Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

2 GRUNDLAGEN DES GUTACHTENS

2.1 Hydrographisch-morphologische Charakterisierung des Untersuchungsgebiets

Die Gesamtlänge der Elbe von der Quelle im Riesengebirge (1390 m) bis zur Seegrenze beträgt ca. 1100 km. Ihr Wassereinzugsgebiet umfaßt eine Fläche von ca. 148.000 km2. Das Untersuchungsgebiet des vorliegenden Gutachtens liegt in der Tideelbe, die sich vom Wehr Geesthacht (km 585,9 ) bis zur Mündung der Elbe in die Nordsee erstreckt mit einer vom BMV definierten Länge von 170 km. Der Stoff-Import in die Tideelbe erfolgt wesentlich aus der Elbe oberhalb des Wehrs und aus der Nordsee.

Die Tideelbe wird vom BMV in vier Abschnitte (nachstehend kursiv) unterteilt, von denen die Unterelbe für das Gutachten "Schwebstoffe und gelöste Stoffe" in vier Untersuchungsabschnitten (III bis VI) behandelt wird, so daß sich mit der Oberen Tideelbe, dem Hamburger Stromspaltungsgebiet und der Außenelbe insgesamt sieben Untersuchungsabschnitte ergeben (s. Übersicht in Karte 1). Der Teil "Materialumlagerungen" folgt den Baggerabschnitten der zuständigen Ämter (s. Kapitel 3.7). Hier bedeutet "Unter/Außenelbe" die Zuständigkeit der WSÄ Hamburg/Cuxhaven unterhalb der Hafengrenze Hamburg (km 638,9).

Die Obere Tideelbe (I) von Geesthacht bis Bunthaus ist durch die Überlagerung von Oberwasserabfluß und Gezeitenbewegung geprägt. Aufwärtsströmung tritt nur im unteren Teil des Abschnitts auf oder verschwindet ganz je nach dem Verhältnis des Oberwasserabflusses zur Gezeitenbewegung. Das Hamburger Stromspaltungsgebiet (II) von Bunthaus bis Teufelsbrück mit seinen ausgedehnten Hafenflächen und großen Wassertiefen stellt ein sehr komplexes und träges System dar. Das mit dem Flutstrom flußauf transportierte Wasservolumen verbleibt zu über 90% im Bereich des Hamburger Hafens; weniger als 10% gelangen bei mittlerem Oberwasserabfluß in die Obere Tideelbe. Somit stellt der Hafen eine Art hydrologische Barriere dar (CHRISTIANSEN 1987). Wegen der großen Verweilzeiten ergeben sich entsprechende Depositionen; ferner findet in diesem Abschnitt der Elbe bei nicht zu tiefen Wassertemperaturen ein sauerstoffzehrender Abbau organischer und anorganischer Substanzen statt (ARGE ELBE 1984). Zusätzlich ist das für den Sauerstoffeintrag wichtige Verhältnis von Wasseroberfläche zu Wasservolumen im Bereich des Hamburger Hafens und unterhalb ungünstig.

In den Untersuchungsabschnitten III und IV (Teufelsbrück bis Glückstadt) der Unterelbe werden die Wasserstände und Strömungen in erster Linie durch die Gezeitenbewegung bestimmt. Der aus dem Oberwasserabfluß resultierende Reststrom wird mit zunehmender Aufweitung des Querschnitts in Richtung Nordsee kleiner, der seewärts gerichtete Netto-Wassertransport beträgt nur noch einen kleinen Bruchteil der mit der Tide bewegten Wassermassen. Bei niedrigen Oberwasserabflüssen erhöhen sich auch in diesem Bereich die effektiven Verweilzeiten und der hiervon abhängige sauerstoffzehrende Abbau von Substanzen, wodurch es in Verbindung mit höheren Wassertemperaturen zu einem starken Absinken des Sauerstoffgehaltes (ARGE ELBE 1984) kommt.

Die Untersuchungsabschnitte V und VI der Unterelbe erstrecken sich von Glückstadt bis Cuxhaven und sind durch ihre besondere morphologische Form (tiefe Hauptstromrinne, flache Randgebiete, z.B. Sände und Watten) gekennzeichnet. Dieser Bereich wird neben dem Einfluß der Gezeiten durch die Mischungsvorgänge zwischen Fluß- und Meerwasser geprägt. Der schwankende Salzgehalt im Längsschnitt dieses Flußabschnitts, der sog. Brackwasserzone (s.u.), stellt an das biologische System hohe Anforderungen. So sterben zum Beispiel in diesem Übergangsbereich vom Süß- zum Salzwasser ein Großteil der an das Süßwassermilieu angepaßten Organismen ab. Das gleiche gilt für die marinen Organismen, die mit dem Flutstrom in die weniger salzhaltigen Bereiche der Elbe gelangen (ARGE ELBE 1984). Die Brackwasserzone des Elbe-Ästuars, insbesondere der unmittelbar stromauf daran anschließende Bereich, weist einen hohen Gehalt an Schwebstoffen auf, der für eine starke Trübung in diesem Bereich verantwortlich ist. Man spricht daher auch von der Trübungszone, die in den folgenden Kapiteln noch eine große Rolle spielen wird.

Die Außenelbe (VII) schließlich stellt den Übergangsbereich zur Nordsee dar. Hier überlagern sich die Einflüsse aus der Elbe mit denen aus den Wattgebieten.

Zum Untersuchungsgebiet gehören ferner auch die Elbenebenflüsse Ilmenau, Este, Lühe, Schwinge, Pinnau, Krückau, Stör und Oste, jeweils bis zur Tidegrenze. Diese werden aber im vorliegenden Gutachten (Ist-Zustand wie Prognose) keine Rolle spielen, da es einerseits für diese Gewässer keine systematisch erhobenen Daten bezüglich des Schwebstoffregimes und der gelösten Stoffe gibt, andererseits gemäß den Prognosen zur Tidedynamik nach der Fahrrinnenanpassung nur unerhebliche, im Vergleich zur Tideelbe noch kleinere Änderungen zu erwarten sind (VIERFUSZ 1996).

2.2 Untersuchungszeitraum und Datengrundlage

Der "Ist-Zustand" des Komplexes Schwebstoffe, gelöste Stoffe und Materialumlagerung wird auf der Basis vorhandener Meßdaten mit seiner Variabilität dargestellt. Die Schwebstofftransportmodellierung (Kapitel 2.3 und Prognose) geht - wie auch die Modellierung zur Tidedynamik (BAW-AK Gutachten Nr. 9353 3387) - von ausgewählten, meßtechnisch erfaßten Gewässersituationen des Jahres 1992 aus, um zu Prognose-Aussagen für die geplante Fahrrinnenanpassung zu kommen. Für eine Beschreibung des Ist-Zustandes mit seiner Variabilität wäre aber eine "Momentaufnahme", die sich nur auf ein Abflußjahr - z.B. 1992 - beschränkt, angesichts der von Jahr zu Jahr unterschiedlichen Zufallseinflüsse (wie Oberwasserabfluß oder Windereignisse) nicht angemessen (s.a. SPOTT 1992).

Deshalb einigten sich die Fachgutachter der "Schwebstoffgruppe" (s. Kap. 1) darauf, das gesamte Datenmaterial in der Zeit ab dem 13,5 m - Ausbau (1978) bis etwa 1993 unter dem Aspekt "Ist-Zustand" zu analysieren. Dort, wo es für die Interpretation von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen notwendig erschien, wurden jedoch auch später veröffentlichte Daten in die Analysen mit einbezogen. Weiterhin wurde vereinbart, daß bei der Bewertung der Belastungssituation die nach der Wiedervereinigung ab 1991 aufgetretenen Verbesserungen der Gewässergüte gesondert zu belegen sind. Der Ist-Zustand der Schwermetallbelastung wird mit Datenmaterial nach 1991 dokumentiert, da sich die an der Meßstelle Schnackenburg registrierten Schwermetallfrachten im Zeitraum von 1989 bis 1993 (bei ähnlichen Abflußverhältnissen) zum Teil drastisch reduziert haben, wie z.B. für Cadmium um 22% und für Quecksilber um 84% (IKSE 1995).

Die Erstellung dieses Teilgutachtens erforderte somit eine Recherche der in den letzten 15 Jahren von verschiedenen Einrichtungen2 gewonnenen Schwebstoff- und Gewässergütemeßdaten3 der Tideelbe. Diese Datenrecherche4 umfaßt unter den verschiedensten Randbedingungen gewonnene und entsprechend heterogene Daten, so daß eine Auswahl zu treffen war. Die im weiteren von der "Schwebstoffgruppe" verwendeten Naturdaten sind überwiegend Ergebnisse aus Veröffentlichungen der ARGE Elbe (ARGE ELBE 1979 - 1993) sowie der GKSS (BITTNER 1991, FANGER et al. 1990 und 1996, KAPPENBERG et al. 1990 und 1996, KOOPMANN 1989, PETERSEN et al. 1990, PULS 1986) und aus dem unveröffentlichten Datenmaterial der GKSS. Für die Materialumlagerung wurden von den WSÄ und dem Amt Strom und Hafenbau Tabellen der Baggermengen zur Verfügung gestellt. Die in der Datenrecherche erfaßten Meßergebnisse und wissenschaftlichen Erkenntnisse sind in einer Datenbank organisiert und stammen aus folgenden Untersuchungen:

1. Unterschiedliche hydrologische und jahreszeitliche Situationen umfassende Langzeitmessungen,

2. spezielle hydrologische und jahreszeitliche Situationen betreffende Meßkampagnen über wenige Tiden,

3. Laboruntersuchungen zur Ermittlung spezieller Schwebstoffeigenschaften und zur Wechselwirkung partikulärer und gelöster Schadstoffe (Schwermetalle).

Für die Beschreibung des Ist-Zustandes wurde das Untersuchungsgebiet, wenn es die Datenlage ermöglichte, in sieben einzelne Untersuchungsabschnitte eingeteilt, s. Kap. 2.1. Ein Ziel der Analyse ist eine vergleichende Betrachtung dieser Abschnitte. Daraus resultiert wiederum die folgende Anforderung an die zu verwendenden Daten:

  • vergleichbare Abflußsituationen,
  • vergleichbare Tidephase,
  • vergleichbare Wassertiefe und Lokalität im Strom oder Nebengewässer,
  • vergleichbare Jahreszeit (Wassertemperatur, Oberwasserabfluß).

Entsprechend der Modellierung zur Tidedynamik (MATERIALBAND I) wurde der Datenbestand in den drei Oberwasserabflussklassen < 500 m3/s, 500 bis 900 m3/s und > 900 m3/s bezüglich Schwebstoffe, Nährstoff-, Sauerstoff- und Schadstoffhaushalt ausgewertet, wie auch mit den anderen Fachgutachtern vereinbart.

2.2.1 Schwebstoffe und gelöste Stoffe

Da sich das Strömungsregime und infolgedessen vor allem der Schwebstofftransport mit der Tidephase stark ändern kann, müssen zumindest die Ebbe- und Flutsituation getrennt betrachtet werden. Wo es die Datenlage zuließ, wurde entsprechend selektiert, oder es wurden die typischen, im Tideverlauf regelmäßig wiederkehrenden Konzentrationsänderungen gesondert beschrieben.

Die Schwebstoff-Daten der ARGE Elbe decken die Längsprofile und die Messungen der GKSS die Quer- bzw. Vertikalverteilung ab. Für die Parameter der Gewässergüte konnten nur Längsprofile in die Analyse eingehen, da längere Meßreihen über den Querschnitt nicht existieren; allerdings gibt es genügend Hinweise darauf, daß die Quer- und Tiefenverteilung gelöster Stoffe (so auch von Nährstoffen) relativ homogen ist.

Bei den Meßdaten der ARGE Elbe handelt es sich um die Ergebnisse der monatlichen Längsprofilbeprobungen in 0,5 m Wassertiefe bei vollem Ebbstrom, ca. 1 Std. vor TnW5. Aufgrund der bei vollem Ebbstrom ausgeprägten Strömungsturbulenz ist der Wasserkörper zu dieser Tidephase vertikal am besten durchmischt, so daß die entnommenen Wasserproben am ehesten als repräsentativ angesehen werden können. Eine ideale, vollständige Durchmischung (d.h. eine homogene Verteilung der Schwebstoffe) ist allerdings zu keiner Tidezeit gegeben.

Es existieren demnach relativ lange Zeitreihen von Schwebstoff- und Nährstoffdaten, welche die über die Jahre auftretenden natürlichen Variabilitäten und ihre Trends gut wiedergeben. Da die Messungen nur zu einer bestimmten Tidephase stattfanden, wird ein "eingeschränkter" Zustand der Unterelbe auf einem zeitlich groben, aber in Längsrichtung relativ feinen Gitter wiedergeben. Zum Beispiel lassen diese Meßdaten die Abhängigkeit der gemessenen Parameter vom Oberwasserabfluß sehr klar erkennen.

Im Hinblick auf die flächenhafte Darstellung erfolgte die Auswahl der verwendbaren GKSS- Daten nach folgenden Kriterien: Die Meßdaten zur Beschreibung der Schwebstoffverteilung im Querprofil sollten mindestens eine volle Tidephase umfassen und einer bestimmten Oberwasserabflußklasse zuzuordnen sein. Die von GKSS durchgeführten Messungen sind zwar räumlich auf einige Flußquerschnitte begrenzt, d.h. es gibt in der Regel nur wenige Stellen der Elbe, die über eine volle bzw. mehrere Tiden beprobt wurden, sie beschreiben aber jeweils einen Querschnitt der Unterelbe mit hoher räumlicher (lateral wurden die Daten kontinuierlich und vertikal an einzelnen Positionen registriert) und zeitlicher Auflösung; sie geben deshalb Aufschluß über die Verteilung aller gemessenen Parameter quer zum Strom. Die Messungen bzw. Beprobungen fanden ab 1984 in unregelmäßigen zeitlichen Abständen zu jeweils unterschiedlichen Jahreszeiten und Oberwasserabflüssen statt.

Die sinnvolle Verknüpfung der ARGE-Elbe-Längsprofildaten mit den Querprofildaten der GKSS ermöglichte somit die in Kap. 1.1 geforderte flächendeckende Beschreibung der gemessenen Schwebstoffverhältnisse. Die Bedingung, bei vergleichbaren Randbedingungen eine genügend hohe Anzahl an Meßdaten zur Verfügung zu haben, erfüllten nur die bei niedrigem Oberwasserabfluß (Q0 < 500 m3/s) genommenen Proben (Kap. 3.3.2.1). Weiterhin existieren Daten aus Schwebstofflängsprofilmessungen über je einen vollen Tidezyklus, bei denen gleichzeitig Informationen über die Tiefenverteilung gewonnen wurden (Kap. 3.3.1.3).

Die Sauerstoff- und Nährstoffbetrachtungen stützen sich, wie bereits oben beschrieben, primär auf die Datensätze der ARGE Elbe. Zur Ermittlung der vereinbarten statistischen Ist-Zustandsszenarien (s. o. g. Selektionskriterien) wurden die von der Wassergütestelle Elbe durch M. Bergemann zur Verfügung gestellten Originaldaten in einer eigenen Datenbank reorganisiert (s. Anhang zu den MATERIALBÄNDEN II a und b) und folgendermaßen selektiert: Für jeden einzelnen Parameter wurden Datenblätter mit einer Gesamtübersicht erstellt, in der die Mittelwerte aller Längsprofilmessungen der Wassergütestelle Elbe für den Zeitraum 1980 - 1993 aufgeführt sind, und zwar:

  • unselektiert (1. Spalte "Jahresmittel");
  • zur Quantifizierung der Wirkungen biologischer Faktoren in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe Hydrobiologie (Prof. Dr. Kausch) nach Sommer- und Winterhalbjahr (Monate April bis September sowie Oktober bis März) getrennt ausgewertet (2. Spalte);
  • innerhalb des Sommer- und Winterhalbjahres jeweils nach den Oberwassersituationen < 500 m3/s, 500 bis 900 m3/s und > 900 m3/s selektiert (Spalten 3 und 4).

Der Elbabschnitt oberhalb des Wehres Geesthacht (s. Karte 1) wurde zusätzlich in die Analyse mit einbezogen, um ein vollständiges Bild über mögliche Veränderungen der Meßwerte im Längsprofil des gesamten Untersuchungsgebietes zu erhalten. Er ist auf den Datenblättern als Untersuchungsabschnitt "vor 1" bezeichnet. Nur unter Einbeziehung dieser Daten aus der Mittelelbe läßt sich beispielsweise am Parameter 'Sauerstoff' der Belüftungseffekt (d.h. die Anreicherung des von oberstrom kommenden Wassers mit Sauerstoff) des Wehres Geesthacht zeigen. Zusätzlich zu dieser Gesamtübersicht der einzelnen Untersuchungsabschnitte ist die Datenanalyse für jeden einzelnen Untersuchungsabschnitt noch weiter vertieft worden:

  • Auf einem weiteren Datenblatt sind jeweils einzeln die Monatsmittelwerte für den gesamten Meßzeitraum und für die entsprechenden Sommer- und Winterhalbjahre aufgeführt, mit Angabe der Standardabweichung sowie den während dieser Zeit aufgetretenen Minimum- und Maximumwerten. Zusätzlich ist die Häufigkeitsverteilung aller Einzelwerte auf die unterschiedlichen Wertstufen dokumentiert.
  • Auf den jeweils folgenden Datenblättern sind die zuvor getrennt für die drei Oberwassersituationen errechneten Mittelwerte analog jeweils jahreszeitbezogen auf einem Datenblatt "Monatsmittel '80 - '93 Sommer" und "Monatsmittel '80 - '93 Winter" dargestellt.

2.2.2 Materialumlagerungen

Die Aussagen zu den Materialumlagerungen beruhen, wie erwähnt, auf den Tabellen der Baggermengen. Die Beschreibung der "Wasserbaulichen Umlagerungen" erfolgt deshalb entlang der Baggerabschnitte der verschiedenen Ämter; diese Abschnitte entsprechen nicht der unter Kap. 2.1 angeführten Einteilung.

Zusammenhänge zwischen Schwebstofftransport und wasserbaulichen Materialumlagerungen bzw. Unterhaltungsbaggerungen werden seitens der Ämter nicht systematisch untersucht. Das Gutachten stützt sich ausschließlich auf Rohdaten (Protokolle zur Baggerung und Umlagerung) der zuständigen Dienststellen. Veröffentlichungen zu dieser Thematik sind für das Untersuchungsgebiet nur in eingeschränktem Umfang bekannt (Kap. 6.8; MATERIALBAND II b).

Für Teilbereiche des Untersuchungsgebietes sind Aussagen zur Sedimentation verfügbar (Hafen Hamburg; Häfen Glückstadt, Brunsbüttel und Cuxhaven). Für die übrigen Bereiche der Unter- und Außenelbe sind keine Sedimentationsuntersuchungen aus den letzten 15 Jahren bekannt. Auf den Zusammenhang zwischen Morphologie und Umlagerungsquantitäten wird in zwei Publikationen von DAMMSCHNEIDER (1983) eingegangen.

Begleitende Meßdaten - insbesondere Strömungsdaten - zu den amtlich festgestellten wasserbaulichen Umlagerungsmengen liegen, wenn überhaupt, allenfalls episodisch vor. Es ist daher methodisch nahezu unmöglich, Schlüsse auf langzeitige Prozesse der natürlichen Sedimentation und damit Unterhaltungsbaggerungen (in der Fahrrinne) zu ziehen. Hinzu kommt, daß sowohl die Transportwege als auch die Herkunft der zu baggernden Materialmengen unbekannt sind.

Interpretativ verwendbar ist auch für diesen Bereich des Gutachtens der Oberwasserabfluß. Bekannt ist, daß damit nur eine Teilhilfe bei der Interpretation der Vorgänge zwischen Sedimentation, Unterhaltungsbaggerung, wasserbaulicher Umlagerung und Schwebstofftransport gegeben ist. Die Grenzen einer Bewertung über den Faktor "Oberwasser" sind spätestens dort erreicht, wo der Einfluß aus dem Nordseeraum (Tide, Windlagen, Dichtestrom) dominant wird; dies ist in etwa ab Strom-Kilometer 705 der Fall. Aber auch die verwaltungstechnischen Randbedingungen in Art und Durchführung der Unterhaltungsbaggerungen (Zeitverzüge etc.) lassen teilweise Streuungen in der Oberwasserkorrelation auftreten, die in der Summe aller unterlagerten Natureinflüsse nicht interpretierbar sind.

Die in den vorangegangen Abschnitten mehrfach erwähnten oberflächennahen Schwebstoffbeprobungen der ARGE-Elbe wurden zwar in regelmäßigen Zeitabständen und an zahlreichen Punkten des Untersuchungsgebietes durchgeführt; die Daten sind jedoch hinsichtlich der entscheidenden Vorgänge innerhalb der Wassersäule nur bedingt verwendbar. Die Messungen der GKSS (nach dem sog. BILEX-Konzept; s. MICHAELIS et al. 1988) sowie vom Amt Strom- und Hafenbau (nach der sog. CUXSAMPLER-Methode; s. CHRISTIANSEN 1985) wurden andrerseits zwar tiefenintegrierend vorgenommen, liegen jedoch nur für relativ wenige Querschnitte vor, so daß keine direkte flächenhafte (es sei denn über Interpolationsverfahren, s.o.) bzw. zeitübergreifende Bewertung möglich ist.

Somit handelt es sich beim größten Teil der in Kap. 3.6 kurz zusammengefaßten Fakten um erstmalig vorgelegte, bisher weder veröffentlichte noch bewertete Ergebnisse. Hiermit rechtfertigt sich eine etwas umfangreichere Darstellung dieses Materials (MATERIALBAND II b).

2.3 Parameter und Variablen des Schwebstofftransportmodells

Das von GKSS betriebene 2D-Schwebstofftransportmodell berechnet den advektiven Transport von Schwebstoff durch die Strömung (unter Einbeziehung der turbulenten Diffusion) und den Stoffaustausch zwischen Wassersäule und Gewässersohle. Für die Advektion werden die beiden aus dem hydrodynamischen Modell der BAW-AK gelieferten horizontalen Strömungskomponenten berücksichtigt; hierfür genügt der vertikale Mittelwert bzw. das Vertikalintegral der Schwebstoffkonzentration. Für die Wechselwirkung mit dem Boden wird eine Vertikalverteilung des Schwebstoffs bzw. einer Schwebstoff-Fraktion berechnet. Dieses Vertikalprofil ist bestimmt durch

  • den turbulenten vertikalen Mischungskoeffizienten in Abhängigkeit von Strömung und Wassertiefe,
  • die Sinkgeschwindigkeit der Schwebstoff-Fraktion,
  • die aktuelle Wassertiefe und
  • die mittlere Schwebstoffkonzentration bzw. das Gesamtinventar des Schwebstoffs in der Wassersäule.

Aus dem Vertikalprofil ergeben sich bodennahe Konzentrationen, die im Zusammenwirken mit der aktuellen Strömungsgeschwindigkeit für die Wechselwirkung mit der Sohle maßgebend sind. Die Prozesse sind im einzelnen: Deposition und Resuspension, Erosion und Konsolidierung. Für die vertikalen Austauschprozesse ist der Schwebstoff allein durch seine Sinkgeschwindigkeit charakterisiert. Für die Rechnung wird eine Aufteilung des Schwebstoffs in mehrere Fraktionen (s.o.) nach Sinkgeschwindigkeitsklassen vorgenommen. Die relativen Anteile der einzelnen Fraktionen wurden nach Erfahrungswerten aus GKSS-Feldmessungen in der Unterelbe festgelegt: dabei waren über einen Zeitraum von über 10 Jahren (1982 - 1994) Sinkgeschwindigkeitsmessungen nach der Owen-Methode (PULS 1986) im gesamten Tideelbeabschnitt durchgeführt worden. Auch für die kritischen Sohlschubspannungen liegen bei GKSS umfangreiche Messungen an Elbsedimentkernen über den genannten Zeitraum vor. Auf der Grundlage dieser Daten wurden als kritische Schubspannungen für die Deposition von Schwebstoff sowie für die Resuspension von deponiertem Feststoff Werte von 0,21 N/m2 gewählt. Die kritische Schubspannung für die Erosion konsolidierten Sediments lag bei 2.0 N / m2. Als Konsolidierungsrate wurde ein Wert von 10-7 s-1 angenommen, d.h. innerhalb von 80 Tagen konsolidiert die Hälfte des am Boden deponierten Materials.

Auf der Grundlage des 50-m-Gitters der BAW-AK für die Unterelbe sind auf NN bezogene Wassertiefen, Wasserstände und Strömungsgeschwindigkeiten für verschiedene Szenarien (s. Kap. 1.2) vorgegeben. Auf dem gleichen Gitter operiert das Schwebstofftransportmodell. Dabei werden in Analogie zur Hydrodynamik Schwebstoffkonzentrationen im Zentrum einer Gitterzelle und die Stoffflüsse an deren Rändern berechnet. Die Zustandsgrößen des Modells sind

  • die Massen der 4 Schwebstoff-Fraktionen in der Wassersäule über einer Einheitsfläche der Gewässersohle in g/m2,
  • die an der Sohle deponierten Massen der 4 Fraktionen des Schwebstoffs in g/m2, im folgenden auch "Bodenbelegung" genannt,
  • die Masse des an der Sohle konsolidierten Sediments in g/m2.

Damit ergeben sich 9 Variablen pro Gitterzelle. Zusätzlich ist die Modellierung sohlnahen Transports (s. Kap. 1.2) mit einem advektiv-diffusiven Ansatz implementiert, wobei als Grenze zwischen sohlnahem Transport und Schwebstofftransport ein Abstand von 5 cm über der Gewässersohle definiert und angenommen wird, daß der sohlnahe Transport mit 20% der aktuellen, vertikal gemittelten Strömungsgeschwindigkeit vonstatten geht.

Tab. 1: Sinkgeschwindigkeitsfraktionen der Schwebstofftransportmodellierung

Fraktion

Median-Sinkgeschwindigkeit

Massenanteil

1

3,0 x 10 -5 m/s

30%

2

3,0 x 10 -4 m/s

35%

3

1,4 x 10 -3 m/s

17,5%

4

4,0 x 10 -3 m/s

17,5%

Das Gesamtgebiet wurde - in genauer Entsprechung der Einteilung für die hydrodynamische Modellierung (BAW-AK Gutachten Nr. 9353 3387) - in 19 Teilgebiete ("Kacheln") aufgeteilt. Es besteht aus ca. 4 Mio. Gitterpunkten, von denen 340 000 im Wasser oder in Watten liegen. Diese "feuchten Gitterpunkte" bilden das Modellgebiet, für das aufgrund vorgegebener Anfangs- und Randbedingungen die Zeitentwicklung der Konzentrationsverteilungen berechnet wird.

Durch das Fehlen flächendeckender, synoptischer Datensätze ergaben sich Probleme bei der Vorgabe "vernünftiger" Anfangsbedingungen für alle Zustandsgrößen und für jeden Gitterpunkt. Sie wurden folgendermaßen gelöst: Für jedes Ist-Zustands-Szenario aus dem Jahr 1992 wurde das zeitlich am nächsten liegende Längsprofil aus der Serie der monatlichen (oberflächennahen) Fahrrinnen-Beprobungen der ARGE Elbe verwendet. Die zugehörigen Konzentrationen im Querschnitt (d.h. lateral und vertikal) wurden aus geeigneten Querschnitts- und Pontonmessungen der GKSS abgeleitet. Da für die Ausbau-Szenarien genau die gleichen Anfangsbedingungen zur Anwendung kamen, ist so durch Differenzenbildung entsprechender Tidenmittel (s.a. BAW-AK Gutachten Nr. 9353 3387) ein systematischer Vergleich von Ist- und Ausbauzustand möglich.

Das Ergebnis der Modellierung sind somit Aussagen über Trends, wie z.B. die lokale Veränderung des Lichtklimas (Trübung), von Erosion und Deposition, und in welchen Maße daraus z. B. eine Zu- oder Abnahme des stromauf gerichteten Feststoff-Transports resultiert. Aus der Interpretation der Modellergebnisse sind daher auch Abschätzungen über künftigen Schlickfall möglich.

 

Fußnoten:

2.) WSÄ Lauenburg, Hamburg, Brunsbüttel, Cuxhaven, ALW Stade, ALW Itzehohe, Amt für Strom- und Hafenbau Hamburg, Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie, die Fachbereiche: Meereskunde (SFB 327 Tideelbe), Geographie, Geologie, Hydrobiologie, Biogeochemie der Universität Hamburg, ARGE Elbe, GKSS, BfG Koblenz.

3.) Schwebstoff (SPM), Trübung (Trübg.), Salinität (Sal.), Leitfähigkeit (Leitf.), Temperatur (T), Partikelgröße (Partgr.), Sinkgeschwindigkeit (Sinkg.), Mineralgehalt (Ming), Glühverlust (Glv. bzw. POC), Schwermetall-gehalt (chemische Symbole), Sauerstoffgehalt (O, BSB, CSB), pH-Wert, Ammonium (Ammon.), Nitrit, Nitrat, DOC, IC, bakterielle Biomasse (bakt. Bio.), bakterielle Aktivität (bakt. Aktiv.), Pigmente (Pigm.), Chlorophyll (Chloroph.), Primärproduktion (Prim. Prod.).

4.) Die Ergebnisse der durchgeführten Datenrecherche befinden sich in ausgedruckter Form im Anhang zu den MATERIALBÄNDEN II a und b.

5.) Die Proben wurden mit einem Spezialschöpfer in Strommitte im Abstand von jeweils ca. 5 km entlang der gesamten Unterelbe vom Hubschrauber aus genommen. Die Schwebstoffdaten sind Ergebnisse von Filtrationen, die von 1980 an nach dem gleichen Schema durchgeführt wurden (Filter: Whatman GF/C, DIN 38409 Teil 2 oder vergleichbar). Die Bestimmungsarten der Gewässergüteparameter sind in dem Gewässergütebericht der ARGE Elbe 1993 ausführlich beschrieben.