Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

1 EINLEITUNG

Im folgenden wird auf Anlaß und Aufgabenstellung (1), Relevanz der Aufgabenstellung (2), Stofftransport und Wirkfaktoren (3), Besonderheiten des Themas (4), Bearbeitungsschritte und Aufgabenteilung (5) eingegangen. Im Anschluß daran werden die von verschiedenen Untergruppen der "Schwebstoffgruppe", also den Autoren der MATERIALBÄNDE II a und II b, bearbeiteten Themenfelder ausführlicher vorgestellt (Kap. 1.1 bis 1.4).

(1) Für die geplante Anpassung der Fahrrinne der Unter- und Außenelbe an die Containerschiffahrt sind gemäß dem nach §5 UVPG festgelegten Untersuchungsrahmen im Gebiet der Tideelbe (zur feineren Unterteilung s. a. Kap.2.1 und MATERIALBAND II b), d.h. vom Wehr Geesthacht (km 586)1 bis zur Außenelbe (km 756), u.a. das Regime der Schwebstoffe sowie der gelösten Stoffe im Ist-Zustand zu beschreiben und die potentiellen Auswirkungen auf das Schwebstoffregime und den Gehalt an gelösten Stoffen durch den geplanten Ausbau zu prognostizieren (zur Definition von "Schwebstoffen" s. (3) sowie Glossar).

(2) Die Notwendigkeit zu einer umfassenden Bearbeitung des Themenkomplexes "Schwebstoffe und gelöste Stoffe" resultiert aus zahlreichen, vom Stofftransport im Wasser ausgehenden Wirkungen auf die Umwelt. Betroffene Schutzgüter sind die Fauna und Flora des Gewässers sowie der von ihnen besiedelten (und auch vom Menschen genutzten) Landschaften der Elbaue und wasserbauliche Anlagen, insbesondere Häfen und deren Zufahrten.

(3) Sowohl bezüglich des Transports als auch der Wirkungen unterscheiden sich Schwebstoffe, also durch die Turbulenz fließenden Wassers in Suspension gehaltene Feststoffe, auf der einen Seite und gelöste Stoffe auf der anderen Seite deutlich. Während sich gelöste konservative (also keiner Umsetzung unterliegende) Stoffe exakt mit dem Wasserkörper mitbewegen und daher auch als Tracer für den Wassertransport betrachtet werden, zeigen Schwebstoffe einen "Schlupf" und weisen mit Vertikalbewegungen, d.h. Sedimentation und Resuspension, ein eigenes Transportverhalten aus.

Die Wirkungen der im strömenden Wasser mitgeführten und der abgesetzten Schwebstoffe hängen von Menge und Zusammensetzung ab. In Gebieten hoher Schwebstoffkonzentrationen wie in der Trübungszone der Tideelbe wirken sich nur die Mengen des Materials ungünstig auf das Lichtklima und damit auf die biologische Primärproduktion aus. Ebenso kann in Gebieten mit Benthosbesiedlung - und natürlich in wasserbaulichen Anlagen - das Aussedimentieren des Schwebstoffes schon allein über die Mengen des den Boden bedeckenden Materials kritisch sein. Eine zusätzliche Schadstoffbelastung der Feststoffe ist durch die Aufnahme in Organismen (z.B. Filtrierer, Muscheln ...) und die damit verbundene biologische Anreicherung in der Nahrungskette ungünstig zu beurteilen, hat aber wegen der Konzentrationswerte im Spurenbereich nach vorherrschender Meinung der Fachwelt eher sekundäre Bedeutung. Ähnliches gilt für die Aufnahme von gelösten Schadstoffen, z.B. durch Algen und Bakterien. Im Feststoff gebundene und im Wasser gelöste Substanzen stehen in einem Gleichgewicht zueinander; damit werden durch Änderungen der Schwebstoffkonzentrationen auch die Gehalte an gelösten Stoffen beeinflußt. Im Gutachten ist die Schadstoffkonzentration der Schwebstoffe sowie des aus ihnen gebildeten Schlicks - und damit auch des entsprechenden Baggergutanteils - besonders relevant. Ferner können mitgeführte oder abgesetzte Schwebstoffe mit unterschiedlicher bakterieller Aktivität bei gleichen Mengen an Schwebstoff eine geringe oder starke Sauerstoffzehrung im Wasserkörper oder im Sediment verursachen. Schwebstoffe mit sauerstoffproduzierenden Algen können andererseits auch eine Sauerstoffübersättigung im Wasserkörper bewirken.

Die ökologische Bedeutung der Schwebstoffe besteht also in folgenden Punkten:

  • Sie verschlechtern in hohen Konzentrationen das Lichtklima und drosseln die Primärproduktion.
  • Bei hoher Sedimentation der Schwebstoffe können sensible mit Benthos besiedelte Bereiche gefährdet werden.
  • Sie sind das wesentliche Transportvehikel für Umweltschadstoffe, die je nach Verbleib in Stromabschnitten der Tideelbe bzw. in der Deutschen Bucht die Gewässergüte beeinflussen und durch ihre Wechselwirkung mit den im Wasser gelösten Stoffen auch deren Konzentrationen mitsteuern.
  • Die in ihnen enthaltenen Tonpartikel und partikulären organischen Substanzen (Detritus) zusammen mit den in den Partikeln gebundenen Schadstoffen liefern das Material für den im System abgelagerten Schlick, der sich teilweise auch im Baggergut wiederfindet.
  • Die im Schwebstoff enhaltenen Bakterien und Algen steuern in hohem Maße den Nährstoff- und Sauerstoffhaushalt im Wasser und Sediment.

(4) Die für die UVU geforderte quantitative Beschreibung und Prognose der durch die Baumaßnahme zu erwartenden Änderungen ist mit folgenden Schwierigkeiten konfrontiert:

  • Schwebstoffgehalte und -zusammensetzungen verhalten sich in der Tideelbe räumlich und zeitlich extrem dynamisch. Messungen weisen daher stets eine erhebliche Schwankungsbreite auf. Eine umfassende modellmäßige Beschreibung ihrer Zustandsform erfordert Kenntnisse aus den Bereichen Biologie, Geologie, Physik und Chemie.
  • Die Beschreibung der Schwebstoffverteilung im System, insbesondere der Dynamik von Erosion und Sedimentation, erfordert zusätzlich genaue Kenntnisse über die Wasserführung und die damit verbundene lokale Hydrodynamik sowie über die Sedimentbeschaffenheit der Elbe.
  • Eine exakte Quantifizierung der Wirkungen würde synoptische Meßdaten aller daran beteiligten Faktoren über einen Zeitraum von vielen Jahren erfordern; daher ist die korrekte Parametrisierung dieser Faktoren problematisch.

(5) Die zur Beurteilung der Umweltverträglichkeit notwendigen Bearbeitungssschritte:

  • die Analyse bestehender Daten und bekannter Fakten,
  • die Beschreibung der Wirkzusammenhänge,
  • das Benennen und Quantifizieren möglicher Umweltbeeinträchtigungen und
  • die Bewertung dieser Umweltbeeinträchtigungen

sind deshalb nur durch einen interdisziplinär ausgerichteten Untersuchungsansatz zu leisten. Das Gutachten wurde daher in folgenden vier Themenfeldern von der Schwebstoffgruppe bearbeitet:

I. Fakten zur Schwebstoff- und Abflußdynamik im Tidesystem (GKSS: K.Reichert, Dr.H.-U.Fanger; HGU: Dr. N. Greiser)

II. Numerische Modellierung des Schwebstofftransports (GKSS: Dr.J.Kappenberg, Dr. W. Rosenthal) (Kapitel Prognose)

III. Wirkung des Schwebstofftransports und -umsatzes auf die Wasser- und Sedimentqualität sowie auf Fauna und Flora (HGU: Dr. N.Greiser; GKSS: K.Reichert)

IV. Wirkung des Schwebstofftransports und -umsatzes auf wasserbaulich zu unterhaltende Anlagen (HGU: Dr.H.-J. Dammschneider)

Über die genannten Bereiche "Schwebstofftransport / Tideregime" (Kap. 3.1 bis 3.3), "Gewässergüte / Hydrobiologie" (Kap. 3.4) und "Stoffumsatz / Stoffumlagerung" (Kap. 3.5 und 3.6; MATERIALBAND II b) hinaus ist keine Wirkung des Komplexes "Schwebstoffe / gelöste Stoffe", die im Rahmen der Untersuchung nach dem UVPG zu berücksichtigen wäre, auf die Umwelt zu erwarten.

Die vorgenommene Analyse des Schwebstoffregimes der Tideelbe - vor allem in der Prognose - basiert in wesentlichen Teilen auf den von der Bundesanstalt für Wasserbau - Außenstelle Küste (BAW-AK Gutachten Nr. 9353 3387) modellierten hydrologischen Szenarien. Zur Ermittlung der Relevanz dieser Szenarien für die hydrologischen Situationen der Vergangenheit wurden die Ergebnisse der Modellierung der BAW-AK durch eine statistische Auswertung der Abflußsituationen, Berechnungen der oberwasserabhängigen Salzgehaltszonierungen und durch eine gesonderte Betrachtung der Trübungszonendynamik ergänzt.

Die innerhalb dieser Themenfelder bearbeiteten UVU-relevanten Fragestellungen, die daraus resultierende fachliche Vernetzung innerhalb der Schwebstoffgruppe und die inhaltlichen Schnittsellen zu den übrigen UVU-Gutachtern werden in den folgenden Abschnitten genannt.

1.1 Fakten zur Schwebstoff- und Abflußdynamik im Tidesystem

Die zu bearbeitenden UVU-relevanten Fragestellungen lassen sich (hier und in den nachfolgenden Abschnitten 1.2 bis 1.4) den folgenden drei Themenbereichen zuordnen:

1. Schwebstoffverteilung und Abflußgeschehen (Kap. 3.1 - 3.3.1; 4.1; 5.1; 6.1),

2. Sedimentation (Kap. 3.5; 4.7; 6.2; MATERIALBAND II b),

3. Schadstofftransport und Gewässergüte (Kap. 3.4; 4.2 - 4.4; 5.2 - 5.3; 6.3).

Ein Ziel der Bearbeitung war eine möglichst flächendeckende Darstellung der Schwebstoffverteilung hinsichtlich Quantität und Qualität für den gesamten Untersuchungsbereich. Wie die Auswertung von relevanten Datensätzen verschiedener Herkunft sowie Literaturanalysen (z.B. ARGE ELBE 1992, CHRISTIANSEN 1985, FANGER et al. 1990 und 1996, GREISER 1988, KAPPENBERG et al. 1990, ROHDE 1974, WILKEN et al. 1991) zeigten, ist dies im strengen Sinne nicht möglich. Einer flächendeckenden Information am nächsten kommen die Ergebnisse regelmäßiger Untersuchungen der ARGE Elbe, die in Verbindung mit Daten episodischer Feldmessungen der GKSS ein stärkeres Gewicht bei der Bearbeitung dieses Themas erhielten. Entsprechende Erkenntnisse über die räumlichen und zeitlichen Änderungen der Schwebstoffverteilung stützen sich daher teilweise auf 2D-Interpolationen (Kap. 3.3.2) von hinsichtlich der Randbedingungen vergleichbaren Meßdaten dieser beiden Quellen, zum andern aber auf die Ergebnisse der Schwebstofftransportmodellierung. Letztere werden im Kapitel "Prognose" erörtert.

Schwerpunkt ist die Analyse von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, von Variabilitäten und Trends unter dem Aspekt, inwieweit Schwebstoffquantitäten und -qualitäten in den einzelnen Untersuchungsabschnitten so starke Änderungen durch die geplante Fahrrinnenanpassung erfahren könnten, daß dadurch Schutzgüter im Sinne des UVPG tangiert werden.

Wichtige Einzelfragestellungen aus den genannten Themenbereichen 1 bis 3 lauten:

Themenbereich 1 - Schwebstoffverteilung und Abflußgeschehen:

  • Wie wird die lokale Schwebstoffverteilung in den einzelnen Untersuchungsabschnitten (s. Karte1), insbesondere die Trübungszone, durch das lokale Strömungsregime, das Abflußgeschehen (Oberwasser) und durch das Tideregime beeinflußt?

Fachliche Schnittstellen: Themenfeld III der Schwebstoffgruppe. Hydrodynamik: BAW-AK. Hydrobiologie: Prof. Kausch.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte), Fauna und Flora (Lichtklima).

  • Wodurch ist die Lage der Brackwasserzone definiert und in welchem Maße ist sie mit der Dynamik der Trübungszone sowie der morphologischen Struktur der Tideelbe verknüpft und inwieweit ändert sich deren Lage durch das Oberwasser und die Wetterlage?

Fachliche Schnittstellen: Themenfelder III und IV der Schwebstoffgruppe, Hydrodynamik: BAW-AK(Brackwasserzone). Hydrobiologie: Prof. Kausch.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte), Fauna und Flora (Lichtklima), Schiffahrtswege und Häfen (Unterhaltungsbaggerei).

  • Bestehen neben der Trübungszone weitere lokale Feststoffpools in der Tideelbe und wie verändern sie sich mit der Oberwasserführung und der Windsituation?

Fachliche Schnittstellen: Themenfelder III und IV der Schwebstoffgruppe. Hydrodynamik: BAW-AK. Hydrobiologie: Prof. Kausch.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte), Fauna und Flora.

Themenbereich 2 - Sedimentation:

  • Wie hängt der Schlickfall auf Watten, in Flachwasserbereichen und in den Nebenflüssen von Tide, Oberwasser, Morphologie, Wind und Jahreszeit ab?

Fachliche Schnittstellen: Themenfelder III und IV der Schwebstoffgruppe. Hydrodynamik: BAW-AK. Hydrobiologie: Prof. Kausch. Bodenkunde: Prof. Miehlich.
Betroffene Schutzgüter: Fauna und Flora.

Themenbereich 3 - Schadstofftransport und Gewässergüte:

  • Wie bestimmt der Schadstofftransport, partikulär und gelöst, die Gewässergüte der Untersuchungsabschnitte?

Fachliche Schnittstellen: Themenfeld III der Schwebstoffgruppe, Hydrodynamik: BAW-AK. Hydrobiologie: Prof. Kausch.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte), Fauna und Flora.

  • In welchem Maße bestimmt der Stromauftransport von Schwebstoff die Sediment- bzw. Baggergutqualität in den einzelnen Untersuchungsabschnitten?

Fachliche Schnittstellen: Themenfelder III und IV der Schwebstoffgruppe, Hydrodynamik: BAW-AK. Bodenkunde: Prof. Miehlich. Grundwasser: AHU.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte) (Sedimente), Fauna und Flora, Grundwasser, Schiffahrtswege und Häfen (Unterhaltungsbaggerei, Baggergutunterbringung).

  • Wie beeinflußt der Schadstoffaustausch zwischen Schwebstoff, Sediment und Wasser die Gewässergüte der Tideelbe und den Eintrag von Schadstoffen in die Nordsee?

Fachliche Schnittstellen: Themenfelder III und IV der Schwebstoffgruppe, Bodenkunde: Prof. Miehlich. Hydrobiologie: Prof. Kausch. Grundwasser: AHU.
Betroffene Schutzgüter: Wasser (Gewässergüte), Fauna und Flora (toxikologische Aspekte), Grundwasser.

1.2 Numerische Modellierung des Schwebstofftransportes

Aus der Erkenntnis, daß aus der Analyse von (recht unzulänglichen) Meßdatensätzen der letzten Jahre allenfalls eine qualitative Abschätzung möglicher Veränderungen durch eine Fahrrinnenanpassung möglich ist, wurde der Einsatz eines bei GKSS entwickelten numerischen Schwebstofftransportmodells als notwendig erachtet. Der derzeitige Stand der Modellierung erlaubt bei der Komplexität des Systems Tideelbe noch keine wirklich realistische Nachbildung der Natur. Es können aber aus dem Vergleich von Szenarien identischer Rand- und Anfangsbedingungen, jedoch unterschiedlicher Morphologie und Hydrodynamik, die Trends ausbaubedingter Veränderungen bezüglich Lichtklima, Erosion und Schlickfall quantitativ erkannt werden. Das numerische Schwebstofftransportmodell ist damit - wie auch das hydrodynamische Modell der BAW-AK - ein wichtiges Prognose-Instrument zur Abschätzung möglicher Wirkungen der Fahrrinnenanpassung auf den Umsatz gelöster und partikulärer Wasserinhaltsstoffe in der Tideelbe. Die Ergebnisse der Modellierung werden daher im Kapitel über die Prognose und nicht in den nachfolgenden Kapiteln zur Beschreibung des Ist-Zustandes diskutiert.

Die Schwebstoffdynamik in einem Fließgewässer ist durch den horizontalen advektiven Transport und die turbulente Diffusion, durch Sedimentation und Resuspension bzw. Erosion bestimmt. Wichtige stoffliche Parameter sind die Sinkgeschwindigkeitsverteilung des Schwebstoffmaterials und die Scherfestigkeit des Sediments auf der Gewässersohle; die entscheidende Steuergröße ist das zeitlich und örtlich variable Strömungsfeld. Als Basis für die Schwebstofftransportmodellierung wurden daher die von der BAW-AK in Spring-Nipp-Zyklen unter verschiedenen Szenarien (s. MATERIALBAND I) berechneten Strömungsvektoren in 50 x 50 m Gitterzellen verwendet, wobei die Topographie, Oberwasserabflüsse und Wasserstände des Jahres 1992 zugrunde gelegt wurden.

Das Modell böte neben der prognostischen Trendermittlung die Möglichkeit, zu bestimmten Zeiten (Tidephasen) an ausgewählten Orten gemessene Schwebstoffverteilungen räumlich und zeitlich zu interpolieren. Es wäre so möglich, ein Bild der Schwebstoffdynamik auch in denjenigen Abschnitten des Untersuchungsgebietes zu erhalten, für die keine Naturmeßdaten zur Verfügung stehen. Da aber die Schwebstoffdatenbasis für die vereinbarten Szenarien des Jahres 1992 zu klein ist und - darüber hinaus - ohnedies nicht der Anspruch auf eine exakte Nachbildung des natürlichen Zustandes durch Modellierung erhoben werden kann (s. o.), wurde auf diese Interpolation per Modell verzichtet. Stattdessen lieferte eine elementare, modell-unabhängige Interpolation hydrologisch zusammenpassender Daten in Längs- und Querrichtung eine flächendeckende Darstellung tideabhängiger Konzentrationsverteilungen (s. Kap. 3.3.2).

Die numerischen Schwebstofftransportrechnungen tragen auch zur Beantwortung der im Kap. 1.1 genannten Fragen der Themenbereiche 1 und 2 sowie zur Frage des Stromauftransportes von Feststoffmaterial im Themenbereich 3 bei. Damit ist die Schwebstofftransportmodellierung integraler Bestandteil der von der Schwebstoffgruppe bearbeiteten Themenfelder.

1.3 Wirkung des Schwebstofftransports auf die Wasser- und Sedimentqualität sowie Fauna und Flora

Das Themenfeld Hydrobiologie und Gewässergüte umfaßt analog zu Kap. 1.1 drei Themenbereiche:

1. die Auswirkungen des Feststofftransportes (auch von Baggergutumlagerungen) auf den Sauerstoffhaushalt (Kap. 3.4.3; 4.4),

2. die Bedeutung von Sedimentumlagerungen für die sedimentbewohnende Fauna und Flora (Kap. 4.6; 4.7; 6.5),

3. die Schadstoffbelastung von Sedimenten, Baggergut sowie Fauna und Flora als Folge von Änderungen in der Schwebstoffzusammensetzung (Kap. 4.6; 5.3; 6.6).

In diesem Bearbeitungsteil der Schwebstoffgruppe werden somit in erster Linie Daten analysiert und zusammengefaßt, aus denen konkrete Wirkungen der im Kap. 1.1 behandelten Gesetzmäßigkeiten des Schwebstofftransportes auf das Schutzgut Fauna und Flora abgeleitet werden können, und zwar in ihrer inhaltlichen Zuordnung zu den dort genannten drei Themenbereichen Schwebstoffverteilung und Abflußgeschehen, Sedimentation, Schadstofftransport und Gewässergüte.

Themenbereich 1 - Auswirkungen des Feststofftransports auf den Sauerstoffhaushalt:

Die Wirkung der Schwebstoffe auf die Gewässergüte, also das Schutzgut Wasser, resultiert aus der Tatsache, daß 60% - 90% der sauerstoffzehrenden bakteriellen Aktivität an die im Wasser suspendierten Feststoffpartikel gebunden ist und - rechnet man die im Wasserkörper vorhandenen Algen ebenfalls zum Schwebstoff - auch bis zu 100% des biogenen Sauerstoffproduktionspotentials. Die mikrobielle Aktivität im Wasserkörper und deren Wirkung auf den Sauerstoffhaushalt ist damit nicht nur von dem Vorhandensein gelöster und partikulärer Nährstoffe abhängig, sondern sie ist auch direkt an die Transportdynamik der Schwebstoffe gekoppelt (BRUNHOEBER 1990, NEHLS 1990, HUMANN 1992, SOWITZKI et al. 1994; NEHLS et al. 1993).

Auf diese Weise können z.B. auch ausbaubedingte Baggergutumlagerungen und Änderungen der Hydrodynamik mit lokalen Erhöhungen der Schwebstoffkonzentration den Sauerstoffhaushalt der Tideelbe negativ beeinflussen, und zwar einerseits über eine vermehrte bakterielle Sauerstoffzehrung, andererseits über eine trübungsbedingte Verschlechterung des Lichtklimas und damit einer Verringerung der Sauerstoffproduktion der Algen. Die zentrale Frage des Themenbereichs 1 lautet somit:

  • Welche Auswirkungen haben Änderungen des Feststoffumsatzes, z. B. durch stärkere bzw. häufigere Resuspension oder Baggergutumlagerung, auf die biogeochemische Sauerstoffzehrung und die biogene Sauerstoffproduktion?

Die Beantwortung dieser Frage ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für die Beschreibung der Auswirkungen von Sedimentumlagerungen und feststoffgebundener Schadstoffe auf die sedimentbewohnende Fauna und Flora (Themenbereiche 2 und 3); denn es kann davon ausgegangen werden, daß generell die höchsten Feststoffkonzentrationen in Sohlnähe auftreten und daß ein sauerstoffarmes Milieu die Freisetzung von Schwermetallen begünstigt.

Die Aufgabe der Schwebstoffgruppe beschränkt sich hierbei darauf, Daten über sedimentierte und resuspendierte Feststoffmengen und Feststoffqualitäten (Nährstoffe, Schadstoffe, bakterielle Aktivität und Trübung) zu liefern. Die Beschreibung der biologischen Wirkungen auf die Fauna und Flora ist Teil des hydrobiologischen Gutachtens (Arbeitsgruppe Prof. Kausch); die Bewertung der Sedimentqualität wird im Gutachten des Institutes für Bodenkunde (Arbeitsgruppe Prof. Miehlich) vorgenommen.

Für die Beschreibung lokaler Unterschiede im Sauerstoffhaushalt war aufgrund der günstigen Datenlage eine getrennte Analyse der Schwebstoff- und Nährstoffverteilungen in den einzelnen Untersuchungsabschnitten möglich. Die Bearbeitung der Themenbereiche 2 und 3 zu Sedimentumlagerungen und Schadstoffbelastung muß sich demgegenüber stärker auf die Auswertung lokaler Meßergebnisse und - soweit es um die Beschreibung typischer räumlicher und zeitlicher Verteilungsmuster von Schwebstoffmengen geht - auf die Ergebnisse der Schwebstofftransportmodellierung stützen.

Themenbereichs 2 - Bedeutung von Sedimentumlagerungen für die sedimentbewohnende Fauna und Flora:

Hier lautet die zentrale Frage:

  • Welche Auswirkungen haben Änderungen des Feststoffumsatzes, insbesondere lokale Verstärkungen von Sedimentation und Erosion, z.B. durch eine Verschiebung der Brackwasserzone sowie durch Baggerungen und Baggergutumlagerungen, auf die sediment- und bodenbewohnende Fauna und Flora?

Auch die Beantwortung dieser Frage erfordert eine starke interdisziplinäre Vernetzung des Themenfeldes Hydrobiologie und Gewässergüte zu den anderen Arbeitsgebieten innerhalb und außerhalb der Schwebstoffgruppe. Sie basiert auf den Erkenntnissen der schwebstoffspezifischen Themenfelder I, II und IV, den Berechnungen der BAW-AK zum Salzgehaltsgradienten, den Erkenntnissen über die gegenwärtige Faunen- und Florenstruktur im Untersuchungsgebiet (Arbeitsgruppen Prof. Kausch und Dr. Kurz) und erfordert biologisches Grundlagenwissen über die von der Biota tolerierbaren Intensitätsspektren gegenwärtiger Sedimentations- und Erosionsraten in den einzelnen Lebensräumen (Arbeitsgruppen Prof. Kausch und Dr. Kurz).

Themenbereich 3 - Schadstoffbelastung von Sedimenten, Baggergut sowie Fauna und Flora als Folge von Änderungen in der Schwebstoffzusammensetzung:

Die zentrale Frage lautet hier:

  • Welche Auswirkungen haben Änderungen des Feststoffumsatzes, z.B. durch eine Verlagerung der Trübungszone sowie durch Baggerungen und Baggergutumlagerungen, auf die Schadstoffzufuhr in die Watten, Flachwassergebiete und Häfen und in welchem Maße werden dadurch die Schadstofftransfers in die Fauna und Flora beeinflußt ?

Neben der bereits bei Frage 2 genannten interdisziplinären Vernetzung, erfordert die Beantwortung dieser Frage zusätzlich die Beteiligung der Arbeitsgruppen Böden, Sedimente (Prof. Miehlich) und Fischfauna (Dr. Thiel).

1.4 Wirkung des Schwebstofftransports auf wasserbaulich zu unterhaltende Anlagen

Die Bedeutung wasserbaulicher Materialumlagerungen innerhalb der Schwebstoffproblematik wird an Hand von Erkenntissen über den natürlichen Feststofftransport in der Tideelbe untersucht. Diese beruhen allerdings auf Schwebstoffmessungen, die von den laufenden wasserbaulichen Materialumlagerungen beeinflußt sind. Diese "Rückkopplung" ist bei einer Quantifizierung der Beiträge wasserbaulicher Materialumlagerungen zum Feststoffumsatz in der Tideelbe zu berücksichtigen.

Eine getrennte Analyse des aus wasserbaulichen Materialumlagerungen resultierenden Feststofftransportes neben dem natürlichen Feststofftransport ist daher nicht möglich. Insofern behandelt MATERIALBAND II b zum Ist-Zustand lediglich einen speziellen, wenn auch bezüglich seiner Umweltauswirkungen sehr wichtigen Teilaspekt der Bilanzierung des Feststoffumsatzes im natürlichen Tidesystem (s. Themenfeld I). Er ist deshalb in wesentlichen Teilen deskriptiv (Ermittlung von Mengen) und bei der Beschreibungen von Wirkungen auf die nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch unvollkommene Bilanzierung transportierter Feststoffmengen angewiesen.

Inhaltlich wurde dieses Themenfeld in die folgenden Themenbereiche (s.a. MATERIALBAND II b) aufgegliedert:

1. Unterhaltungsbaggerung und Umlagerungen in der Tideelbe (Kap. 3.6; 4.7; 5.4; 6.7),

2. Verschlickung von Häfen (Kap. 3.6.2 und 3.6.4),

3. Wasserbauliche Umlagerungen und Schwebstofftransport (Kap. 5.4; 6.8).

Da die fachlichen Schnittstellen zu diesem Themenfeld bereits bei der Beschreibung der wichtigsten Fragestellungen für die Themenfelder I und III genannt worden sind, werden diese bei der nachfolgenden Auflistung spezieller Fragestellungen nicht mehr erwähnt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß für die Bearbeitung dieses Themenfeldes alle bekannten Randfaktoren der allgemeinen Hydrologie (Oberwasser, Wasserstand, Strömung, Tidedynamik) sowie der Geowissenschaften und Biologie (Sedimentzusammensetzung, Stoffeigenschaften, Jahreszeit) zu berücksichtigen sind.

Themenbereich 1 - Unterhaltungsbaggerung und Umlagerungen in der Tideelbe:

  • Wo bestehen Unterhaltungsbaggerzonen? Welche Quantitäten, Qualitäten und Varianzen liegen dort vor?
  • Zeigen die regionalen Baggermengen in ihrer Entwicklung eine Systematik, die eine Expost-Prognose der heutigen Unterhaltungsbaggerleistungen aus der Vergangenheit zuläßt? (s. Prognose)

Themenbereich 2 - Verschlickung von Häfen:

  • Inwieweit besteht eine Abhängigkeit des lokalen Schlickfalls in den landeseigenen bzw. kommunalen Häfen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und Hamburgs vom Tidegeschehen?
  • Welche Änderungen im Schlickfall sind in den Häfen aufgrund der Fahrrinnenanpassung zu erwarten? (s. Prognose)

Themenbereich 3 - Wasserbauliche Umlagerungen und Schwebstofftransport:

  • Folgt aus einer veränderten Lage der Brackwasser- und Trübungszone eine lokale Verstärkung und/oder räumliche Verlagerung von Unterhaltungsbaggerschwerpunkten?
  • Besteht eine oberwasserabhängige Beziehung zwischen der Menge und Qualität von transportierten Schwebstoffen sowie der Menge und Qualität des Baggerguts?

Fußnoten:

1.) Hier, wie im gesamten Text sowie in allen Abbildungen und Tabellen, wird die alte Kilometrierung verwen-det. Zum Vergleich alte Strom-km gegen neue Fahrrinnen-km siehe Übersichtskarte (Karte 1).