form der Bewertung von Biotoptypen mit Zahlen müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die Wertstufenskala wird auf 5 Stufen beschränkt. Durch die in der Bewertung von Biotoptypen liegende Unschärfe gegenüber einer Bewertung konkreter Einzelbiotopflächen wäre die Angabe von weiteren Stufen eine Vortäuschung nicht vorhandener Genauigkeit. Außerdem ergibt sich so eine Deckung mit den 5 Wertstufen der PL-Nord für die gesamte UVU.
  • Die Abstände der 5 Wertstufen müssen ungefähr gleich sein und es darf sich weder bei den besonders guten wie schlechten eine stärkere Spreizung der Stufen ergeben. (Dies ist wegen des mathematisch zu begründenden Verbots der Verwendung von Ordinalzahlen gegenüber Kardinalzahlen zu beachten). Mit Ordinalzahlen (Reihungszahlen) kann man nicht Mittelwerte, Durchschnitte usw. bilden. Nur unter der Voraussetzung gleichen Abstandes zwischen den Wertstufen kann mit den dann verwendeten Kardinalzahlen gerechnet werden.
  • Die Biotoptypen müssen in ihrer Umgrenzung so angelegt sein, daß sie in sich so einheitlich sind, daß man unter einem Biotoptyp auch Biotope gleichen Wertes zusammenfaßt. Dies ist bei den bisher von uns verwendeten Kartierschlüsseln auch der grundlegende Gedanke für die Abgrenzung von Biotoptypen gewesen. Da wir hier den niedersächsischen Schlüssel aus Gründen der Einheitlichkeit übernehmen mußten, ist dies nicht in jedem Fall gewährleistet. So leistet z. B. der Biotoptyp "Gewerbegebiet" (OGG) keine Unterscheidung in ein strukturreiches Kleingewerbe mit ungenutzten Ecken mit seltenen Arten und ein mit einem ausgedehnten Zierrasen versehenes Gewerbegrundstück. Die biologische Wertigkeit der beiden Flächen ist sicherlich unterschiedlich. Auch beim Biotoptyp "Marschgräben" (FGM) reicht das Spektrum von vollkommen uninteressanten überdüngten und nur mit Wasserschwaden, Rohrglanzgras oder Schilf fast einartig bewachsenen Gräben bis hin zu wertvollen Refugien gefährdeter Arten mit Dutzenden von Rote-Liste-Arten.
  • Wir haben daher im Hinblick auf die Untersuchungsaufgabe, nämlich die Beurteilung der Erheblichkeit von Auswirkungen des Eingriffes auf Fauna und Flora pragmatische Unterschiede getroffen. Wir haben die ohnehin nicht von wenigen Zentimetern Wasserstandsänderung betroffenen Gewerbeflächen nicht weiter untergliedert, während wir für die bereits von geringen Wasserstandsänderungen betroffenen Gräben viele Untertypen geschaffen haben. Ähnliches gilt für die Uferbefestigungen und Flußwatt-Röhrichte.

Das jetzt verwendete Bewertungsschema ist von Wittkugel (1987) auf der Basis der Vorschläge von Kaule (1986) entwickelt und von uns modifiziert worden. Dies wiederum entstand aus der Kombination der Ansätze von Martens, Gillandt & Kurz (1983 & 1985) und Kaule (1984). Es wurde in dieser Weise erstmals im Biotopschutzkonzept Süderelbmarsch (Martens, Gillandt & Kurz 1985 & 1986) angewandt und ist seitdem gelegentlichen Modifizierungen (z. B. Kurz 1995) unterworfen worden. Für die Einstufung des Biotopwertes in eine Wertstufenskala von 1 - 5 werden 7 Kriterien berücksichtigt.

In der Praxis hat sich gezeigt, daß bei der Bewertung zwischen überwiegend typenspezifischen und überwiegend lagespezifischen Kriterien unterschieden werden kann. Dieser Unterscheidung kommt eine Bedeutung bei der pauschalen Abschätzung von Biotopflächen zu. Typenspezifische Kriterien können für jeden Biotoptyp, jede Pflanzengesellschaft oder Tiergemeinschaft sowie für einzelne Arten unabhängig von der Fläche abgeschätzt und bewertet werden. Lagespezifische Bewertungen hingegen können nur am konkreten Fall durchgeführt werden.

Bei einer Biotoptypenbewertung kann es sich nur um Kriterien handeln, die sich aus den Biotoptypen unabhängig von ihrer Lage entnehmen lassen (typspezifische Kriterien). Diese Kartierform ist gerade so aufgebaut, daß unterschiedliche Stufen der Nutzungsintensität auch als unterschiedliche Biotoptypen kartiert werden. So ist Intensiv-Grünland ein anderer Biotoptyp als mesophiles Grünland oder Naßgrünländer ohne und mit Seggen usw. Auch unterschiedliche Feuchtestufen werden bereits bei der Einteilung der Biotoptypen berücksichtigt. Flutrasen, Grünländer mittlerer Feuchtigkeit und Trockenrasen sind unterschiedliche Biotoptypen. Dies erleichtert nicht nur die Bewertung, sondern macht sie vor allem auch sinnvoll und nachvollziehbar.

Lagespezifische Kriterien konnten nicht eingebracht werden, da ganze Biotoptypen bewertet wurden, deren einzelne Biotope an unterschiedlichen Stellen auftreten. Eine Ausnahme bilden Biotope mit vielen Rote-Liste-Arten, die in der Regel einzeln kartiert und dargestellt wurden. Hier konnte ein konkretes Artensprektrum bewertet werden. Damit sind z. B. Einflüsse auf und von benachbarten Flächen nicht bewertbar. Bei einem Untersuchungsgebiet von mehr als 200 km2 wäre die Einzelbewertung von Biotopen ein nicht vertetbarer Aufwand, zumal der Wert eines Biotops für die Erheblichkeit des Eingriffs nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Jedes Kriterium wird nach einer fünfstufigen Werteskala ähnlich den Schulnoten bewertet. Da Kardinalzahlen verwendet werden, können alle Einzelwerte zu einem Gesamtwert gemittelt werden. In Kenntnis der Örtlichkeit kann unter Angabe von Gründen vom ermittelten Wert noch um einen Punkt nach oben oder unten abgewichen werden. Die Stufen bedeuten im einzelnen:

  1. dieser Zustand des betrachteten Kriteriums bzw. des Biotoptyps ist von hervorragender Bedeutung für den Naturschutz (entspricht "naturschutzwürdig")
  2. sehr wertvoll für den Naturhaushalt (entspricht etwa "landschaftsschutzwürdig" bzw. könnte als Geschützter Landschaftsbestandteil (GLB) ausgewiesen werden)
  3. wertvoll für den Naturhaushalt, oft wertvolle Ausgleichs- und Rückzugsflächen im besiedelten Raum
  4. für den Naturhaushalt eher neutral, es sind unbedingt Entwicklungsmaßnahmen zur Verbesserung notwendig
  5. weitgehend versiegelte oder unbelebte Strukturen, von denen oft negative Wirkungen auf den umgebenden Naturhaushalt sowie Grundwasser und Luft ausgehen, z. B. Äcker und Industrie sowie Gärten mit intensiver Anwendung von Pestiziden.

Die Biotoptypen-Bewertung hat sich im Rahmen bisheriger Biotoptypenkartierungen bewährt und lieferte eine brauchbare Arbeitsgrundlage für die Entwicklung von Zielvorstellungen, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen für den Biotop- und Artenschutz und die Abwägung unterschiedlicher menschlicher Ansprüche an Natur und Landschaft. Insbesondere besitzt sie denVorteil, daß aktueller Wert einer Fläche (Vorkommen gefährdeter Arten) und potentieller Wert (z. B. Moorboden trotz intensiver Nutzung mit hohem Wert unter Ersetzbarkeit) gemeinsam berücksichtigt werden. Für die kleinmaßstäbliche Nutzung zur Beurteilung von Eingriffen durch Bebauungspläne und die Ausgleichsberechnung in Grünordnungsplänen ist diese Bewertung jedoch nicht geeignet.

In die Bewertung aufgenommen wurde auch die Rote Liste der Pflanzengesellschaften. Da es in Hamburg und Niedersachsen keine solche Liste gibt, wurde die Liste aus Schleswig-Holstein (Dierssen et al. 1988) herangezogen. Bei diesem Punkt muß allerdings berücksichtigt werden, daß die meisten der im Intensiv-Nutzungsbereich des Menschen betrachteten Vegetationen sich nicht einer definierten Pflanzengesellschaft zuordnen lassen, sondern nur Rumpfgesellschaften mit vielfach unklarer Zuordnung zu höheren Einheiten darstellen. Auch sind hier die Zielvorstellungen wertmäßig unterhalb der gefährdeten Pflanzengesellschaften schwer zu definieren. (Wann erhält eine Rumpfgesellschaft den Wert 3, 4 oder 5?)