Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

5.2.4 Zooplankton

5.2.4.1 Artniveau

Untersuchungen über die Artenzusammensetzung des Zooplanktons in der Tideelbe erstrecken sich bis in das letzte Jahrhundert. Die meisten Arbeiten zu diesem Thema befassen sich aber nur mit begrenzten Abschnitten der Tideelbe (siehe Kapitel 2.6.1) und nicht mit dem Artenspektrum im gesamten Elbelängsschnitt. Die ausführlichsten Beschreibungen des Artenspektrums des Zooplanktons vom limnischen bis zum polyhalinen Bereich, die auch saisonale Aspekte berücksichtigen, liefern die Arbeiten von SCHULZ (1961) und GIERE (1968). Faßt man die Ergebnisse der Autoren zusammen, sind in der Tideelbe (ohne Berücksichtigung von Flagellaten, Ciliaten und Fischlarven) weit über 250 Zooplanktonarten vertreten. Dieser Artenreichtum ist typisch für Ästuare, die unter marinem Einfluß stehen (DAY et. al. 1989).

Da jede Planktonart im Ästuar eine Funktion als Teil der Lebensgemeinschaft hat, deren Bedeutung aber nicht direkt "wertbar" ist, erscheint es im Bereich der Planktongemeinschaft schwierig, den Wert einer Arten gegen den von anderen abzuwägen (es existieren für die planktische Lebensgemeinschaft keine "Listen schutzbedürftiger Arten"!). Daher ist der naheliegendste Ansatz für eine Bewertung der Vergleich eines historischen Zustandes der Zooplanktongemeinschaft der Tideelbe mit einem aktuellen. Sollten Arten, die im historischen Zustand bestimmend waren, deutlich zurückgegangen oder ganz verschwunden sein, ließe das auf gravierende Veränderungen schließen, welche als negativ zu bewerten wären.

Aus neuerer Zeit liegen keine Studien vor, die ähnlich umfassend wären, wie die von SCHULZ (1961) und GIERE (1968). Nach den Artenlisten von SCHULZ und GIERE (s.o.) beherbergt der limnische Bereich der Tideelbe 126 Arten, der oligohaline Bereich 77, der mesohaline 110 und der polyhaline Bereich 111 Arten. Die drei dominierenden Tiergruppen des Zooplanktons sind die Rotatorien (Rädertiere), die Cladoceren (Blattfußkrebse oder Wasserflöhe) und die Copepoden (Ruderfußkrebse). Naturgemäß verschiebt sich das Artenspektrum im Längsschnitt von einem rein marinen zu einem limnischen Spektrum mit einem Übergangsbereich, in welchem Formen dominieren, die an die besonderen Verhältnisse im Brackwasser angepaßt sind. Diese Verschiebung des Artenspektrums läßt sich schon auf der Ebene der drei dominierenden Zooplanktongruppen erkennen (Tabelle 5.2.4.1).

Im limnischen Abschnitt der Tideelbe dominieren die Rotatorien und Cladoceren, in der oligohalinen und mesohalinen Zone entwickeln vor allem die Copepoden hohe Abundanzen und im Polyhalinikum werden neben den (in dieser Aufstellung nicht berücksichtigten) Polychätenlarven wieder Rotatorien bestimmend.

Studiert man die neuere Literatur (FIEDLER, 1991; PEITSCH 1992, KAFEMANN et al. 1996), so stellt man fest, daß heute die selben Arten dominieren, die auch in älteren Arbeiten als vorherrschend beschrieben werden. Aufgrund unterschiedlicher Probenahmestrategie und Auswertungsintensität ergeben sich u.U. kleinere Differenzen, die grundsätzlichen Dominanzverhältnisse (Tabelle 5.2.4.1 und 5.2.4.2) sind jedoch gegenüber den historischen unverändert geblieben.

Eine Bewertungsansatz auf der Basis eines historischen Vergleichs eignet sich also für die Beschreibung des Ist-Zustandes der Lebensgemeinschaft Zooplankton nicht.

Tab. 5.2.4.1.: Anzahl von sehr häufigen Arten und Arten mit Massenvorkommen der Zooplanktongruppen Rotatoria, Cladocera und Copepoda in den Halinitätszonen der Tideelbe (nach SCHULZ, 1961 und GIERE, 1968)

   

polyhaline

Zone

mesohaline

Zone

oligohaline

Zone

limnische

Zone

Rotatoria Massenformen 1 0 0 5
  sehr häufige Arten 2 2 1 4
Cladocera Massenformen 0 0 0 1
  sehr häufige Arten 1 1 1 1
Copepoda Massenformen 0 1 0 0
  sehr häufige Arten 1 1 2 2

Tab. 5.2.4.2: Dominierende Arten und Charakterarten (fett) im Zooplankton der Halinitätszonen (nach SCHULZ, 1961)

  polyhaline Zone mesohaline Zone oligohaline Zone limnische Zone
Rotatoria Synchaeta litoralis
Synchaeta triophthalma
Synchaeta bicornis
Synchaeta litoralis
Synchaeta triophthalma
Synchaeta bicornis Brachionus sp.
Keratella sp.
Cladocera     Bosmina longirostris Bosmina longirostris
Copepoda Centropages hamatus Acartia tonsa
Eurytemora affinis
Eurytemora affinis Eurytemora affinis
Polychaeta versch. Larven      

Ein Vergleich der Zooplanktongemeinschaft des Elbe-Ästuars mit anderen Ästuaren der nördlichen Hemisphäre (z.B. Delaware, U.S.A. oder St. Lawrence, Kanada) zeigt, daß auch dort dieselben Gattungen (Bosmina, Eurytemora, Acartia) und z.T. sogar Arten in genau der selben Sukzession vom limnischen zum marinen Bereich das Arteninventar des Crustaceenplanktons bestimmen (MILLER, 1983). Das Arteninventar der Zooplanktongemeinschaft der Tideelbe kann also qualitativ nicht als verarmt betrachtet werden, es repräsentiert vielmehr eine relativ stabile Lebensgemeinschaft mit ihren speziellen Anpassungen an die besonderen Bedingungen eines Ästuars. Da die meisten größeren Ästuare der nördlichen Hemisphäre ein ähnliches Arteninventar aufweisen, eignet sich auch ein solcher Vergleich nicht für eine Bewertung.

Weiterhin bietet sich die Überlegung an, ob das Arteninventar der Tideelbe aufgrund der oben beschriebenen Dominanzverhältnisse in dem Sinne bewertet werden kann, daß eine Halinitätszone als "minderwertig" eingestuft wird, wenn viele Arten eine Massenentwicklung zeigen (siehe Kapitel 5.2.3). Nach Ansicht der Autoren ist ein solches Verfahren hier nicht sinnvoll, da sich mit einer nach dieser "Wertvorstellung" erzeugten Bewertungsskala bestehende Unterschiede zwischen den Halinitätszonen nicht darstellen lassen. Auffällig in der Bewertung ist lediglich der hohe Anteil an Massenformen im limnischen Bereich, welcher aber gleichzeitig auch der artenreichste ist.

Auch Artenreichtum an sich, wie er vielfach bei Biotopbewertungen als Bewertungskriterium eingesetzt wird, eignet sich nicht für die Bewertung eines Ästuars, da die Artenverarmung des Zooplanktons in der Brackwasserzone ein für das Ästuar typischer Zustand ist und daher als solcher nicht negativ bewertet werden darf.

Wenn ein Untersuchungsgebiet viele Arten beherbergt, welche in benachbarten Bereichen nicht gefunden werden, läßt sich daraus u.U. eine "Eingriffsempfindlichkeit" dieses Gebietes ableiten. Zwar weisen der limnische und der polyhaline Bereich 62 bzw. 30 solcher "exklusiver" Arten auf, in der oligo- und mesohalinen Zone fehlen solche Arten aber vollständig. 34 Arten sind vom limnischen bis in den mesohalinen Bereich (das entspricht ca. 50% bzw. 30% der Arten im Oligo- bzw. Polyhalinikum) verbreitet. 20 Arten kommen in allen Halinitätszonen vor.

Die große Toleranz vieler elbtypischer Zooplankter gegenüber Salzgehaltsveränderungen und ihre Verdriftung mit dem Wasserkörper machen eine Bewertung der Halinitätszonen in bezug auf eine solche Empfindlichkeit schwierig.

Da, wie schon oben erwähnt, auch Listen schutzbedürftiger Arten nicht existieren und somit für die Bewertung des Untersuchungsgebietes anhand des Arteninventars im Zooplankton keine Hilfe sind, muß hier auf eine Bewertung, wie sie an anderer Stelle geschieht (Kapitel 5.2.3, 5.2.5, 5.2.6), verzichtet werden.

Auf Artniveau wird für das gesamte Untersuchungsgebiet pauschal hohe Wertigkeit vergeben. Diese Einstufung trägt der Tatsache Rechnung, daß das Arteninventar des Zooplanktons in seiner Ausprägung ästuartypisch ist, und ein historischer Vergleich (wenn auch mit gewissen Unsicherheiten behaftet) keine eindeutigen Anzeichen von Artenrückgängen erkennen läßt.

 

5.2.4.2 Ökologische Funktion

Die Bewertung der ökologischen Funktion der Untersuchungsabschnitte für die Lebensgemeinschaft Zooplankton erfolgt über die Kriterien Funktion als Reproduktionsgebiet, Funktion für die Ernährung und über die Vernetzungen im Untersuchungsabschnitt.

Die Funktion der Untersuchungsabschnitte als Rückzugsgebiet wird nicht bewertet, da Zooplankter definitionsgemäß Organismen sind, die passiv mit dem Wasserkörper transportiert werden, also nicht in der Lage sind, in der Elbe aktiv Gebiete aufzusuchen, die Schutz vor negativen Umwelteinflüssen bieten.

Zooplanktonorganismen, die Fließgewässer besiedeln, können in ihrem Lebensraum nur unter bestimmten Bedingungen dauerhaft Populationen ausbilden. Grundvoraussetzung für ihr Überleben im Fluß ist, daß ihr Populationswachstum die Individuenverluste durch Mortalität und Ausschwemmung (flushing rate) zumindest ausgleicht (MILLER, 1983). In einem Ästuar ist der Individuenverlust einer Zooplanktonpopulation nicht nur vom Oberwasserabfluß, sondern auch vom Einfluß der Tide abhängig. Das Eindringen der Tide in das Flußsystem verlängert die Aufenthaltszeiten des Wasserkörpers und begünstigt somit die Ausbildung einer dauerhaften Population. Die Bewertung eines Untersuchungsabschnittes für die Reproduktion orientiert sich daher an den Wasseraufenthaltszeiten in dem jeweiligen Abschnitt. Da die Lebensgemeinschaft Zooplankton wie oben dargestellt von drei Tiergruppen dominiert wird, welche ganz unterschiedliche Reproduktionszyklen haben, muß die Bewertung zunächst für jede einzelne Gruppe getrennt erfolgen.

Die Rotatorien sind unter den betrachteten Zooplanktern die Gruppe mit den kürzesten Entwicklungszeiten. Die Reproduktionsraten von Keratella- und Synchaeta- Arten liegen nach STEMBERGER und GILBERT (1984) unter optimalen Aufwuchsbedingungen bei 0,3, die von Brachionus-Arten sogar in der Größenordnung von 0,8 (d.h. eine Verdopplung der Individuenzahl alle 0.87 Tage). Für die Bewertung wird eine durchschnittliche Entwicklungszeit von einem Tag angenommen.

Die Entwicklungszeiten der Cladoceren sind deutlich länger. Die Entwicklung der Eier im Brutraum der Weibchen dauert mehrere Tage, und vom Schlupf der Tiere bis zur Entwicklung der Geschlechtsreife vergeht in Schnitt mehr als eine Woche (VOLLMER, 1951). Als durchschnittliche Entwicklungszeit werden für die Bewertung 14 Tage angenommen.

Copepoden sind die Zooplanktongruppe mit der längsten Entwicklungszeit. Der im Oligohalinikum der Elbe dominierende Copepode Eurytemora affinis bildet in der Tideelbe von Frühjahr bis Winter mindestens vier deutlich erkennbare Generationen aus, bei ihm dauert die Entwicklung vom Ei bis zum geschlechtsreifen Tier etwa 24 Tage (SFB 327, 1991). Für die Bewertung gilt daher eine durchschnittliche Entwicklungszeit von 24 Tagen.

Bei diesen Angaben für Entwicklungszeiten der Zooplankter handelt es sich um eine Vereinfachung der natürlichen Verhältnisse, bei denen der Einfluß von Temperatur und Nahrungsangebot auf die Entwicklung unberücksichtigt bleibt.

Die zur Bewertung herangezogenen Aufenthaltszeiten des Wasserkörpers in den Untersuchungsabschnitten orientieren sich an den Angaben von BERGEMANN et al. (1996) für die mittlere Laufzeit eines Wasserteilchens im Hauptstroim bei niedrigem Oberwasserabfluß (250 m3 s-1), also unter Bedingungen, für die auch die Lage der Halinitätszonen festgelegt wurde (Kapitel 5.2.1)

Ein Untersuchungsabschnitt erhält für seine Funktion als Reproduktionsgebiet sehr hohe Wertigkeit, wenn in ihm die Aufenthaltszeiten länger oder gleich der Generationszeit der jeweiligen Tiergruppe sind. Die Bewertungsskala für die drei Gruppen ergibt sich danach wie in Tabelle 5.2.4.3 beschrieben. Da nach BERGEMANN et al. (1996) die Aufenthaltszeiten in allen Untersuchungsabschnitten länger als ein Tag sind, erübrigt sich die Bildung einer Bewertungs-Skala für die Rotatorien.

Tab. 5.2.4.3: Bewertungsskala für die Funktion der Untersuchungsabschnitte als Reproduktionsgebiet, getrennt nach Zooplanktongruppen

Ökologische Funktion Reproduktion sehr hohe
Wertigkeit
Hohe
Wertigkeit
Mittlere
Wertigkeit
Geringe
Wertigkeit
sehr geringe Wertigkeit
Zooplanktongruppe          
Rotatoria Aufenthaltszeit
³ 1 Tag
       
Cladocera Aufenthaltszeit
³ 14 Tage
Aufenthaltszeit
³ 11 Tage
Aufenthaltszeit
³ 7 Tage
Aufenthaltszeit
³ 4 Tage
Aufenthaltszeit
< 4 Tage
Copepoda Aufenthaltszeit
³ 24 Tage
Aufenthaltszeit
³ 18 Tage
Aufenthaltszeit
³ 12 Tage
Aufenthaltszeit
³ 6 Tage
Aufenthaltszeit
< 6 Tage

Die Bewertung für die Untersuchungsabschnitte ergibt sich aus dem Mittelwert der Einzelbewertungen. Tabelle 5.2.4.4 zeigt die Bewertung der Untersuchungsabschnitte in bezug auf ihre Funktion als Reproduktionsgebiet. Die Aufenthaltszeiten des Wasserkörpers in Untersuchungsabschnitt II sind aufgrund des Einflusses der Hafenbecken vergleichsweise lang (ORTEGA et al., 1994). Bei der Bewertung erhält UA II daher pauschal für alle Zooplanktongruppen hohe Wertigkeit. Für Untersuchungsabschnitt VII wird sehr hohe Wertigkeit vergeben, da es ein Ausschwemmen von Organismen aus dem Abschnitt im Sinne der oben beschrieben Problematik des Populationserhaltes nicht gibt und auch keine Laufzeiten des Wasserkörpers definiert sind.

Tab. 5.2.4.4: Bewertung der Untersuchungsabschnitte nach ihrer Funktion als Reproduktionsgebiet für das Zooplankton anhand der Aufenthaltszeiten

Ökologische Funktion Reproduktion UA
VII
UA
VI
UA
V
UA
IV
UA
III
UA
II
UA
I
Halinitätszone polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
Aufenthaltszeit   4 Wochen 4 Wochen 18 Tage 7 Tage   1 Tag
Rotatoria   sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit   sehr hohe Wertigkeit
Cladocera   sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit   sehr geringe Wertigkeit
Copepoda   sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

geringe Wertigkeit   sehr geringe Wertigkeit
Wertstufe sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit

hohe

Wertigkeit

geringe Wertigkeit

In dieser Bewertung bleibt unberücksichtigt, daß es in einigen Untersuchungsabschnitten Seitenbereiche mit stark verlängerten Aufenthaltszeiten gibt. Über die Länge der Aufenthaltszeiten in diesen Gebieten liegen keine Informationen vor. Die relativ schlechte Bewertung von UA III, in welchem bekanntermaßen das Mühlenberger Loch und die Hahnöfer Nebenelbe Gebiete hoher Zooplanktonproduktion sind, beruht also auf einer Bewertung der Strömungsverhältnisse im Hauptstrom.

Die Größe von Flachwasser und Wattgebieten ist ein maßgeblicher Faktor für Reproduktion und Ernährung des Zooplanktons. Flachwassergebiete und Watten (bei Flut) im Bereich von Nebenarmen weisen im allgemeinen ein milderes Strömungsklima als der Hauptstrom auf und begünstigen so den Erhalt des Zooplanktons im Fließgewässer (s.o.). Das Verhältnis von euphotischer Zone zur Gesamttiefe des Wasserkörpers ist in diesen Bereichen günstiger für die Primärproduktion, die z.T. höheren Temperaturen ermöglichen schnelleres Wachstum sowohl bei den Produzenten als auch bei den Konsumenten. Aus diesem Grund geht der prozentuale Anteil von Flachwasser - und Wattgebieten an der Fläche eines Untersuchungsabschnittes in die Bewertung ein. Die Bewertungsskala und Bewertung (Tabelle 5.2.4.5) entsprechen in ihrer Einteilung der in Kapitel 5.2.3 beschriebenen.

Tab. 5.2.4.5: Bewertung der Untersuchungsabschnitte nach Anteil der Flachwasser - und Wattflächen

Ökologische Funktion Reproduktion/Ernährung UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Relative Fläche der Flachwassergebiete mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
sehr
geringe Wertigkeit
mittlere Wertigkeit
Relative Fläche der Wattgebiete sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit

Die dominierenden Zooplankter der Tideelbe nutzen vor allem zwei Nahrungsquellen: Phytoplankton und Detritus, wobei Detritus von den meisten Autoren als die minderwertigere Nahrungsquelle beschrieben wird (z.B. ROMAN, 1984).

Detritus steht den Zooplanktern in Form lockerer Aggregate aus anorganischen und organischen Bestandteilen in unterschiedlicher Zusammensetzung zur Verfügung. Der Nährwert solcher "Flocken" wird maßgeblich von ihrem Anteil an organischer Substanz (in Form von absterbenden Phytoplanktern, Pilzen und Bakterien) bestimmt. Ein grobes Maß für das Vorhandensein von Detritus als Nahrungsquelle ist der Schwebstoffgehalt im Wassers.

Die dominierenden Rotatorien, Cladoceren und Copepoden (mit Ausnahme von Acartia sp.) ernähren sich filtrierend, d.h. sie "durchkämmen" den Wasserkörper mit speziellen Mundwerkzeugen und nehmen die so gefangenen Feststoffe auf. Die elbtypischen Cladoceren und Rotatorien sind nicht in der Lage, die eingefangenen Partikel nach ihrem Nährwert zu selektieren. Ob die Copepodenarten Acartia sp. und Eurytemora affinis, für die HEINLE et al. (1977) selektive Futteraufnahme beschreiben, in der Elbe Nahrungspartikel tatsächlich in beschriebener Weise selektieren, ist unsicher.

Nimmt man an, daß ein filtrierender Zooplankter in einer Nahrungssuspension aus Phytoplankton und Detritus schwimmt, so ist der Nährwert dieser Suspension um so höher, je höher der Anteil an Phytoplankton in der Suspension ist. Aufgrund dieser Überlegung wird die Bewertung der Bedeutung der Untersuchungsabschnitte für die Ernährung des Zooplanktons vorgenommen. Zur Bewertung der Nahrung in einem Untersuchungsabschnitt wird der "Nahrungsquotient", definiert als Quotient aus Chlorophyll a- Gehalt im Wasser (µg l-1) und dem Schwebstoffgehalt (mg l-1), eingeführt.

Der Bewertung liegen die Jahresmittelwerte der Chlorophyllmessungen und Messungen der abfiltrierbaren Stoffe der ARGE Elbe von 1992 zugrunde. Für UA V und VI liegen keine Chlorophyllmessungen der ARGE Elbe vor. Für diese Untersuchungsabschnitte erfolgt keine Bewertung anhand des Nahrungsquotienten. In UA III liegen Chlorophyllmessungen nur für die Hahnöfer Nebenelbe und die Lühesander Süderelbe vor.

Tabelle 5.2.4.6 stellt die Bewertungsskala für den Nahrungsquotienten dar.

Tabelle 5.2.4.7 zeigt die zur Bewertung herangezogenen Daten sowie den daraus resultierenden Quotienten. Besondere Berücksichtigung findet in der Aufstellung die Hahnöfer Nebenelbe, da Massenvorkommen von Zooplankton im Gebiet der Hahnöfer Nebenelbe und im Mühlenberger Loch seit langem beschrieben werden (LADIGES, 1935). Zur Orientierung sind für die UA V und VI die mittleren Gehalte abfiltrierbarer Stoffe mit angegeben.

Tab. 5.2.4.6: Bewertungsskala Nahrungsquotient (NQ)

 

sehr hohe

Wertigkeit

Hohe

Wertigkeit

Mittlere

Wertigkeit

geringe

Wertigkeit

sehr geringe

Wertigkeit

Nahrungsquotient (NQ) NQ ³ 0,5 0,5 > NQ ³ 0,4 0,4 > NQ ³ 0,3 0,3 > NQ ³ 0,2 NQ £ 0,2

Tab. 5.2.4.7: Jahresmittel 1992 von Chlorophyll-a-Gehalt (µg l-1) und Gehalt an abfiltrierbaren Stoffen (mg l-1) sowie der Nahrungsquotient in den Untersuchungsabschnitten. HN = Hahnöfer Nebenelbe

  UA VII UA VI/UA V UA IV UA III (HN) UA II UA I
Chlorophyll a 9,8   10,7 33,3 31,3 86,3
abfiltrierbare Stoffe 21,3 52,2 / 151,7 70,3 58,5 24,8 27,9
Nahrungsquotient 0,46   0,15 0,57 1,26 3.09

Daraus ergibt sich die Bewertung der Funktion der Untersuchungsabschnitte für die Ernährung des Zooplanktons wie in Tabelle 5.2.4.8 dargestellt.

Tab. 5.2.4.8: Bewertung der Untersuchungsabschnitte in ihrer Funktion für die Ernährung des Zooplanktons (HN = Hahnöfer Nebenelbe)

Ökologische
Funktion Ernährung
UA VII UA VI/UA V UA IV UA III (HN) UA II UA I
Nahrungsquotient hohe
Wertigkeit
  sehr geringe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit

Die Vernetzungen innerhalb eines Untersuchungsabschnittes lassen sich nur verbal darstellen und bewerten. Untersuchungen zum Arteninventar der Nebenflüsse in bezug auf die beschriebenen Charakterarten der Tideelbe liegen mit Ausnahme der Este (ORTEGA, 1991) nicht vor. Daher ist es nicht möglich festzustellen, ob sich die Lebensgemeinschaft des Zooplanktons teilweise aus den Nebenflüssen rekrutiert. ORTEGA (1991) zweifelt eine derartige Bedeutung der Este für die Tideelbe an. Allgemein kann davon ausgegangen werden, daß Nebenflüsse und vor allem Nebenarme günstigere Lebensbedingungen für das Zooplankton bieten als der Hauptstrom. Ein positiver Einfluß muß in diesem Sinne auch den Hafenbecken zugeschrieben werden, deren Bedeutung für das Zooplankton von ORTEGA et al. (1994) hervorgehoben wird. Bei der Bewertung der Vernetzungen werden, je nach Ausprägung der Nebenarme (Ausnahme Hafenbecken) hohe, mittlere und geringe Wertigkeit vergeben. Für UA VII erübrigt sich die Bewertung einer Vernetzung, da er mehr oder weniger unter marinem Einfluß steht.

Eine Bewertung der Wiederherstellbarkeit der Lebensgemeinschaft Zooplankton über eine mehrstufige Skala erscheint nicht sinnvoll, da das Verbreitungsgebiet der meisten Zooplankter so groß ist, daß bei einer lokalen Störung der Lebensgemeinschaft die meisten Arten sofort wieder aus den benachbarten Bereichen einwandern können. Dies gilt vor allem für den polyhalinen, mesohalinen und oligohalinen Bereich der Elbe. Etwas kritischer ist die Situation der limnischen Zooplanktongemeinschaft zu sehen. Es existieren in der Tideelbe 62 Zooplanktonarten, die ausschließlich den limnischen Bereich besiedeln. Ihre Ausbreitung bzw. Ergänzung wird in Richtung Elbmündung durch den Salzgradient begrenzt. Besonders kritisch muß in diesem Zusammenhang die z.B. von BERGEMANN (1995) beschriebene ausbaubedingte Verschiebung der oberen Brackwassergrenze in Richtung Hamburg gesehen werden, die den Lebensraum der limnischen Arten zunehmend verkleinert.

Die Zooplanktongemeinschaft setzt sich in allen Untersuchungsabschnitten aus Organismen zusammen, deren Reproduktionsdauer zwischen weniger als einem Tag (Rotatorien) und mehreren Wochen (Copepoden) schwankt. Eine Differenzierung der Untersuchungsabschnitte über die Wiederherstellbarkeit (bzw das Wiederbesiedlungspotential) der Zooplanktongemeinschaft im jeweiligen Untersuchungsabschnitt erscheint daher problematisch.

Aus diesen Erwägungen leitet sich die Bewertung der Wiederherstellbarkeit der Zooplanktongemeinschaft ab. Alle Untersuchungsabschnitte außer den limnischen erhalten pauschal mittlere Wertigkeit, alle limnischen Untersuchungsabschnitte aufgrund ihrer isolierteren Stellung im System hohe Wertigkeit.

 

5.2.4.3 Zusammenfassende Bewertung Zooplankton

Entscheidende Faktoren, welche die Ausprägung der Zooplanktongemeinschaft eines Fließgewässers bestimmen, sind das Strömungsregime und die Ernährungsbedingungen. Als maßgebliche Bewertungskriterien der Kriteriengruppe "Lebensraumtypische Faktoren" (Kapitel 5.2.1.2) werden daher folgende Parameter zur Bewertung der Untersuchungsabschnitte herangezogen:

1. Strömungsklima
(Der Erhalt einer Zooplanktonpopulation im Ästuar ist abhängig vom Vorhandensein von Bereichen mit mildem Strömungsklima.)

2. Veränderung der Fläche der Flachwassergebiete
(Flachwassergebiete gelten aufgrund ihres milden Strömungsklimas und der überdurchschnittlich hohen Primärproduktion als ideale Aufwuchsgebiete für Zooplankter.)

3. Veränderung der Fläche der Wattgebiete

4. Morphologische Strukturvielfalt
(Die Ausprägung von Nebenarmen, Inseln und Sänden bestimmt das Strömungsklima.)

Danach ergibt sich eine Bewertung der Untersuchungsabschnitte wie folgt:

Tab. 5.2.4.9: Bewertung der Untersuchungsabschnitte anhand der lebensraumtypischen Faktoren für das Zooplankton

  UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
1. Lebensraum-
typische
Faktoren
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit

Tabelle 5.2.4.10 stellt die zusammenfassende Bewertung der Untersuchungsabschnitte in bezug auf die Lebensgemeinschaft Zooplankton dar.

Tab. 5.2.4.10: Zusammenfassende Bewertung Zooplankton

  UA VII UA VI UA V UA IV UA III UA II UA I
Halinitätszone polyhalin mesohalin oligohalin limnisch
1. Lebensraum
-typische
Faktoren
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit sehr geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit
2. Artniveau  
Arteninventar hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
3. Ökologische Funktion  
3.1 Reproduktion  
Aufenthaltszeiten sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
geringe Wertigkeit
3.2 Reproduktion und Ernährung  
Flachwasser mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
sehr geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit
Wattfläche sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
sehr geringe Wertigkeit mittlere Wertigkeit
3.3 Ernährung  
Nahrungsquotient hohe
Wertigkeit
    sehr geringe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit sehr hohe Wertigkeit
3.4 Vernetzungen   geringe Wertigkeit geringe Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere Wertigkeit geringe Wertigkeit
3.5 Wiederherstellbarkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit mittlere Wertigkeit hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
Zusammenfassende Wertstufe hohe
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere
Wertigkeit
mittlere
Wertigkeit
hohe
Wertigkeit
mittlere
Wertigkeit
mittlere
Wertigkeit

Aus der obigen Bewertungstabelle wird deutlich, daß die Tideelbe als Lebensraum für das Zooplankton relativ positiv zu bewerten ist.

Die polyhalinen Untersuchungabschnitte VI und VII stehen stark unter marinem Einfluß und sind in ihrer Funktion für das Zooplankton als naturnah zu bezeichnen. Aufgrund niedriger Phytoplanktonbiomasse (siehe Chlorophyll-a Tab. 5.2.4.7) sind hier die Ernährungsbedingungen wachstumslimitierend. Hohe Wertigkeit.

In UA V sind die Flachwasserbereiche stark reduziert und man muß (obwohl keine Bewertung des Nahrungsquotienten vorgenommen werden konnte) davon ausgehen, daß die Ernährung des Zooplanktons bei ohnehin niedriger Phytoplanktonbiomasse zusätzlich durch deutlich erhöhte Schwebstoffgehalte beeinträchtigt ist (siehe Tab. 5.2.4.7). Mittlere Wertigkeit.

Der negative Effekt hoher Schwebstoffgehalte auf die Ernährung des Zooplanktons wird vor allem in UA IV deutlich. Mittlere Wertigkeit.

Eine Sonderstellung hat UA III, der aufgrund seiner hohen Anteile an Flachwasser - und Wattgebieten, guter Ernährungsbedingungen in diesen Bereichen (siehe Nahrungsquotient Hahnöfer Nebenelbe) und seiner guten Vernetzungsfunktion eine hohe Bedeutung für das Zooplankton des limnischen aber auch des oligohalinen Bereichs der Tideelbe hat. Negativ wirken nur die kurzen Aufenthaltszeiten auf das Zooplankton, wobei aber angenommen werden kann, daß diese in den zahlreich vorhandenen Flachwasserbereichen und Nebenarmen länger sind, als die von BERGEMANN et al. (1996) für den Hauptstrom beschriebenen. Hohe Wertigkeit.

UA II ist geprägt durch den Hamburger Hafen, Flachwasser - und Wattgebiete fehlen fast vollständig. Dennoch bietet er dem Zooplankton vor allem aufgrund verlängerter Aufenthaltszeiten in den Hafenbecken (ORTEGA et al., 1994) und der Funktion dieser Becken für die Vernetzung relativ gute Lebensbedingungen. Mittlere Wertigkeit.

UA I bietet zwar gute Bedingungen für die Ernährung der Zooplankter, muß aber dennoch als der Untersuchungsabschnitt mit etlichen negativen Aspekten für das Zooplankton angesehen werden. Hohe Strömungsgeschwindigkeiten, damit verbunden verkürzte Aufenthaltszeiten, sowie das völlige Fehlen von Vernetzungsfunktionen (z.B. Seitenarmen) führen zu einer relativ ungünstigen Einstufung. Mittlere Wertigkeit.