Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

4.1 Auswahl, Bestand und Verteilung ästuartypischer Brutvogelarten

Ästuartypische Vogelarten repräsentieren im Sinne des Leitartenmodells von Flade (1994) die Vielschichtigkeit und Eigentümlichkeit der Ästuare. Die Auswahl setzt sich deshalb nicht nur aus besonders gefährdeten Arten zusammen, sondern umfa§t auch weitere spezialisierte Arten (s. o.), die in Ästuaren noch regelmäßig und z.T. in großen Beständen vorkommen. Planungsbezogen wird beispielhaft die Situation für die 20 in Tabelle 3 zusammengefaßten Arten dargestellt, die die Vogelgemeinschaften der einzelnen Landschaftstypen repräsentieren.

Die ästuartypischen Vogelgemeinschaften weisen einen hohen Grad der Vollständigkeit des Arteninventars auf. Charakterarten der Vogelgemeinschaft des Elbeästuars sind Teichrohrsänger und Rohrammer in den Röhrichten, Austernfischer und Rotschenkel im Vorland, Feldlerche und Kiebitz in den Zwischendeichsgebieten, Kögen und Poldern, Stockente, Löffelenente und Bläßhuhn auf den Pütten und Grabensystemen der Marsch sowie auf den Neben- und Seitengewässern der Elbe und außerdem Möwen, Seeschwalben sowie andere Küstenvögel, die in individuenstarken Kolonien auf den Inseln und exponierten Vorländern gemeinschaftlich brüten.

Die Übersicht der Brutbestände ausgewählter ästuartypischer Brutvogelarten in der Tabelle 3 stellt die Verteilung auf die drei Hauptlebensräume Sandinseln, Vorland und Elbufer sowie die Nebenflüsse dar. Im Bereich der Nebenflüsse dokumentiert das eingeschränkte Spektrum ästuartypischer Arten den hohen Grad der Beeinträchtigungen der Vogellebensräume durch Sperrwerksbau und enge Eindeichung. Lediglich die Mündungsbereiche der Oste mit einem Brutvorkommen des Kampfläufers und der Luhe/Ilmenau mit Brutvorkommen von Wachtelkönig und Tüpfelralle heben sich in der Bewertung deutlich als national bedeutende Brutgebiete ab.

Einzelne Elbinseln werden noch von großen Seeschwalbenkolonien besiedelt. Allerdings ziehen sich die Seeschwalben, insbesondere Arten mit hohen Ansprüchen an die Qualität ihres Lebensraumes wie die Zwergseeschwalbe, immer mehr auf Sandinseln in der Außenelbe zurück (s. Textkarten im Anhang). Individuenstarke Brutvorkommen von Küstenvögeln wie dem Säbelschnäbler verteilen sich in abnehmender Dichte bis in das obere Ästuar. In der Nordkehdinger Außendeichsmarsch brüten Säbelschnäbler auch deichnah im Binnenpolder. Die Jungen werden kurz nach dem Schlupf über den Deich ins Vorland geführt. Die Verknüpfung von Binnendeichsbrutplätzen und außendeichs gelegenen Nahrungshabitaten wurden auch für Austernfischer, Kiebitz, Uferschnepfe, Kampfläufer u. a. dokumentiert. Der große Sturmmöwenbrutbestand des Elbeästuars mit der größten Kolonie auf der Pionierinsel zwischen Lühesand und dem linken Elbufer erreicht mit 1972 Paaren annähernd ein Drittel des Gesamtbestandes der niederländisch-deutsch-dänischen Küste und der Inseln im Wattenmeer (Fleet et al. 1994).

Für alle in der Tabelle 3 zusammengestellten Arten wurden Textkarten der Verteilung ihrer Brutbestände im Untersuchungsgebiet angefertigt (s. Anhang). Weitere in Tabelle 4 als ästuartypisch angegebene Arten wurden quantitativ erfaßt, für diesen Bericht aber nicht ausgezählt und dargestellt, da sie in den Biotoptypenkarten im einzelnen bereits wiedergegeben sind und zur Verdeutlichung der Problematik nicht herangezogen werden müssen.

Tabelle 3: Brutbestände ausgewählter ästuartypischer Arten 1992-1996

Artname

Sandinseln

Bp

Vorland/Elbufer

Bp

Nebenflüsse

Bp

UG UVU Elbvertiefung

Bp

Rohrweihe 3 27 3 33
Wachtelkönig 6 10 5 21
Säbelschnäbler 25 479 - 504
Sandregenpfeifer 23 19 - 42
Seeregenpfeifer 4 11 - 15
Alpenstrandläufer - 1 - 1
Kampfläufer 3 33 1 37
Großer Brachvogel 6 2 - 8
Sturmmöwe 2254 165 - 2419
Lachseeschwalbe - 43 - 43
Brandseeschwalbe 913 - - 913
Flußseeschwalbe - 356 - 356
Küstenseeschwalbe - 70 - 70
Fluß-/Küstenseeschwalbe 2186 - - 2186
Zwergseeschwalbe 45 - - 45
Blaukehlchen - 5 - 5
Rohrschwirl 2 16 5 23
Schilfrohrsänger 9 93 17 119
Drosselrohrsänger 1 4 1 6
Karmingimpel 2 2 - 4



Tabelle 4: Artenliste ästuartypischer Vögel mit Hinweisen auf siedlungsbestimmende Biotopfaktoren

Ökologie

Art

Ä (Ä) W UR UZH UZV

UE/

HD

S+ S-
Küste/Strom vorwiegend periodisch erneuerte Primärlebensräume überflutungsbeeinflußter Außendeichsmarsch, Sandinseln und -platen
Brandgans Tadorna tadorna X   X         X  
Wachtelkönig Crex crex   X     X        
Austernfischer Haematopus ostralegus X X X       X X  
Säbelschnäbler Recurvirostra avosetta X X X       X X  
Seeregenpfeifer Charadrius alexandrinus X           X X  
Sandregenpfeifer Charadrius hiaticula X X         X X  
Rotschenkel Tringa totanus X X X         X  
Großer Brachvogel Numenius arquata X X         X    
Sturmmöwe Larus canus X X X       X    
Lachseeschwalbe Gelochelidon nilotica X           X    
Brandseeschwalbe Sterna sandvicensis X           X X  
Flußseesschwalbe Sterna albifrons X X         X    
Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea X   X         X  
Zwergseeschwalbe Sterna albifrons X   X       X    
  bei kurzzeitiger später Beweidung salzwasserbeeinflußter Außendeichsmarsch
Alpenstrandläufer Calidris alpina   X         X    
Kampfläufer Philomachus pugnax   X         X    
Verlandungszone/Röhrichte

ästuartypische Röhrichtzonation; häufig durch Nutzung

beeinträchtigte und eingeengte Lebensräume

Rohrdommel Botaurus stellaris X     X         X
Rohrweihe Circus aeruginosus X     X         X
Sumpfohreule Asio flammeus X       X        
Rohrschwirl Locustella luscinioides X       X        
Schilfrohrsänger Acrocephalus schoenobaenus X       X        
Drosselrohrsänger Acrocephalus arundinaceus X     X         X
Bartmeise Panurus biarmicus X     X          
  Übergang zum Auengebüsch
Blaukehlchen Luscinia svecica X       X   X   X
Sumpfrohrsänger Acrocephalus palustris X         X     X
Karmingimpel Carpedacus erythrinus X         X     X
                   
Anzahl Arten 23 10 7 4 5 2 13 8 6

Ä - ästuartypisch in natürlichen Biotopen
(Ä)- ästuartypisch in durch Nutzung beeinflußten naturnahen Biotopen
W - bedeutende Nahrungshabitate in der Gezeitenzone
UR - möglichst ausgedehnte (Systemlänge wertgebend), gut gegliederte buchtenreiche Schilfröhrichte, mehrjähriges Altschilf
UZH, V - möglichst typische, strukturreiche (H - horizontal, V - vertikal) vollständige Zonation des Röhrichts
UE - erosionsexponierte Teilbereiche der Uferregion
HD - typische Habitatstruktur bei ausgeprägter Hochwasserdynamik, insbesondere Aufsandungen, Schlammablagerungen, Flächenanteil ohne bzw. mit spärlicher Vegetation, perio- dische Flachgewässer
S+ - Salzwassereinfluß begünstigt Siedlungsverhalten
S- - Salzwassereinfluß wirkt sich auf Siedlungsverhalten negativ aus