Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

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2. GEPRÜFTE VORHABENALTERNATIVEN UND VORHABENVARIANTEN

Es bestehen bislang Unsicherheiten hinsichtlich der umweltrechtlichen Anforderungen an eine sachgerechte Prüfung von Alternativen/Varianten im Rahmen der UVU gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG. Aus diesem Grund wurde eine Expertise zu diesem Thema erstellt. Die Bearbeitung des Kapitels Vorhabenalternativen/-varianten erfolgt auf der Grundlage dieser Expertise, deren zusammengefaßte Ergebnisse den nachfolgenden Ausführungen vorangestellt werden. In der einschlägigen Rechtsliteratur wird zwischen Vorhabenalternativen und Vorhabenvarianten nicht explizit unterschieden, die beiden Begriffe werden synonym verwandt. So auch in der nachfolgend zitierten Expertise1). Gleichwohl hat es sich in der konkreten fachlichen Bearbeitung als zweckmäßig erwiesen, den beiden Begriffen unterschiedliche Sachverhalte zuzuordnen. Die entsprechenden Begriffsdefinitionen werden den Unterkapiteln (2.1 und 2.2) jeweils vorangestellt.
 

1.§ 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG bestimmt, daß der Vorhabenträger die wichtigsten von ihm geprüften Vorhabenalternativen der zuständigen Behörde (Planfeststellungsbehörde) darzustellen hat. Aus dieser Regelung ergibt sich aber weder, daß der Vorhabenträger überhaupt Alternativen zu prüfen hat, noch ist die Verpflichtung der zuständigen Behörde zur Prüfung von Vorhabenalternativen im Rahmen ihrer Umweltverträglichkeitsprüfung dieser Regelung zu entnehmen
  
2.Eine Verpflichtung zur Untersuchung von Vorhabenalternativen ergibt sich aber aus dem bei der Fachplanung nach § 14 WaStrG zu beachtenden planerischen Abwägungsgebot. Unterschiedliche Auffassungen kann man jedoch dazu vertreten, ob die Behörde oder aber der Vorhabenträger diese Verpflichtung zur Prüfung von Vorhabenalternativen trifft. Im Hinblick auf das Ziel der zügigen Durchführung der UVP ist jedoch zu empfehlen, daß die Prüfung von Varianten bereits durch die Vorhabenträger erfolgt.
  
3.Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde sind nicht zur Prüfung aller möglichen Vorhabenalternativen verpflichtet. In die Abwägung einzubeziehen sind nur die ernsthaft in Betracht kommenden Alternativlösungen. 
  
4.Die Variantenprüfung ist nicht bis zum Abschluß des Verfahrens offenzuhalten. Vielmehr können weniger geeignete Alternativen auf Grundlage einer Grobanalyse bereits in einem frühen Verfahrensstadium ausgeschieden werden. Ein gestuftes Vorgehen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zulässig.
  
5.Die Intensität der Alternativen- und Variantenprüfung hat sich daran zu orientieren, welcher Detaillierungsgrad für die Bewertung und Beurteilung erforderlich ist.
  
6.Die UVP kann auf diejenige Variante beschränkt werden, die nach dem aktuellen Planungsstand nur noch ernsthaft in Betracht kommt.
  
7.Die Darstellung der untersuchten Alternativen und Varianten und ihre Bewertung muß nicht in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung erfolgen. Sie kann von den Vorhabenträgern in einer gesonderten Darstellung eingereicht werden. Bei der Darstellung der Auswahlgründe ist insbesondere auch auf Gesichtspunkte der Umweltverträglichkeit einzugehen, eine detaillierte Untersuchung der verworfenen Planungsalternativen und -varianten durch den UVS-Gutachter bzw. die Fachgutachter ist aber nicht erforderlich, wenn die Alternativen bereits durch eine Grobanalyse des Vorhabenträgers auch unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Umweltverträglichkeit als nicht geeignet ausgeschieden sind" (SCHMITZ, SIEDERER 1996).

Von den Trägern des Vorhabens wurden die in Betracht kommenden Alternativen und Varianten geprüft. Die ausführliche Darstellung der Ergebnisse dieser Prüfung sind in der Studie "Grundlegende Planungsüberlegungen" (WSA-HAMBURG; AMT STROM- UND HAFENBAU 1996a) nachzulesen. Im folgenden werden daraus die wesentlichen Kernaussagen zusammenfassend dargestellt. 2.1 Geprüfte Vorhabenalternativen. Unter Vorhabenalternativen werden Problemlösungsansätze verstanden, die vom geplanten Vorhaben (hier: Ausbau der Fahrrinne der Unter- und Außenelbe) grundlegend abweichen. Im vorliegenden Fall lassen sich im wesentlichen zwei Alternativen unterscheiden, die die Tiefgangsproblematik unter Verzicht eines Fahrrinnenausbaus aufgreifen:

  • Die Anpassung der Schiffsgrößen an die bestehende Fahrrinnentiefe (Alternative 1)
  • Hafenkooperationen mit anderen Containerumschlagplätzen (Alternative 2)

Beide Alternativen werden aus folgenden Gründen abschlägig beurteilt: Alternative 1 Ein Eingreifen in den Entwicklungsprozeß der kontinuierlichen Vergrößerung der Containerschiffe infolge steigenden Transportaufkommens sowie wachsenden Kosten- und Rationalisierungsdrucks wird als außerordentlich schwierig beurteilt. Eine wirksame Einflußnahme auf die Schiffsgrößenentwicklung ist allenfalls durch entsprechende international gültige Vereinbarungen zu bewerkstelligen, wobei wiederum die Realisierung der hierfür erforderlichen politischen Rahmenbedingungen schwer absehbar ist. Doch selbst wenn die Problematik mittel- oder langfristig einer Lösung zugeführt werden könnte, bleibt zu bedenken, daß Containerschiffe mit Tiefgangrestriktionen bereits heute in Fahrt sind. Einen zeitnahen Lösungsansatz stellt Alternative 1 demnach nicht dar. Alternative 2 Im Rahmen des Szenarios "Hafenkooperation" werden entsprechende Kooperationsmöglichkeiten mit den Häfen Bremerhaven, Cuxhaven bzw. Brunsbüttel näher betrachtet. Als problematisch angesehen werden

  • die in diesem Zusammenhang erforderlichen staatlichen Eingriffe in die privatwirtschaftlich geprägte Wettbewerbsstruktur,
  • die Gefahr erheblicher Wettbewerbsnachteile für den nicht vertieften Hafen,
  • die Diskrepanz mit dem grundsätzlich wirtschaftlich geprägten Interesse der Reeder, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Ladung umzuschlagen,
  • die Erfordernis einer entsprechenden Warenverkehrslenkung für den binnenländisch zu- und ablaufenden Warenverkehr sowie bei einer Teillöschung in Cuxhaven und Brunsbüttelo die Erfordernis staatlichen Eingreifens in die Warenverkehrslenkung,
  • die Erfordernis von Subventionszahlungen für nicht genutzte Standortvorteile des Hamburger Hafens,
  • das Risiko, daß die Reeder aus wirtschaftlichen Gründen nach Rotterdam ausweichen,
  • die Verursachung zusätzlicher Kosten infolge der Warenbeförderung von und nach Hamburg.

Unter ökologischen Gesichtspunkten

  • fallen zwar folgerichtig bei einer Nicht-Verwirklichung der Fahrrinnenanpassung die damit verbundenen Auswirkungen weg,
  • ist demgegenüber jedoch infolge einer Zunahme der Überlandtransporte (und des hierdurch möglicherweise erforderlich werdenden Straßen-/Schienenausbaus) mit zusätzlichen Belastungen für die Schutzgüter Luft, Wasser und Boden, Tiere und Pflanzen sowie mit Lärmimmissionen zu rechnen,
  • ist zudem eine Steigerung der Unfallhäufigkeit zu befürchten,
  • ist hinsichtlich der verkehrlichen Entwicklung bei einem Teilumschlag über Cuxhaven/Brunsbüttel eine Verkehrsmehrbelastung durch LKW um den Faktor 10 gegenüber einem Umschlag in Rotterdam zu veranschlagen,
  • führt der Bau neuer, an die geänderten Bedingungen angepaßter Umschlagsanlagen zu zusätzlichem Flächenverbrauch.Auch aus ökologischer Sicht erweisen sich die Kooperationslösungen gegenüber einer Fahrrinnenvertiefung demnach nicht als vorteilhaft.

2.2. Geprüfte Vorhabenvarianten Unter Vorhabenvarianten werden Problemlösungsansätze verstanden, die - in der Regel technische - Modifikationen des geplanten Vorhabens darstellen. Im vorliegenden Fall lassen sich im wesentlichen drei Variantentypen unterscheiden (vgl. Abb. 2 - 1):

  • Sockellösungen für "Startfenster" unterschiedlicher Dauer und zu unterschiedlicher Zeit der Niedrigwasserphase (Varianten 1 bis 5)
  • Sockellösung mit abgesenktem Sockel (Variante 6)
  • Durchgehende Vertiefung der Fahrrinne (Variante 7)

Zusätzlich zu den genannten Variantentypen ist grundsätzlich die Möglichkeit einer Zwischenankerung im Raum Brunsbüttel denkbar. Hierfür müßte der Bereich zwischen Schwinge- und Ostemündung vertieft werden. Die Schiffe müßten den Hamburger Hafen in einem Startfenster um Tidehochwasser (Thw) verlassen, um dann im Bereich Brunsbüttel während des örtlichen Tideniedrigwassers (Tnw) einschließlich der Stromkenterung zwischenzuankern. Die Wartezeit in Brunsbüttel würde zwischen acht und zehn Stunden betragen (vgl. WSA-HAMBURG; AMT STROM- UND HAFENBAU 1996a). Diese Variante ist jedoch aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs nicht weiterverfolgt worden, da die Realisierung erhebliche Einschränkungen für die Steuerfähigkeit und damit Manövrierfähigkeit der Schiffe bedeuten würde und somit ein großes Gefährdungspotential für die Schiffahrt darstellen würde. Für die detaillierte Betrachtung der geprüften Vorhabenvarianten verbleiben somit die bereits oben angesprochenen Varianten 1 bis 7.

Variante 1 bis 5 (Sockellösungen für Startfenster unterschiedlicher Dauer und zu unterschiedlicher Zeit) "Um maßnahmebedingte Umweltbeeinträchtigungen zu minimieren, gingen die planerischen Grundsatzüberlegungen davon aus, dem Bemessungsschiff keinen tideunabhängigen Verkehr, wie dies nur durch eine durchgehende Vertiefung ermöglicht werden könnte, sondern tideabhängigen Verkehr mit entsprechenden Wartezeiten zu ermöglichen. Hierbei war zu berücksichtigen, daß sich die eigentliche Tiefgangsproblematik nicht für einkommende große Containerschiffe stellt, da diese das mit der Flut aus der Deutschen Bucht einlaufende Hochwasser nutzen können und auf diesem in den Hamburger Hafen "reiten" können. Grundsätzlich anders gelagert ist die Problematik jedoch für den ausgehenden Containerschiffsverkehr, da die Schiffe das ihnen nun entgegenkommende Hochwasser zeitlich nur begrenzt ausnutzen können und die Fahrrinne auch während mindestens einer Niedrigwasserphase befahren müssen. Auf dieser Grundlage wurden zunächst "Sockellösungen" entwickelt (Variante 1 bis 5, Abb. 2 - 1, Anm. PL-Nord), bei denen die Fahrrinne keilförmig im Bereich der Hamburger Delegationsstrecke und unterhalb etwa von Brunsbüttel unter Beibehaltung eines zentralen Sockels vertieft wird. Die Grundidee dieser Varianten besteht darin, daß unter Ausnutzung der Tidedynamik nur diejenigen Streckenabschnitte der Fahrrinne vertieft werden müssen, die das ausgehende Bemessungsschiff während der Niedrigwasserphase befährt. D. h. im Bereich des nicht vertieften Sockels durchfährt das Schiff das ihm entgegenkommende Hochwasser. Der Vorteil dieses Lösungsansatzes liegt darin, daß der Sockel als bremsendes Element wirkt und damit die hydrologischen und ökologischen Folgen der Maßnahme minimiert werden. Auch die mit diesem Teilausbau verbundene deutliche Verringerung des anfallenden Ausbaubaggergutes ergibt gegenüber der durchgehenden Vertiefung ökologische Vorteile und hat darüber hinaus eine deutliche Reduktion der erforderlichen Investitionskosten zur Folge. Aus der Variation der Sockellänge ergibt sich eine jeweils unterschiedliche Dauer und zeitliche Lage des sogenannten Startfensters, das den Zeitpunkt und die Länge des möglichen Abfahrtzeitraumes beschreibt. Die Dauer des Tidefensters nimmt von Variante 1 bis Variante 5 von 1,0 auf 2,5 Stunden zu bei gleichzeitiger Abnahme der Sockellänge von 30 auf 7 km" (WSA-HAMBURG; AMT STROM- UND HAFENBAU 1996a).

Variante 6 (Sockellösung mit abgesenktem Sockel) "Weitere planerische Überlegungen haben gezeigt, daß es für eine bedarfsgerechte künftige Gestaltung der Fahrrinne auch wichtig ist, den Höchsttiefgang für den tideunabhängigen Verkehr zu verbessern. Das Maß für den künftigen Grenztiefgang für tideunabhängigen Verkehr wird dabei allein von der Fahrrinnentiefe im Bereich des Sockels gesteuert. Bei der technischen Planung hat sich hieraus eine Ausbauvariante ergeben, bei der der verbleibende Sockel ebenfalls, und zwar um 0,5 m auf 14,0 m unter KN, vertieft wird. Dem Bemessungsschiff wird bei dieser Ausbauvariante weiterhin ein tideabhängiger Verkehr bis zu einem Tiefgang von 13,8 m ermöglicht (Länge des Startfensters 4 h). Gleichzeitig wird damit der Höchsttiefgang für den tideunabhängigen Verkehr von jetzt 12,0 m auf künftig 12,3 m angehoben" (WSA-HAMBURG; AMT STROM- UND HAFENBAU 1996a). Im Rahmen einer ökologischen Voruntersuchung auf der Grundlage bereits vorliegender Kenntnisse über hydrologische, morphologische und ökologische Verhältnisse im Flußsystem wurde geprüft, ob eine Vertiefung der Unter- und Außenelbe grundsätzlich vertretbar ist. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, "daß sowohl die hydraulischen - Wasserstände, Sturmflutscheitelwasserstände und Strömungen - als auch die ökologischen Auswirkungen der durch die Varianten 1 bis 6 beschriebenen Teilvertiefungen in vertretbaren Rahmen bleiben..." (WSA-HAMBURG; AMT STROM- UND HAFENBAU 1996a).

Variante 7 (Durchgehende Vertiefung) Bereits in den Vorüberlegungen zeigte sich, daß eine durchgehende Vertiefung der Fahrrinne auf ca. 16 m unter KN unter ökologischen Gesichtspunkten nicht unproblematisch ist. Die weiteren Überlegungen konzentrierten sich sehr bald auf andere Lösungsmöglichkeiten (vgl. Varianten 1 bis 5 und 6). Variante 7 wird daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet. Fazit Variante 6 - Sockellösung mit abgesenktem Sockel - wurde aufgrund der Voruntersuchungen und weiterer planerischer Überlegungen unter wirtschaftlichen, nautischen als auch ökologischen Gesichtspunkten als vertieft zu untersuchende Vorhabenvariante ausgewählt. Im weiteren Verlauf der Planungen sowie infolge vertiefter Untersuchungen wurde Variante 6 modifiziert und bildete als Variante Z0 (vgl. Abb. 2 -2) die Grundlage für die Festlegung des Untersuchungsrahmens für die Umweltverträglichkeitsuntersuchung gemäß § 5 UVPG. Im Verlauf der detaillierten Ausführungsplanung wurden nochmals Sensivitätsuntersuchungen durchgeführt, die zu einer modifizierten Variante Z1 führten (vgl. BUNDESANSTALT FÜR WASSERBAU 1994, Abb. 2 -3). Sie liegt in aktueller Form der UVU zugrunde (vgl. Kap. 3)


Abb. 2 - 1: Ausbauvarianten der Voruntersuchung

Abb. 2 - 2: Längsschnitt Variante Z0

  Abb. 2 - 3: Längsschnitt Variante Z1

Fußnoten:
1.) SCHMITZ, SIEDERER (1996): Erforderlichkeit der Ermittlung und Darstellung von Vorhabenalternativen und die hierbei zu beachtenden rechtlichen Anforderungen bei der Umweltverträglichkeitsuntersuchung zur Anpassung der Fahrrinne der Unter- und Außenelbe an die Containerschiffahrt