Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

9 ERLÄUTERUNGEN ZUM SCHWEBSTOFFTRANSPORTMODELL

Mit diesem Modell werden der durch das Strömungsfeld bestimmte advektive und diffusive horizontale Transport von Schwebstoff sowie der vertikale Feststoffaustausch zwischen Wassersäule und Gewässersohle berechnet. Abb. 97 veranschaulicht schematisch den Transport innerhalb einer Gitterzelle: Horizontale Pfeile stehen für den Austausch mit Nachbarzellen, vertikale Pfeile für Vorgänge in einer Zelle.

Die Grundlagen, Parameter und Variablen des Schwebstofftransportmodells sind ausführlich in Kap. 2.3 dargestellt. Die wichtigsten Informationen dazu seien hier noch einmal kurz zusammengefaßt: Das Modell setzt auf den 2D-Strömungsfeldern der BAW-AK (MATE-RIALBAND I) auf. Daher erfolgte die Schwebstofftransportmodellierung hinsichtlich der verwendeten digitalisierten Topographie und der ausgewählten Episoden (s.u.) von Anfang an in enger Kopplung mit der BAW-AK. Es werden in Analogie zur Hydrodynamik Schwebstoffkonzentrationen im Zentrum einer Gitterzelle und die Stoffflüsse an deren Rändern berechnet. Die Zustandsgrößen des Modells sind:

  • die Massen der 4 Schwebstoff-Fraktionen in der Wassersäule über einer Einheitsfläche der Gewässersohle in g/m2,
  • die an der Sohle deponierten Massen der 4 Fraktionen des Schwebstoffs in g/m2, im folgenden auch "Bodenbelegung" genannt.
  • die Masse des an der Sohle konsolidierten Sediments in g/m2.

Damit ergeben sich 9 Variablen pro Gitterzelle. Aus der Verteilung des Schwebstoffs in der Wassersäule wird im folgenden die Schwebstoffkonzentration in den obersten 2 m (also unter der Wasseroberfläche) wegen ihrer abschattenden Wirkung herausgegriffen und als Konzentration der "2m-Deckschicht" apostrophiert.

Zusätzlich ist eine Modellierung sohlnahen Transports (s. Kap. 1.2) mit einem advektiv-diffusiven Ansatz implementiert, wobei als Grenze zwischen sohlnahem Transport und Schwebstofftransport ein Abstand von 5 cm über der Gewässersohle definiert und angenommen wird, daß der sohlnahe Transport mit 20% der aktuellen, vertikal gemittelten Strömungsgeschwindigkeit vonstatten geht.

Im folgenden wird die Anwendung des Transportmodells zum Zwecke der Prognose bezüglich der untersuchten Episoden (9.1), der Problematik der Modellierung (9.2) und ihrer Präsentation (9.3) beschrieben.

9.1 Modellgebiet und Episoden

Das Untersuchungsgebiet der Tideelbe ist mit einer die heterogene Schwebstoffverteilung andeutenden Schattierung in Abb. 98 wiedergegeben. Das Gesamtgebiet wurde - in genauer Entsprechung der Einteilung der BAW-AK für die hydrodynamische Modellierung - in 19 Teilgebiete ("Kacheln") aufgeteilt (Abb.98). Die räumliche Auflösung beträgt 50 m. Das Gebiet umfaßt ca. 4 Mio. Gitterpunkte, von denen aber nur 340 000 im Wasser oder in Watten liegen. Diese "feuchten Gitterpunkte" bilden das Modellgebiet, für das aufgrund vorgegebener Anfangs- und Randbedingungen die zeitliche Entwicklung der Konzentrationsverteilungen berechnet wird.

Anders als bei der phänomenologischen - d.h. der nicht modellgestützten - Analyse der Meßdaten, bei der angesichts der Fluktuationen der Systemparameter eine große Zeitspanne zugrunde gelegt werden muß (mehr als 10 Jahre für die Diskussion des Ist-Zustandes), kann eine Modellprognose von exakt definierten Systemzuständen ausgehen, die durch eine Zeitdauer von wenigen Tagen charakterisiert sind (vgl. Kap. 2.2). Als Referenzjahr wurde das Jahr 1992 ausgewählt. Wegen der bekannten starken Abhängigkeit der Systemparameter vom Oberwasserabfluß wurden charakteristische Episoden mit unterschiedlichem, aber in sich relativ konstantem Abfluß festgelegt ( Materialband I). Von den fünf für die hydrodynamische Modellierung der BAW-AK festgelegten Episoden wurden die folgenden drei für die Schwebstofftransportmodellierung ausgewählt (vgl. 3.1.2):

  • QH (Hohes Oberwasser, 30. 3. bis 13. 4. 1992),
  • SN (Spring-Nippzyklus bei niedrigem Oberwasser, 30. 6. bis 13. 7. 1992) und
  • QLW (Niedriges - Low - Oberwasser mit Ostwind, 2. 10. bis 7. 10. 1992).

Diese Episoden sind in der Abb. 99 als schwarze Streifen in der Jahresganglinie für 1992 eingezeichnet. Mit Ausnahme von QLW umfassen sie jeweils einen vollständigen Spring-Nipp-Zyklus (14 Tage). Die Hochwasser-Episode QH bewegt sich im Abflußbereich von 1300 bis 1600 m3 /s, die Niedrigwasser-Episode SN liegt zwischen 200 und 400 m3 /s und die QLW-Episode bei ca. 250 m3 /s.

9.2 Anmerkungen zu Nutzen, Schwierigkeiten und Grenzen der Modellierung

Mit dem derzeitigen Stand der Schwebstofftransportmodellierung ist bei der Komplexität des Systems noch keine wirklich realistische Nachbildung der Natur erreichbar. Insbesondere Quellen und Senken der Resuspension und Divergenzen/Konvergenzen der Transportgeschwindigkeit des suspendierten Materials sind noch in der wissenschaftlichen Diskussion. Es wurde daher darauf verzichtet, die auf die Vertikalverteilung wirkenden Prozesse im numerischen Modell in einem vertikalen Gitter zu simulieren. Statt dessen wurde die Vertikalverteilung durch eine Klasse analytischer Funktionen in Abhängigkeit von Sinkgeschwindigkeit und vertikal konstant gewähltem Austauschkoeffizienten festgelegt. Diese Parametrisierung in der Vertikalen ist gerechtfertigt, da man auch mit 3D-Modell-Ansätzen (BURCHARD 1995; MAYER 1995; ROSS 1995; ZIENERT 1996) die von der Datenverfügbarkeit der Anfangsbedingung herrührenden Schwierigkeiten nicht umgehen kann. Dennoch sind aus dem Vergleich von Episoden mit identischen Rand- und Anfangsbedingungen, jedoch unterschiedlicher Morphologie und Hydrodynamik, die Trends ausbaubedingter Veränderungen bezüglich Lichtklima, Erosion und Deposition (Schlickfall) quantitativ bestimmbar.

Das Modell wurde so eingerichtet, daß es die bekannten Teile der Schwebstoffverteilung in den vorgegebenen Zeiträumen möglichst gut approximiert. Wegen unzureichender flächenhafter Messungen ist es nicht möglich, den Fehler für den modellierten Ist-Zustand zu bestimmen. Vermutlich liegen in Seitenbereichen der Tide-Elbe zusätzliche Schwebstoffpools, aus denen Teilbereiche der Trübungszone gespeist werden, die aber für das Modell nicht identifiziert werden konnten. Bezeichnenderweise belegen Langzeitmessungen der GKSS (KAPPENBERG 1996) an festen Stationen, daß nach einem durch hohen Oberwasserabfluß bewirkten "Ausräumen" der Trübungszone der Wiederaufbau der alten Struktur Monate dauern kann: ein Indiz für den recht langwierigen Prozeß eines Wiederauffüllens von Schwebstoffpools, mit denen die Trübungswolke wechselwirkt.

Es ist nicht möglich, aus den Ergebnissen der Schwebstofftransportmodellierung morphologische Veränderungen zu prognostizieren. Zwar wird zusätzlich zum Transport des Schwebstoffs in der Wassersäule auch der sohlnahe Transport von kohäsivem Material mit einem advektiv-diffusiven Ansatz berücksichtigt, und es sind Wechselwirkungen zwischen dem nicht-konsolidierten (kohäsiven) Material in einer bodennahen Schicht, dem Schwebstoff in der Wassersäule und dem konsolidierten Feststoff der Gewässersohle in die Modellierung einbezogen. Daraus können - morphologieabhängig - Areale erhöhter Sedimentation oder Resuspension bzw. Erosion abgeleitet, aber keine Verlagerungen von nicht-kohäsivem Material (Sand), die in erster Linie die Bodenstruktur bestimmen, vorhergesagt werden. Eine Abschätzung der morphologischen, ausbaubedingten Veränderung ist vielmehr im Konzept des "morpho-dynamischen Nachlaufs" enthalten, das im BAW-Gutachten die nach dem Ausbau sich einstellende Ästuartopographie bestimmt. Die sich ergebende Topographie und das hiervon beeinflußte Strömungsfeld sind im Schwebstofftransportmodell verwendet und über die Zeit der gerechneten Episoden des Ausbauzustandes nicht geändert worden.

9.3 Vorgehensweise und Art der Ergebnispräsentation

Nach Übertragung der Topographie und der 5minütlich abgespeicherten Strömungsfelder der BAW-AK auf den Cray-Rechner des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) erfolgten Rechenläufe jeweils für den Ist- und Ausbauzustand der drei ausgewählten Episoden. Die einem Realzeitfortschritt von 15 min entsprechenden Zwischenergebnisse wurden auf Band gespeichert, um in den 14tägigen Episoden (bzw. der 6tägigen QLW-Episode) auch die Entwicklung innerhalb einer Tide mit guter zeitlicher Auflösung verfolgen zu können.

Um den Effekt der Ausbaumaßnahme aufzuzeigen, erwies sich eine zeitlich-punktweise Differenzbildung der 9 Variablen pro Gitterzelle (s. Kapitel 2.3) auf allen Gitterpunkten als weniger geeignet, da sich auch die Tidephasen und Trockenfallzeiten verschieben, wie aus den BAW-Rechnungen zur Hydrodynamik hervorgeht. Stattdessen wurden die sich aus der Modellierung am Ende der jeweils berechneten Episode zwischen Ist- und Ausbauzustand ergebenden Differenzen der flächenhaften Verteilungen von Doppeltidemittelwerten14 ) als Zustandsgrößen für die Prognose gewählt. Die Zustandsgrößen sind einzelnen:

  • der Schwebstoffgehalt in der 2m-Deckschicht im Hinblick auf die Trübung (Lichtklima),
  • die Bodenbelegung im Hinblick auf Überdeckungen (Burial) und
  • der Anteil der langsam sinkenden Schwebstoffraktion in der Wassersäule als Indiz für gelöste Stoffe.

Einen ersten Überblick zu den ausbaubedingten Änderungen im gesamten Untersuchungsgebiet für die drei in Kap. 9.1 ausgewählten Episoden ermöglicht die Darstellung der Längsprofile zu Schwebstoffgehalt und Bodenbelegung (Abb.100-105 in Kap. 10.2). Zur Präsentation im Gutachten wurden in Analogie zur Ergebnisdarstellung der BAW-AK (MATERIALBAND I) die Spring-Nipp-Episode und fünf Untersuchungsräume (s. Abb. 98) ausgewählt. Zu diesen Gebieten, die auch den größten wasserbaulichen Veränderungen unterliegen, werden die berechneten Mittelwerte in Form von Isoflächen (bzw. -linien) jeweils für den Ist-Zustand und als prozentuale Änderung nach dem Ausbau in den folgenden 21 Abbildungen gezeigt und in Kap. 10.3 diskutiert:

Gebiet

Ist-Zustand

prozentuale Änderung

2m-Deckschicht

Boden-

belegung

2m-Deckschicht

Boden-

belegung

langsam sinkende Fraktion

Mühlenberger Loch

Abb. 120

Abb. 158

Abb. 139

Abb. 177

Abb. 196

Anfang des Sockels bei Wedel

Abb. 119

Abb. 157

Abb. 138

Abb. 176

Abb. 195

Trübungszone Glückstadt

Abb. 116

Abb. 154

Abb. 135

Abb. 173

Abb. 192

Trübungszone Brunsbüttel

-

-

Abb. 131

Abb. 169

Abb. 188

Mündungsgebiet bei Cuxhaven

-

-

Abb. 127

Abb. 165

Abb. 184

Alle Abbildungen sind im Maßstab 1:50.000 dargestellt.

Für den modellierten Ist-Zustand zeigt das Hauptbild in einer schattierten Darstellung jeweils die flächenhafte Verteilung des zeitlichen Mittelwerts einer Variablen (Schwebstoffkonzen-tration in der 2-m-Deckschicht bzw. Bodenbelegung) über die letzte Doppeltide des 14tägigen

Spring-Nipp-Zyklus. Im Nebenbild rechts oben ist der Tidengang dieser Variablen (in der letzten Doppeltide) unter dem lokalen Wasserstand für einen Punkt des Gebiets wiedergegeben, und in den Zahlen rechts unten findet sich das Gebiets- und Zeitmittel nebst Standardabweichung.

Für die ausbaubedingten Änderungen zeigt das Hauptbild die prozentualen Differenzen als Mittelwerte der letzten Doppeltide des 14tägigen Spring-Nipp-Zyklus in Form von grauschattierten Isoflächen für Zunahmen bzw. von Isolinien, indiziert mit negativen Zahlen, für Abnahmen. Zur Orientierung ist wieder im Nebenbild rechts oben der Tidengang der entsprechenden Variablen als Ist-Zustands-Größe (in der letzten Doppeltide) unter dem lokalen Wasserstand für einen Punkt des Gebiets wiedergegeben, und in den Zahlen rechts unten finden sich Angaben zur Relevanz der Änderung im betrachteten Gebiet.

Fußnoten:

14.) Um systematische Trends über einen größeren Zeitraum (hier ein Spring-Nipp-Zyklus) erkennen zu kön-nen, ist es sinnvoll, über die tidebedingten Änderungen zu mitteln. Bei Mittelung über eine Doppeltide wird auch noch der Effekt der "täglichen Ungleichheit" der Tiden ausgeglichen.