Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3.4 Landschaftsbildaspekte

Zum Abschluß des Kapitels über die Landschaftsentwicklung sollen anhand einiger literarische Beispiele typische Aspekte des Landschaftsbildes des Außendeichlandes vorgestellt werden. Diese Zitate geben zum Teil persönliche Erfahrungen der jeweiligen Autoren mit dem erlebten Landschaftsbild wieder. Sie sollen auch eine Überleitung zum Kapitel 4 "Gegenwärtiger Zustand" sein.

Mehrmals wird hier aus dem Buch "Die Niederelbe" von Richard LINDE aus dem Jahr 1908 zitiert. Gerade aufgrund des Alters dieses Buches kann man konstante und veränderte Landschaftsbilder herausarbeiten. Anhand dieser hier exemplarisch aufgeführten Landschaftsbildaspekte wird jeweils auf Landschaftsbildelemente und Bewertungskriterien verwiesen, die in der Untersuchung berücksichtigt werden. Zum Schluß werden noch einige verlorene Landschaftsbildaspekte dargestellt, die den Wandel der Landschaftsbilder im Untersuchungsgebiet dokumentieren sollen.

Die perzeptive Sinnschicht des Landschaftsbildes

Bärbel Hedinger über die Europamarke (Köhlbrand) der Deutschen Bundespost von 1988: "In der Briefmarke ist die Flur graphisch bereinigt, ein blauer Strich die Elbe, ein zweiter zarter Strich für das Ufer, darüber der azurblaue Himmel; fast als hätte man ein Goethewort ins Bild gesetzt, der über Hamburg, das er nie gesehen hat, gesagt hat, dieses sei mit zwei Federstrichen zu zeichnen. Vermutlich waren die Elbufer gemeint" (HEDINGER 1994).

Die symptomatische Sinnschicht des Landschaftsbildes

"Die meisten Menschen haben heute aber keinen echten Begriff von einem Fluß mehr, weil es kaum noch echte Flüsse gibt. (...) Heute allerdings ist es so, daß die meisten Menschen keinen Fluß mehr als Gestaltungskraft der Landschaft erleben, sie erleben ihn höchstens als einen Bestandteil derselben. Damit wird der Fluß erst zum Gegenstand, die Ufer zu seiner festen Begrenzung (...)" (FALTER 1992).

Die symbolische Sinnschicht des Landschaftsbildes

Abb. 64: Aristide Maillol: Der Fluß (Hamburg, Glockengießerwall)

 

Landschaftsbildräume

"Es ist immer dasselbe großzügige Landschaftsbild, lieblicher und gartengleicher, je weiter aufwärts, elementarer und starrer, je näher der Mündung" (LINDE 1908).

"Auch die Landschaft wird größer und elementarer, das Vorland schwindet, an Stelle des Süßwasserschilfes, das noch bei Otterndorf, wenn auch schon verkrüppelt, die Medemmündung umrahmt, treten allmählich Salzkräuter, die Brake werden häufiger, der Baumwuchs spärlicher, die Stämme nach Osten gebogen, die schutzlos dem Weststurm preisgegebenen Zweige sind verdurstet. Nur bei hellem Wetter erscheint die Dithmarscher Küste mit dem schlanken Marner Kirchturm, während sich endlos sonst der meergleiche Strom dehnt. (...) Der Strom erscheint bei seiner Breite bereits als Wasserscheibe und das ferne Ufer nicht mehr als gerade, sondern als gebogene Linie" (LINDE 1908).

"Nun sind die Deichwände einander nahegerückt, und so sieht man nichts weiter als Wasser, Deichwände, Giebel und Wipfelreihen der Bäume, die das Haus umgeben. (...) Treten die Deiche wie bei den schmalen Nebenarmen noch näher heran, so wird dies Landschaftsbild entsprechend enger" (LINDE 1908).

Während das erste Zitat die kontinuierliche Veränderung des Landschaftsbildes von Geest-hacht bis zur Elbmündung darstellt, beschreibt das zweite Zitat den Charakter des Landschaftsbildraumes 5 "Mündung und Wattenmeer" und das dritte Zitat den Charakter des Landschaftsbildraumes 1 "Fluß im Binnenland".

  • Die Abgrenzung der sechs Landschaftsbildräume stützt sich unter anderem auf das Kriterium "Breite des Elbstroms".

Breite des Deichvorlandes

"Als letzter Streifen folgt das Außendeichsland - der "Außendeich", "Butendeich" im Volksmund - nur selten ganz fehlend, oft schmal, oft breiter, oft eine Wegstunde breit, meist sandiger als der "Binnendeich", von Prielen durchfurcht, mit Reetwildnis und Weidengeflecht bedeckt, (...)" (LINDE 1908).

  • Die sechs Landschaftsbildräume wurden in 84 Landschaftsbildbereiche gegliedert. Die Landschaftsbildbereiche wurden in drei Breitenklassen (< 200 m, 200 - 500 m und > 500 m) eingeteilt.

Elbe, heller Ort

Dieser Aspekt des Landschaftsbildes führte zu der Namensgebung der Elbe.

"Das in der mittelholozänen Elbmarsch-Landschaft dominierende Element waren ausgedehnte, mit Schilf dicht bewachsene Sümpfe. Solche Täler stellten für die damalige Bevölkerung eine so bedeutsame Naturerscheinung dar, daß man für die sogar einen eigenen Namen parat hatte: Albis (später Elbe) heißt nämlich der "lichte" oder "helle" Ort" (PALUSKA in KAUSCH 1992).

"Das (die Elbe, Anm.d.Verf.) bedeutet eben nichts anderes als Strom, Wasserlauf, Fluß, mit Bedeutung des Schimmernden, Glänzenden, Hellen" (LINDE 1908).

In diesem Aspekt wird reflektiert, daß es sich im Elbtal nicht um eine Waldfläche handelte, wie es für den überwiegenden Teil Mitteleuropas von Natur aus üblich war, sondern um eine helle, weite, große Lichtung, die vor allem von den Geesträndern aus überschaut werden konnte.

  • Das Bewertungskriterium "Große Weite" wird im Kriterium "Raumstruktur und Formenschatz" berücksichtigt.

Geestkante

"Von der ebenen Niederungslandschaft heben sich die beiden Geestränder als wichtige Leitlinien des Gesamtraumes markant ab. In dem weiten Tal schwingt die Elbe hin und her, (...)" (DEGN, MUUSS 1979).

In den Landschaftsbildräumen "Stadt und Hafen Hamburg" und "Unterelbe an der Geest" ist die nördliche Geestkante die Grenze des Zusatzbereiches.

  • Die Geestkante wird im Kriterium "Raumstruktur und Formenschatz" als Landschaftsbildelement behandelt.

Deich

"Zu Recht wird der Deich "das Rückgrat der Marsch" genannt, (...)" (ASCHENBERG 1992).

"Eine Anziehungskraft übt auch der hohe Stromdeich aus mit seinem weiten Ausblick auf die von Schiffen belebte Elbe" (SEEDORF 1977).

Der Deich ist neben der Uferlinie und der Geestkante die dritte linienhafte Grenze in der Marsch. Sie trennt Binnen- und Außendeichsland und ist an langen Strecken die Grenze des Untersuchungsgebietes.

  • Der Deich wird als Landschaftsbildelement in dem Kriterium "Raumstruktur und Formenschatz" berücksichtigt. Im Kriterium "Anthropogene Prägung" geht er als anthropogen genutzte Fläche verschiedener Prägungsepochen ein. Im Kriterium "Naturnähe" wird "Deichrasen" als "Biotopobertyp geringer Naturraumbindung" bewertet.

 

Wildnis

"Draußen weite Schilfwildnis, Weidengestrüpp, Lattichabsturz, graue Sande, blinkender Schlick, zuwachsende Priele, graue Wogen mit wiegendem Reet (...)" (LINDE 1908).

Diese Darstellung der Wildnis des Außendeichlandes stellt Aspekte der Naturnähe der Biotopobertypen dar.

  • Im Kriterium "Naturnähe" werden "Röhrichte", "Auwälder" und "Wattflächen" als naturraumtypische Landschaftsbildelemente hoch bewertet.

Watt

"Kommt man aber zur Ebbezeit bei stillem Wetter hierher, dann zeigt sich ein anderes Bild. Über den blaugrünen glatten Wassern spielt in der Ferne ein gebrochener Lichtschein, eine gelbe Wüstenlandschaft taucht zu beiden Seiten des Schiffes empor" (LINDE 1908).

Die ausgedehnten Wattflächen haben hohe landschaftsbildliche Qualitäten und unterstützen die Eigenart des Landschaftsbildraumes.

  • "Wattflächen" werden als Landschaftsbildelement im Kriterium "Naturnähe" als naturraumtypischer Biotopobertyp hoch bewertet.

 

Salzwiese

"Erst wo das Salzmeer beginnt, verkrüppelt das Schilf. Dafür sprossen hier besondere Salzpflanzen, glasiger Queller, Wermut, Rettich, Löffelkraut, Strandastern, Armeria und Andel" (LINDE 1908).

"Auf dem neuen Boden hat sich - erst seit einigen Jahren - eine reizvolle Brak- und Salzpflanzenvegetation angesiedelt, die jede kleine Lache mit den schönen Formen dieser eigentümlichen Flore erfüllt" (an den Dithmarscher Kögen) (LINDE 1908).

  • "Salzwiesen" werden als "naturraumtypische Biotopobertypen" im Kriterium "Naturnähe" berücksichtigt und hoch bewertet.

Landschaftsraumtypische Biotopobertypen

"In jahrhundertelanger Arbeit hat der Mensch die Naturlandschaft, die ihrem Charakter nach Schilf- und Bruchwald war, in eine blühende Kulturlandschaft verwandelt. Aber die natürlichen Gegebenheiten und die Uranlagen haben sich kaum geändert, so daß die Naturlandschaft noch heute ihr Gesicht zeigt, wie an den mit Röhricht, Weiden und Erlen bestandenen Rändern der Entwässerungsgräben, in den Reetfeldern der Bracks und in den Schilfpflanzengesellschaften, die an den Ufern des Außendeichslandes und in den mäanderartigen Flußresten des Binnendeichslandes wachsen" (SCHRADER 1957).

  • In diesem Zitat werden verschiedene Aspekte des Landschaftsbildes aufgezählt, die in dem Kriterium "Naturnähe" überwiegend als landschaftsraumtypische oder naturraumtypische Biotopobertypen bewertet werden.

Siedlung

"Innerhalb der Weidenreihen erheben sich Eschen und Pappeln als Windschutz, die niedrigen Weidenbäume überragend. So verkriecht sich Haus und Hof hinter Wasser- und Windschutzbäumen und die zerstreuten Höfe gleichen kleinen Wäldchen" (LINDE 1908).

  • Die hier beschriebenen Siedlungsbiotope, wie sie z.B. auf Krautsand vorkommen werden in den Kriterien "Naturnähe" und "Anthropogene Prägung" bewertet. Die Kammerung der Landschaft ist ein Parameter des Kriteriums "Raumstruktur und Formenschatz".

Buhnenfelder

"Wo das Watt fehlt, sucht man durch Gräben und Buhnen, Stackwerke und Dämme die Anschlickung zu befördern" (LINDE 1908).

  • Buhnenfelder werden im Kriterium "Anthropogenen Prägung" als Landschaftsbildelement bewertet.

Hamburger Hafen

"Die Strecke zwischen Baumwall und Landungsbrücken fuhr Roman Bertini stets mit aufgerissenen Augen und offenem Mund, unersättlich die Wunder dieses Hafens in sich einsaugend, mit unlokalisierbaren Visionen von Afrika und Patagonien, dem Kap der Guten Hoffnung, Südseeinseln und was sich sonst noch alles in seiner Phantasie an Abenteuer und Ferne schemenhaft gespeichert hatte" (GIORDANO 1985).

"Nach ästhetischen Spielereien wird man im Hafen vergeblich suchen. Aber gerade das Funktionale seines Inventars, seine Echtheit und Unsentimentalität, machen die besondere Überzeugungskraft und Faszination der Hafenlandschaft aus" (MÖLLER 1992).

Während in dem Zitat von GIORDANO die symbolische Sinnschicht des Landschaftsbildes des Hafens im Vordergrund steht, stellt das Zitat von MÖLLER die ästhetische Eigenart des Hafens in den Vordergrund.

o Die Hafenlandschaft wurde aufgrund ihrer anthropogenen Nutzung als ein eigenständiger Landschaftsbildraum ("Stadt und Hafen Hamburg") ausgegliedert. Die Hafenbecken und Kaianlagen werden im Kriterium "Anthropogene Prägung" jeweils nach ihrer Entstehungsepoche bewertet.

Aufspülung

"Waltershof und die stille Dradenau sind geradezu Perlen niederdeutscher Elbschönheit, schilfumgebene Marschenidylle in unmittelbarster Nähe der Großstadt. Der Marschencharakter dieser Inseln wird nicht mehr lange erhalten bleiben. Nicht nur, daß sie immer mehr Industrieanlagen zum Opfer fallen, sondern auch der aus der Elbe gehobene Baggersand erweist sich als ihr Feind. Durch die Aufschüttung dieser Baggersandmassen zu sturmflutfreier Höhe gebracht, verlieren sie den Marschencharakter" (LINDE 1908).

Dieses Zitat vom Beginn unseres Jahrhunderts zeigt an einem historischen Beispiel die schon damals drohende Überprägung des Landschaftsbildes durch Aufspülung.

  • Aufspülung wird im Kriterium "Anthropogene Prägung" als Abwertungsparameter behandelt.

Historische Landschaftsbilder

Zum Schluß dieses Kapitels sollen noch exemplarisch einige Aspekte verlorener Landschaftsbilder vorgestellt werden: Sie werden vor allem im Kriterium "Anthropogene Prägung" durch die dort definierten Flächenwertstufen des Parameters "Anthropogene Nutzung" bewertet.

Verlorenes Untersuchungsgebiet

"Der Köhlbrand sah unpersönlich und kanalisiert aus, denn an der linken Seite begannen die Hafenanlagen, und das Ufer war mit Steinen befestigt. Etwas weiter oben kam noch der Geruch von Benzin und Fett aus den Raffinerien hinzu. Und wenn die kleine Landzunge in Sicht kam, auf der die Pioniere übten, war ich froh. Denn dort war die Einfahrt zur Süderelbe. Schon nach wenigen Metern auf der Süderelbe befand ich mich in einer anderen Welt. Das Fahrwasser verengte sich, die Kronen der Bäume hingen über das Wasser. Ich hörte das stoßweise Atmen einer Kuh, die mit den Vorderläufen im Wasser stand und mir neugierig nachsah, und vorn an der Biegung flog ein Fasan auf" (JUNGBLUT 1984).

Die Alte Süderelbe zwischen Finkenwerder und Altenwerder ist 1962 abgedämmt worden und steht nicht mehr unter Tideeinfluß. Sie gehört deshalb nicht zum Untersuchungsgebiet dieser UVU.

Wildnis

"Die Sumpf- und Wasserwildnis des Stromlandes bildete jedoch bis in die Neuzeit ein unüberwindliches Hindernis" (SCHRADER 1957).

Große Teile der hier beschriebenen ehemaligen Sumpf- und Wasserwildnis sind heute anthropogen geprägt. Naturnahe Flächen sind mittlerweile rar geworden und müssen aufwendig geschützt werden.

  • Im Kriterium "Naturnähe" sind die naturraumspezifischen Landschaftsbildelemente dargestellt. Im Kriterium "Anthropogene Prägung" sind diese naturnahen Flächen als "Nicht anthropogen genutzt" dargestellt.

Ziegeleien

"Die Ziegeleien liegen vielfach am Außendeich auf einer Wurt, bei Stadersand, Bützfleth, Gauensiek, Drochtersen, Krautsand, Neuland, Wischhafen, Freiburg und längs der Oste." (LINDE 1908).

Die letzte Ziegelei im Untersuchungsgebiet liegt bei Gauensiek.

  • Die ehemaligen Ziegeleistandorte im Untersuchungsgebiet sind in der Untersuchung "Anthropogene Prägung" als Kulturlandschaft, unverändert seit 1955 oder Kulturlandschaft, stark verändert seit 1955 dargestellt.

Ein Beispiel für verlorene Landschaftsbildqualitäten im Hafen

"Hamburg ist Deutschlands Tor zur Welt. Schiffe aus allen Ländern der Erde an Kais und Dalben, hochragende Kräne vor endlosen Lagerschuppen gehören ebenso zu dem geschäftigen Leben der Hafenlandschaft wie die ratternden Niethämmer auf den Baugerüsten der Werften, die schwarz-roten Barkassen auf grauem Elbwassser, das Heulen und Tuten und der Geruch von Tauwerk, Öl, Ruß, Fisch und Teer" (...) (DEGN, MUUSS 1979).

Einige in diesem Zitat aufgeführten Landschaftsbildelemente existieren heute nicht mehr oder zumindest nicht mehr in dieser Form, z.B. wurden Lagerschuppen und Werftanlagen vielerorts abgerissen.

  • Die veränderten Nutzungen des Hafenbereichs sind im Kriterium "Anthropogene Prägung" dargestellt.

Baden in der Elbe

"Zuerst kreuzte ich ein Stück elbaufwärts in Richtung St. Pauli-Landungsbrücken und steuerte dann in den Köhlbrand. Rechterhand genau an der Ecke (dort wo heute der Autobahntunnel rauskommt) lag unser Schul-Tagesheim. Es bestand aus einigen grünen Baracken und einem schönen Strand. Ein bis zwei Mal im Jahr fuhren wir mit unserer Klasse dorthin, veranstalteten Unterricht im Freien und badeten in der Elbe" (JUNGBLUT 1984).

Dieser letzte hier vorgestellte Landschaftsbildaspekt weist auf eine Art hin, wie man die Elblandschaft früher erleben konnte. Die Unbekümmertheit im Umgang mit der Elbe, die sogar als Badegewässer genutzt wurde, ist aufgrund der Gewässerverschmutzung längst verloren gegangen. Heute ist in großen Teilen des Untersuchungsgebietes das Baden in der Elbe aus gesundheitlichen Gründen nicht erlaubt bzw. nicht empfehlenswert.