Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

3.2 Siedlungsentwicklung

Bei der Skizzierung der Siedlungsentwicklung werden zunächst die Anfänge der Besiedlung dargestellt. Anschließend werden die mittelalterlichen Deichbaumaßnahmen und als zweite große Deichbauphase die Maßnahmen aus der Zeit nach 1962 beschrieben. Die Hafenentwicklung und die Industrialisierung der Unterelbe werden gesondert behandelt.

Anfänge der Besiedlung

"Wie in anderen bedeichten Küstengebieten ist auch die Entwicklung der Elbmarschen von ständiger Wechselwirkung zwischen menschlicher Aufbauarbeit und Umformungskräften der Natur geprägt worden." (GRÜTTNER 1992).

Die häufig überschwemmten, schwer zugänglichen Marschen der Elbe wurden von den Geestkanten aus besiedelt. Erste sporadische Besiedlungen fanden auf den trockenen Flugsanddünen schon in der Jungsteinzeit (5000 - 6000 Jahre vor heute) statt (KAUSCH 1996 (a)). "Über das Erscheinen des Menschen in dieser amphibischen, menschenfeindlichen Umwelt gibt es nur wenig gesicherte Kunde (...)". Funde belegen, "(...) daß sich mindestens seit 1500 bis 2000 v. Chr. Menschen im Stromspaltungsgebiet zum Jagen und Fischen aufhielten." (ASCHENBERG 1992).

In der Eisenzeit kam es zwar zu keiner direkten anthropogenen Veränderung der Elbmarschen, jedoch wirkten sich die Abholzungen im Einzugsgebiet der Elbe im Mittel- und Oberlauf auf die Tideelbe aus. Die Entwaldung vereinfachte die Erosion im Oberlauf und führte zu einer erhöhten Sedimentation im Unterlauf. Das führte dazu, daß vor allem im Stromspaltungsgebiet "(...) die Überschwemmungsgebiete schneller aufgelandet und trockener wurden. Die Schilfröhrichte verschwanden von den nun etwas höher liegenden Flächen, gefolgt vom Aufwachsen von Auwäldern. Röhrichte blieben auf die unmittelbare Ufernähe beschränkt." (PALUSKA 1984 in KAUSCH 1996a).

Voraussetzung für die dauerhafte Besiedlung der Marschen war der Rückgang bzw. Stillstand des Meeresanstieges um die Zeitenwende. "Ein um Chr. Geburt noch niedriger Meeres- und Sturmflutspiegel erlaubte ebenso wie im 8. Jahrhundert örtlich die Anlage von Flachsiedlungen, die jedoch bald zu Wurten aufgehöht werden mußten" (MEIER 1992).

Abb. 49: Schematische Darstellung der Marschenkolonisierung (ELLENBERG 1990)

Günstig für die Besiedlung waren die höheren Ufermarschen entlang der Elbe und der Nebenflüsse. Hier entstanden ebenerdige Flachsiedlungen. In der Kremper Marsch sind fünf Flachsiedlungen bekannt (Ivenfleth, Krug Himmel, Fiefhusen, Hodorf, Eltersdorf). In der Haseldorfer Marsch sind Ichorst, Hetlingen und Bishorst belegt (GRÜTTNER 1992).

Die große Anzahl der bis heute erhaltenen Ortsnamen mit den Endungen -fleth und -wurt, die auf das 7. bis 11. Jahrhundert zurückzuführen sind, zeigt, daß die Besiedlungsdichte schon vor der großen Eindeichungsphase im Mittelalter groß war. Die "-fleth"-Orte erinnern an den Verlauf der Priele vor der planmäßigen Erschließung (GROSSKOPF 1992).

Wurtensiedlungen sind bis heute in der Elbmarsch erhalten. Zu unterscheiden sind Einzelwurten und Dorfwurten. Beispiel für Einzelwurten im Untersuchungsgebiet findet man auf Kraut- und Asselersand (vgl. Abb. 50). Als Dorfwurten sind Freiburg, Drochtersen und Assel zu nennen. Heute liegen viele Wurten brach, z.B. an der Ostemündung und in der Winsener Marsch.

Abb. 50: Wurtensiedlung Krautsand (TK 25 1989-1995b, Blatt 2222 Glückstadt (Ausschnitt))

"Anders als im Mittelalter und in der Neuzeit blieb das einseitig auf Viehwirtschaft ausgerichtete Wirtschaftssystem im hohen Maße von den naturräumlichen Bedingungen abhängig, da die Siedler noch nicht in ihre Umwelt durch Deichbau und geregelte Entwässerung eingriffen" (MEIER 1992).

Frühestens seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts schützten Deiche das Wirtschaftsland auf den hohen Uferrändern (MEIER 1992). Dies sind die Urzellen der Eindeichung, die fortan durch Vergrößerung der Polder und spätere Verbindung der Polder zur Bedeichung der gesamten Marsch geführt haben. Gut zu erkennen ist der Ringdeich des Polders Rosengarten auf Hamburger Gebiet (vgl. Abb. 51). Ein Beispiel für einen großen Ringdeich ist in Kehdingen belegt. Dieser Ringdeich verband verschiedene Wurtenorte miteinander. Er verlief von Wischhafen (Elbdeich) - Freiburg - Krummendeich - Hörne (Süderdeich und Breitendeich) - Oederquart (Hollerdeich) - Hollerdeich - wieder zurück nach Wischhafen.

"An günstig gelegenen Orten sowie strategisch wichtigen Punkten sind Befestigungsanlagen oder einfache Burgen auch in Niederungsgebieten errichtet worden, in deren Schutz Ortsgründungen vereinzelt von 1000 bis 1100 n. Chr. zurückreichen. Um 1450 bestanden fast alle heute bekannten Ortschaften" (PUFFAHRT 1992).

Deichbau im Mittelalter

Im 12. Jahrhundert begann eine neue Phase der Bedeichung, an deren Ende eine geschlossene Deichlinie entlang der beiden Elbufer entstand. Der Deichbau wurde sowohl von sächsischen Siedlern der Marsch als auch von Holländern durchgeführt (vgl. Abb. 51). Während unregelmäßige Bedeichungen, Flureinteilung in Kämpe und Nutzung der natürlichen Priele zur Entwässerung den durch sächsische Siedler erschlossenen Poldern zugeschrieben werden (z.B. Fiefhusen an der Stör, Rosengarten Hamburg, Winsener Marsch), zeichnen sich die im holländischen Stil erschlossenen Polder durch regelmäßige Einteilung in Marschhufe und durch ein geometrisch angelegtes künstliches Entwässerungsnetz aus Wettern und Gräben aus (vgl. Abb. 51). Diese Erschließungsform setzte sich in der Folgezeit durch und bestimmt das Landschaftsbild im überwiegenden Teil der Elbmarschen. Sie gab der Marsch ihre charakteristische Geometrie.

Abb. 51: Ringdeich Rosengarten sowie Beispiele für unregelmäßige "sächsiche" und regelmäßige "holländische" Erschließung der Marsch im Bereich Hasselwerder (TK 25 1989- 1995a, BLATT 2424 Wedel (Ausschnitt))

Die Erschließung durch Holländer fand vor allem im Sietland statt und ist in der Haseldorfer Marsch ab 1142, in der Wilstermarsch ab 1221 (MEIER 1992) und in der Kremper Marsch ab 1312 (GRÜTTNER 1992) belegt. Erste Hinweise auf Deiche in der Stader Marsch stammen aus der Zeit um 1255. Lange Zeit gab es aber auch noch Ortsgründungen ohne Schutzdeiche, so hatten zum Beispiel Fliegenberg und Wuhlenberg in der Winsener Elbmarsch 1563/64 noch keinen Deich, also zu einem Zeitpunkt, als in anderen Elbmarschen bereits die heutige Deichlinie erreicht war (PUFFAHRT 1992).

Abb. 52: Veränderung der Deichlinien in Ritzebüttel (GROSSKOPF 1992)

Die durch Eindeichungen entstandenen großflächigen Polder mußten zum Teil zum Randmoor hin durch einen Binnendeich vor einströmendem Moorwasser geschützt werden. Mit der Bedeichung entstand das Problem der künstlichen Entwässerung der Poldergebiete über Gräben, Wettern und Siele. Die Entwässerung erfolgte zunächst über das natürliche Gefälle (bei Ebbe), zunehmend wurden später vor allem im tieferliegenden Sietland Windmühlen und heute motorgetriebene Pumpen eingesetzt (Schöpfwerke).

In Folge von Sturmfluten kam es häufig zu Deichbrüchen und zur Überflutung weiter Landstriche. Bracks entlang der Deichlinien erinnern an diese Deichbrüche. Beispiele hierfür sind das Schulbrack in Wilhelmsburg, das bei einem Deichbruch 1717 entstand, die Bracks bei Bielenberg (1756) oder bei Hinterbrack im Alten Land. Das Umdeichen dieser Bracks führte zu Krümmungen in der Deichlinie, die gerade für alte Deiche typisch wurden. Die Lage der Deiche wurde immer wieder den Gegebenheiten angepaßt (vgl. Abb. 52).

Vielfach gingen durch Sturmfluten auch ganze Ortschaften verloren. Im Bereich Brunsbüttel waren hiervon zwischen 1531 und 1777 acht Ortschaften betroffen. Der Deich wurde hier 1565, 1574, 1618, 1687, 1685 zurückgenommen. "Die Verluste an Land erreichten in Brunsbüttel nach amtlichen Unterlagen im Verlaufe des 16. und 17. Jahrhunderts rd. 681 ha. Die Orte Brunsbüttel und Süderhusen wurden völlig zerstört, in weiteren acht Orten gingen (...) insgesamt 119 Häuser verloren" (WIELAND 1992).

Abb. 53: Im Mittelalter aufgegebene Kirchspiele und Landverluste am nördlichen Elbufer zwischen Wedel und Brunsbüttel (GRÜTTNER 1992)

 

1685 entstand die große Braake, ein prielartiger Einbruch der Elbe im Bereich des heutigen Brunsbütteler Altenhafens. Die dahinterliegende Marsch war 25 Jahre ungeschützt, ehe es 1710 gelang, die eingerissene Braake etwa auf die heutige Ausdehnung einzudämmen (DEGN, MUUSS 1979). Der Einriß der Großen Braake ist aber bis heute als Einbuchtung in der Linie des Landesschutzdeiches erhalten. Rückverlegungen der Deiche gab es auch in der Engelbrechtschen und Blomeschen Wildnis bei Glückstadt (von ca. 1500 bis 1615) und bei Ritzebüttel (GROSSKOPF 1992) (vgl. Abb. 52). Auch die dritte Meile des Alten Landes war im 14. und 15. Jahrhundert für mehrere Jahrzehnte nach Deichbrüchen unnutzbar.

Abb. 54: Landverluste und Wiederbedeichungen im Raum Brunsbüttel (WIELAND 1992)

Am Ende dieser großen Deichbauphase gelang es, die Deichlinie zu schließen, wodurch die Marsch fortan kulturbedingt in die bedeichten Polderflächen der hohen Marsch und des Sietlandes sowie die Außendeichsflächen, die vielerorts noch durch Sommerdeiche gegliedert waren, unterschieden werden konnte. Spätestens mit dem Jahr 1573, als ein Moor zwischen Dithmarschen und Wilster Marsch bedeicht wurde, kann man von einem durchgängigen Deich, zumindest für das rechte Elbufer sprechen. "So ist dreierlei Land entstanden: 1. das den Überschwemmungen ausgesetzte Außendeichsland mit seinen Sanden, Wiesen, Sumpf, Schilf- und Reetfeldern; 2. das Weideland hinter den Sommerdeichen und 3. hinter den Winterdeichen das fruchtbare Winterdeichsland mit Äckern, Gärten und Weiden." (SCHRADER 1957).

In dieser großen Phase des Deichbaus ab dem 11. Jahrhundert wurde die Marsch eingeteilt und ihre Abschnitte benannt. Das rechte, nördliche Elbufer in: Vier- und Marschlande, Haseldorfer Marsch (von der Wedeler Au bis zur Pinnau), Seestermüher Marsch (von der Pinnau bis zur Krückau (früher Seesterau)), Kremper Marsch (von der Krückau bis zur Stör), Wilster Marsch (von der Stör bis zum Holstengraben (heute Nord - Ostsee - Kanal)), Süddithmarschen (vom Nord - Ostsee - Kanal bis zur Nordseeküste). Das linke, südliche Ufer in: Winsener Marsch (von Artlenburg bis zur Luhe), Neuland (von der Luhe bis Harburg), das Alte Land (von Hamburg bis zur Schwinge), das Land Kehdingen (von der Schwinge bis zur Oste), das Land Hadeln (von der Oste bis zur Küste).

Die Zuordnung und Benennung der Außendeichsflächen fand ebenfalls in dieser Phase statt. Die Außendeichsflächen wurden nach Orten in der Hochmarsch oder Geest benannt. Beispiel hierfür sind auf Niedersächsischer Seite: Stader Sand, Asseler Sand, Stellenflether Außendeich, Krummendeicher Außendeich, Baljer Außendeich usw.

Die in dieser Phase entstandene Deichlinie hatte in vielen Abschnitten mehrere Jahrhunderte lang, zum Teil bis in die Gegenwart, Bestand.

Deichbau nach 1962

Der Landesschutzdeich entstand erst, als die Hoheit über den Deichbau von den einzelnen Siedlungen und Landesherren im 19. Jahrhundert auf den preußischen Staat überging (KAUSCH 1996a). Damit wurde aus dem vormals regionalen Deichbau ein überregionales Projekt. Nachdem es 1825 die bis dahin letzten schweren Schäden durch Hochwasser an der Tideelbe gab, kam es erst wieder 1962 - über einhundert Jahre später - zu einem verheerenden Hochwasser, das über dreihundert Menschenleben forderte. Im Stadtgebiet Hamburg waren die Schäden besonders groß. "Der Wasserstand der Sturmflut von 1825 wurde 3 1/2 Stunden lang überschritten. So großer Belastung waren die alten Deiche nicht gewachsen. Es kam zu Überströmungen auf langen Strecken mit schweren Schäden, die in wenigen Stunden zu über 60 Deichbrüchen führten, darunter drei große Grundbrüche. Über die Deiche und durch die Lücken ergossen sich rd. 220 Mio m; Wasser in die Niederungen und überfluteten rd. 12.500 ha Land, rd. ein Sechstel des hamburgischen Gebietes; 315 Menschen verloren ihr Leben (...)" (ASCHENBERG 1992) (vgl. Abb. 55).

Abb. 55: Deichbrüche und Überflutungsgebiet nach der Sturmflutkatastrophe 1962 im Bereich Hamburg (VERLAG POCKWITZ (HRSG.) 1962)

Diese Katastrophe war der Anlaß, einen Generalplan für den Deichbau aufzustellen. Das Ziel war, die Deichstrecke durch Begradigung zu verkürzen, die Deiche auf +8 m üNN (später +8,40 m üNN) zu erhöhen. Vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurde zudem die eingedeichte Fläche erheblich vergrößert (GRÜTTNER 1992).

Nach 1962 sind die Hamburg Hochwasserschutzanlagen völlig neu entworfen und gebaut worden. Bei der Neubemessung der Deichhöhe auf +7,20 m NN - zum Teil bis zu +9 m NN ging man von einem berechneten Hochwasser von +6,70 m NN aus. Hochwasserschutzwände in der Innenstadt wurden auf +7,00 m NN (nach 1976 auf 7,20) erhöht. Die neue Deichlinie ist mit ca. 100 km erheblich verkürzt, was vor allem auf die Abdämmung der Alten Süderelbe zurückzuführen ist. 65 km der Deichstrecke sind Erddeiche mit Sandkern und begrünter Kleidecke, 9 km Erddeiche mit Sandkern und Asphaltdecke, 26 km massive Hochwasserschutzwände. Es wurden sechs Sperrwerke (z.B. Billwerder Bucht), sechs Schiffsschleusen (z.B. Alster), elf Schöpfwerke (z.B. Alster), 20 Deichsiele und zahlreiche Sperrtore (z.B. Nikolai- und Herrengrabenfleet) gebaut. Vier Hauptdeichlinien wurden eingerichtet:

  • Nordufer der Ober- und Norderelbe von Borghorst bis St. Pauli Fischmarkt
  • Ringdeich um Wilhelmsburg
  • Ringdeich um Veddel
  • Südufer der Süderelbe und Unterelbe von Fünfhausen über Harburg bis Cranz.

Zwischen 1976 und 1983 wurden aufgrund privater Initiative und mit staatlicher Hilfe 60 Polder im Hafengebiet geschaffen.

In den Schleswig-Holsteinischen Elbmarschen sind folgende Maßnahmen zu nennen: Vordeichungen wurden nördlich von Glückstadt und im Bereich Wedel - Haseldorf, durchgeführt. Hier wurde die Haseldorfer Binnenelbe durchdeicht. Der Landesschutzdeich zwischen Wedel und Brunsbüttel wurde auf 60 km verkürzt (GRÜTTNER 1992) (Zum Vergleich: Die Luftlinie zwischen dem Rand der Wedeler Geest und der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals beträgt ca. 51,5 km). Die Höhe der neuen Deiche beträgt 8 m üNN, die Deichbasis ist zwischen 90 und 120 m breit (GRÜTTNER 1992). Die Nebenflüsse Pinnau, Krückau und Stör wurden jeweils an ihrer Mündung mit einem Sturmflutsperrwerk ausgestattet.

Charakteristisch für die Veränderungen in den Niedersächsischen Elbmarschen nach 1962 sind die Stader Elbmarschen, in denen es neben der Deicherhöhung und der Absperrung der Nebenflüsse Oste, Schwinge, Lühe und Este eine Reihe von Eindeichungen gab. "Die Lage des Elbdeiches in den Stader Elbmarschen hat sich zumindest seit dem 14. Jh. bis nach 1962 nicht wesentlich geändert (...)" (GROSSKOPF 1992). Erst nach 1962 wurden erneut umfangreiche Vordeichungen durchgeführt. Von 1969 bis 1971 wurde die Vordeichung Bützflethersand realisiert, womit die Deichlinie von 12,4 auf 6,5 km verkürzt wurde. 8 km5 neu eingedeichtes, ehemaliges Vordeichland konnten danach als Industriegebiet erschlossen werden. Von 1969 bis 1975 wurde die 7,5 km lange Vordeichung Hahnöfersand durchgeführt und die Borsteler Binnenelbe zweimal durchdeicht und mit Sielen versehen. Mit 24 km neuer Deichlinie gelang es in Kehdingen, rund 50 km5 einzudeichen. Von 1976 bis 1978 wurde Krautsand eingedeicht und die 900 bisher auf Wurten lebenden Menschen zusätzlich geschützt. Die Maßnahme wurde umso dringlicher, als 1976 der Elbdeich bei Drochtersen an 20 Stellen brach. Die neu eingedeichte Fläche beträgt hier rund 26 km5 (GROSSKOPF 1992). Die zahlreichen Eindeichungen führten dazu, daß die Außendeichsflächen an der Unterelbe zwischen Hamburg und Brunsbüttel/Ostemündung nach 1962 von rd. 19250 ha (1900) bis 1981/82 auf rd. 5.000 ha verkleinert wurden (JORZICK et al. 1989) (vgl. Abb. 56).

Bewährt haben sich die neuen Deiche bei der Sturmflut am 3.1.1976, als bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Haseldorfer Marsch) die Deiche hielten, obwohl die Sturmflut bisher die höchste in Hamburg und entlang der Elbe war. "Mit NN +6,45 lag ihr Wasserstand am Pegel St. Pauli 75 cm höher als jener der Sturmflutkatastrophe von 1962 (...)" (ASCHENBERG 1992).

 

Abb. 56: Veränderung des Überschwemmungsbereiches der Tideelbe im Zeitraum 1880 - 1995

Entwicklung des Hamburger Hafens

Der Hauptverkehrsweg der Tideelberegion war bis in unser Jahrhundert der Wasserweg. Vom Überseehandel profitierte vor allem Hamburg, dessen Entwicklung als Hafenstadt im folgenden näher beschrieben wird. Eine gewisse regionale Bedeutung hatten zu verschiedenen Epochen Häfen wie Stade, Altona, Glückstadt und Cuxhaven. Aber auch viele kleinere Orte an den Nebenflüssen und am Hauptstrom hatten früher Häfen oder Landeplätze, die heute meist nur als Sportboothäfen genutzt werden. Zu nennen sind hier z.B. Wischhafen, Brunsbüttel, Freiburg, Wedel oder auch Assel an der Elbe. Elmshorn, Krempe und Buxtehude sind Beispiele an den Nebenflüssen. Für den regionalen Güterverkehr lag der Vorteil des Wasserweges darin, daß man billig und schnell auch größere Güter oder Mengen transportieren konnte und dies über ein dichtes Netz von kleinen und kleinsten Kanälen und zahllosen Hafenorten. Der weiche, tiefe Marschenboden ließ lange Zeit nicht die Erschließung mit Straßen zu, auf denen der Transport schwerer Güter möglich gewesen wäre.

Die Entwicklung des Hamburger Hafens zu seiner heutigen Größe setzte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein. In dieser Zeit wurden die Elbinseln des Stromspaltungsgebietes mit in die Hafenentwicklung einbezogen, als erste Hafenanlagen am kleinen Grasbrook gebaut wurden und die Werftindustrie auf Steinwerder gegründet wurde. "Der Hafen ist aus mehreren expandierenden Zellen zu seiner heutigen Größe zusammengewachsen. Eine der Keimzellen war das Nikolaifleet in der Hamburger Altstadt. (...) Das Hafengebiet ist mittlerweile rund 75 Quadratkilometer groß, das entspricht etwa 10% des gesamten Stadtgebietes. Er umfaßt das ganze, etwa 9 km breite Urstromtal der Elbe von der Hamburger Geest im Norden bis zur Harburger Geest im Süden. In Ost-West-Richtung erstreckt sich das Hafengebiet entlang der Norderelbe auf maximal 15 km Länge" (STADTENTWICKLUNGSBEHÖRDE HAMBURG 1994). Die Urzelle des Hamburger Hafens in Gestalt eines 120 m langen hölzernen Landungsstegs lag am Nordufer eines Priels südlich der Hammerburg (heutige Reichenstraße) (KLUDAS, MAASS, SABISCH 1988). Im 11. Jahrhundert wurde an der gegenüberliegenden Alsterschleife ein weiterer Hafen gebaut (Neue Burg). Im 13. Jahrhundert wurde schließlich das Nikolaifleet als neuer Hafen gebaut. "Obgleich Anzahl und Größe der Schiffe weiter zunahmen, veränderte sich in diesem Alsterhafen in den folgenden Jahrhunderten nur wenig." (ASCHENBERG 1992). Bis in das 19. Jahrhundert sollte das Nikolaifleet der Hamburger Hafen bleiben. Die immer größer werdenden Hochseeschiffe lagen in der Elbe auf Reede und ihre Waren wurden mit Hilfe von Ewern in das Nikolaifleet transportiert.

Erst mit "(...) dem Erscheinen erster Dampfschiffe und immer größerer Segelschiffe im 19. Jh. waren größere Hafenbecken und Kais zum Anlegen der Schiffe, moderne Einrichtungen zum schnelleren Be- und Entladen und größere Werften für Neubau und Reparatur der Schiffe nötig" (ASCHENBERG 1992). 1862 wurde das erste neue Hafenbecken des tideoffenen modernen Hafens gebaut, der Sandtorhafen am kleinen Grasbrook. Weitere Hafenbecken, Kaianlagen mit Bahnanschlüssen, Verladeeinrichtungen und Kaischuppen folgten in den nächsten Jahren. Gleichzeitig wurde die Werftindustrie auf Steinwerder gegründet, die das Elbpanorama in der Folgezeit entlang der Norderelbe von Finkenwerder bis zum Reiherstieg prägte. "Mit der Entscheidung für den offenen Tidehafen bestand weiterhin die Gefahr von Sturmfluten und der ständige Schlickfall im Hafengebiet. Umfangreiche, kostenaufwendige und eng miteinander verbundene Hochwasserschutz- und Strombaumaßnahmen waren zwangsläufig die Folge. Erstere bestanden hauptsächlich in großräumigen Flächenaufhöhungen bis auf Deichhöhe, die nach der Sturmflut von 1825 auf +5,70 m NN festgelegt worden war" (ASCHENBERG 1992).

Abb. 57: Konstanz und Veränderung im Hamburger Hafen (TK 25 1953-1955a und TK 25 1989-1995a, Blatt 2425 Hamburg (Ausschnitt))

Die Köhlbrandverträge von 1868, 1896 und 1908 regelten die Wasserführung der Elbe und die Umgestaltung des Stromspaltungsgebietes: Die Wasserführung an der Bunthäuser Spitze, der Durchstich Kaltehofe 1875, der Ausbau des Köhlbrands und der Süderelbe (Harburger Seehäfen 1908-1913), die Abdämmung der Doven Elbe (1933), die Vertiefung der Norderelbe oberhalb der Norderelbbrücken und der Bau der Tatenberger Schleuse (1950-1952) wurden beschlossen und durchgeführt (ASCHENBERG 1992). "Nach dem zweiten Weltkrieg konnte sich der Hafen ungehindert ausdehnen - zuerst auf die noch ungenutzten Inselflächen Kattwyk und Hohe Schaar im Westen von Wilhelmsburg; schon in den 50er Jahren entstanden hier Tanklager der Mineralölindustrie" (JORZICK et al. 1989). Mit der Containerisierung des Umschlags in den sechziger Jahren veränderten sich die Anforderungen an die Hafenanlagen. Anlagen für den Umschlag von Stückgut wie Kaischuppen und Kräne auf schmalen Kaizungen wurden überflüssig, stattdessen benötigte man große Stellflächen. Diese Veränderung in der Transportechnik führte zu Umgestaltung bestehender Kaianlagen (Verfüllung von Hafenbecken, Abriß von Kaischuppen) und zu weiterer Ausdehnung des Hafens in sein Umland: Die Hafenentwicklung griff "(...) über die Süderelbe und Köhlbrand hinaus. (...) ab 1967 erfolgte die Umgestaltung von Waltershof für den Container-Verkehr und 1977 konnte am Sandau-Hafen der "Hansaport" für den Umschlag von Massenschüttgut eröffnet werden" (JORZICK et al. 1989).

Industrialisierung der Unterelbe

Die Industrialisierung des Unterelberaumes fand in mehreren Wellen statt. Traditioneller Standort der Industrie vor allem aufgrund der Werften, Fischverarbeitung, Getreide- und Ölmühlen, Gummiverarbeitung, Mineralölindustrie und anderen Hafenindustrien ist Hamburg. Fischverarbeitung fand auch in Altona, Cuxhaven und Glückstadt (Wal- und Robbenverarbeitung) statt. Hingegen wurde der größte Teil der Unterelberegion von der industriellen Gründerzeit nicht tangiert. Lediglich in den elbnahen Marschgebieten (z.B. Krautsand) wurde großflächig Ton zur Herstellung von Ziegeln abgegraben und verarbeitet, vor allem in der Zeit nach dem großen Hamburger Brand und in der Gründerzeit (vgl. Abb. 58).

Mit dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals 1887-1895 (Erweiterung 1907-1914) geriet Brunsbüttel in eine Gunstlage, die seitdem zu einem Ausbau der Industrie führte. "In der Nähe der Kanalmündung siedelten sich kleinere und mittlere Unternehmen an, vor allem nach 1920. Der Vorläufer der ELF-Bitumenwerke wurde 1928 gegründet" (JORZICK et al. 1989). Auch hier setze eine zweite Industrialisierungswelle um 1962 ein: 1959 wurde der Ölhafen der Texaco und 1962 das Werk der Condea Chemie gebaut. Zwischen 1964-1967 wurde der neue Elbhafen (450 m Kai mit 14,5 m Wassertiefe für Tanker und Massengutumschlag) gebaut. Eine 630 ha große Fläche im Süden des Kanals wurde bis auf +2,20 m NN mit Elbsand aufgespült. Der Landeshafen Ostermoor entstand, ein 805-MW-Kernkraftwerk und ein 286-MW-Gasturbinenkraftwerk wurde gebaut, die Bayer AG und die Ruhrstickstoff AG siedelten sich 1972 an (JORZICK et al. 1989).

Auch im Raum Stade entstanden durch Eindeichung und Aufspülungen von Vordeichflächen im Bereich Stader/Bützflether Sand großflächige Industriegebiete, wobei anschließend die Ansiedlung von energieaufwendigen Nutzern wie Aluminiumherstellern gefördert wurde. Angesiedelt wurden im einzelnen: 1957 Bau eines Heizölkraftwerkes an der Schwingemündung, 1970 Aluminium Oxid Stade GmbH, 1973 Vereinigte Aluminiumwerke AG, 1972 Kernkraftwerk Stade, 1972 DOW Chemical, Öltanklager, Saline (JORZICK et al. 1989).

Abb. 58: Ziegeleien im Binnen- und Außendeich bei Drochtersen (KGL: PR. LA. 1996b, Blatt 2222 Glückstadt 1880 (Ausschnitt))

Im Hamburger Bereich kamen in diesem Jahrhundert vor allem die 1937 gegründete Flugzeugwerft in Finkenwerder hinzu, aus der die heutige Airbuswerft (DASA) hervorging. In der Industrialisierungswelle nach 1962 wurden die Hamburger Stahlwerke und die Aluminiumhütte in der Süderelbmarsch angesiedelt.