Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

III.1.1.1.2  Zur Ermittlung der ausbaubedingten Wasserstandsänderungen

Die Kenntnis der ausbaubedingten Änderungen der Tidescheitelwasserstände ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Neben dem bereits einleitend im Kapitel III.1.1.1 beschriebenen Einfluss der mittleren Tidewasserstände auf die Lebensbedingungen für Flora und Fauna im Uferbereich kann eine längerfristig andauernde stetige Veränderung der mittleren Tidewasserstände auch ein Indiz für die mögliche Instabilität des Sockels sein, die gem. Planfeststellungsbeschluss ggf. (d. h. falls dies auch durch Peilungen bestätigt wird) durch eine künstliche Materialzugabe zu kompensieren wäre.

Um ausbaubedingte Wasserstandsänderungen ermitteln zu können, wurde im Planfeststellungsbeschluss ein umfangreiches Untersuchungsprogramm hinsichtlich der Erhebung und Auswertung von Wasserstandsdaten angeordnet. Auch hinsichtlich der anzuwendenden Methoden zur Analyse der Wasserstandsganglinien und Vergleich mit definierten Schwellenwerten enthält der Beschluss konkrete Angaben.

Das gemäß den Auflagen zum Planfeststellungsbeschluss anzuwendende Verfahren zur Ermittlung der "ausbaubedingten Änderungen der mittleren Scheitelwasserstände", welches auch schon bei vorangegangenen Ausbaumaßnahmen sowohl an Unter- und Außenelbe (-13,5 m KN-Ausbau) als auch bei verschiedenen Vertiefungen der Unter- und Außenweser angewendet wurde, basiert auf einem Ansatz nach NIEMEYER (1995). Das Verfahren wird im Anlagenband in Kapitel A.5.1 erläutert.

Wie die vergangenen Beweissicherungsberichte zeigen, verlief die Auswertung der Wasserstandsdaten bisher nicht ohne Diskussionen. Derzeit erfolgt die Auswertung der Daten mit einem von NLWKN vorgeschlagenen Referenzzeitraum (11/96 - 10/99). Die Ergebnisse befinden sich im Rahmen der in der Umweltverträglichkeitsprüfung prognostizierten Schwellenwerte. Vor Veröffentlichung der Untersuchungen werden diese mit den Fachabteilungen der Einvernehmensbehörden der Länder diskutiert, um eine abgestimmte Interpretation in den nächsten BS-Bericht zu übernehmen.

Schwellenwerte für ausbaubedingte mittlere Scheitelwasserstandsänderungen

Im PF-Beschluss wurde festgelegt:

"Wird an einem oder mehreren Pegeln der jeweils definierte Schwellenwert im 5-jährigen Mittel überschritten, so sind vom TdV Neuberechnungen in wasserwirtschaftlichen, naturschutzfachlichen und landeskulturellen Bereichen zu veranlassen und Folgewirkungen zeitnah zu kompensieren oder auszugleichen."

Hinsichtlich der Tidewasserstände werden zur Definition der Schwellenwerte die Prognosen der BAW in der UVU herangezogen.

Bei den Modellierungen zur Ermittlung der maßnahmebedingten Änderungen der Wasserstände wurden verschiedene Tidebedingungen in Verbindung mit verschiedenen Oberwasserzuflüssen und Windsituationen untersucht. Bei den Modelluntersuchungen ergab sich daher eine gewisse Bandbreite der durch den Fahrrinnenausbau hervorgerufenen Wasserstandsänderungen. In der UVU wurde prinzipiell vom ungünstigsten Fall der errechneten ausbaubedingten Änderungen ausgegangen, also von den Maximalwerten der ermittelten MTnw- und MThw-Änderungen ("äußerer Rand der Änderungsbänder"). Zusätzlich ist vom Fachgutachter ein auf der sicheren Seite liegender "worst case"-Fall abgeschätzt worden.

In der UVU wurden die relativ stärksten ausbaubedingten Wasserstandsänderungen für den Hamburger Elbabschnitt vorhergesagt. Nach den Prognosen war hier mit einem Anstieg des mittleren Tidehochwassers um bis zu 4 cm ("worst case": 5 cm) und einem Absinken des mittleren Tideniedrigwassers um bis zu 7 cm ("worst case": 10 cm) zu rechnen (Abbildung III.1.1.1.2-1).

Abb. III.1.1.1.2-1:         UVU-Prognose der ausbaubedingten Wasserstandsänderungen

 

Bei wasserwirtschaftlichen Fragestellungen sind die so genannten "worst case"-Prognosen und bei allen anderen Fragestellungen die Rechenwerte der unteren bzw. oberen Änderungsbänder als Schwellenwerte definiert.

Während sich die Wasserstandsänderungen beim vorangegangenen 13,50 m‑Ausbau in weiten Teilen der Unterelbe im Dezimeter-Bereich bewegten, hat sich die jetzige Beweissicherung mit Wasserstandsänderungen auseinander zu setzen, die im Zentimeterbereich liegen und damit deutlich unterhalb der natürlichen Variabilität.

 

 

III.1.1.1.3  Auswirkungen auf Sturmflutwasserstände

Die hydronumerischen Modellrechnungen im Rahmen der UVU ergaben, dass Sturmflutscheitelhöhen durch den Fahrrinnenausbau kaum verändert werden. So wurde für die Tideelbe ein ausbaubedingtes Ansteigen der Hochwasserstände bei "normalen" schweren Sturmfluten um maximal 2,5 cm berechnet, bei der extremen Bemessungssturmflut sogar nur um rund 1 cm (Abbildung III.1.1.1.3-1).

Abb. III.1.1.1.3-1:         UVU-Prognose der ausbaubedingten Wasserstandsänderungen bei Sturmfluten

 

Hinsichtlich der Untersuchung ausbaubedingter Wasserstandsänderungen im Zusammenhang mit Sturmflutereignissen sieht der Planfeststellungsbeschluss als Auflage im Beweissicherungsverfahren verschiedene Betrachtungen vor.

Einerseits sind die gegebenenfalls beobachteten Veränderungen der Sturmflutscheitelhöhen nach dem Fahrrinnenausbau durch die Änderungen des Staus anhand eines Ansatzes des NLÖ-FSK (NIEMEYER, 1997) nachzuweisen. Hierbei wird der Stau im Revier über den Stau an der Mündung und das Oberwasser korreliert. Hinsichtlich der Sturmflutscheitel wird ein Schwellenwert für erhebliche Abweichungen von der Prognose über die Summe der ausbaubedingten Änderung des MThw und des Staus gebildet. Dieser Schwellenwert beträgt in Anlehnung an die Prognosen der BAW 3 cm.

Zunächst sollen hier aber die andererseits geforderten Untersuchungen zur Ermittlung der Eintrittshäufigkeiten von Sturmflutwasserständen vorangestellt werden, die bereits einen guten Eindruck über die Verhältnisse in den vergangenen Jahren vermitteln.

 

Eintrittshäufigkeiten von Sturmflutwasserständen

Gemäß Planfeststellungsbeschluss sind im Zuge der Beweissicherung für die Pegel

- Helgoland

- Cuxhaven-Steubenhöft

- Brunsbüttel

- Kollmar

- Schulau

- St. Pauli und

- Zollenspieker

 

die Eintrittshäufigkeiten von Sturmflutwasserständen nach DIN 4049 mit der Jahresreihe 1956 bis 1995 (Bezugszeitraum) zu vergleichen. Nach DIN 4049 werden Sturmfluten nach der statistisch ermittelten durchschnittlichen Eintrittshäufigkeit gekennzeichnet. Danach tritt

- eine "leichte" Sturmflut durchschnittlich 0,5 bis 10 Mal pro Jahr,

- eine "schwere" Sturmflut durchschnittlich 0,05 bis 0,5 Mal pro Jahr und

- eine "sehr schwere" Sturmflut durchschnittlich seltener als 0,05 Mal pro Jahr auf.

 

Bisher wurde ein Verfahren verwendet, welches auf Tidehochwasserwerte basierte. Auf Anregung Niedersachsens wird nun ein Verfahren angewendet, welches auf den Windstauwerten beruht. Die Berechnung von Windstau erfolgt durch Abzug des MThw vom eingetretenen Thw PN. Sowohl die Berechnung der Daten des Bezugzeitraums als auch die zu untersuchenden Daten werden mit einem MThw ermittelt, welches ein gleitendes 5 Jahresmittel berechnet wird. Das Windstauverfahren ist vorzuziehen, da es unbeeinflusst von den über den Bezugszeitraum veränderten Thw Werten ist. Eine genauere Beschreibung beider Verfahren ist auf der Materialien DVD zu finden.

Die auf Basis der Zeitreihe 1956/95 ermittelten Staugrenzhöhen für "leichte", "schwere" und "sehr schwere" Sturmfluten sind für die oben genannten Pegel in Tabelle III.1.1.1.3-1 aufgeführt. Dort finden sich auch die Überschreitungen der ermittelten Grenzhöhen für die gewässerkundlichen Jahre ab 1996.

"Sehr schwere" Sturmfluten sind demnach seit 1996 an keinem Pegel zu verzeichnen gewesen. Die zeitliche Verteilung "schwerer" Sturmfluten ist an den zu betrachtenden Pegeln ausgesprochen ähnlich: an allen Pegeln sind die entsprechenden Grenzhöhen einmal 1999 und zweimal (bis auf Cuxhaven) 2000 überschritten worden, nur in Kollmar, Schulau, St. Pauli und Zollenspieker sind dagegen auch 2002 „schwere Sturmfluten“ aufgetreten.

Die Entwicklung "leichter" Sturmfluten seit 1996 wird in Abbildung III.1.1.1.3-3 zusätzlich veranschaulicht.

Abb. III.1.1.1.3-3:         Anzahl "leichter" Sturmfluten nach DIN 4049 (Basis: Zeitreihe 1956/95) an den Pegeln Helgoland, Cuxhaven, Brunsbüttel, Kollmar, Schulau, St. Pauli und Zollenspieker seit 1996

 

Eine geringe Zunahme der „leichten Sturmfluten“ 2002 und 2005, die im Bereich der natürlichen Schwankungen liegt, ist zu erkennen.

Eine Folgewirkung der Fahrrinnenanpassung 1999/2000 auf die Eintrittshäufigkeiten von extremen Windstaus lässt sich auf Basis der bis heute vorliegenden Daten nicht ableiten.

Tab. III.1.1.1.3-4:          Eintrittshäufigkeiten von Sturmflutwasserständen nach DIN 4049 (Basis: Jahresreihe 1956 bis 1995) für die Pegel Helgoland, Cuxhaven, Brunsbüttel, Kollmar, Schulau, St. Pauli und Zollenspieker ab 1996

Ermittlung ausbaubedingter Änderungen von Stauwerten nach Niemeyer (1997)

Bei diesem Verfahren soll in ähnlicher Weise wie bei dem Niemeyer (1995)‑Verfah­ren die Veränderung der so genannten Stauwerte während einer Sturmflut nach dem Ausbau untersucht und quantifiziert werden. Als Stau versteht sich hier die Differenz zwischen dem eingetretenen und einem mittleren Hochwasserscheitel, also eine Akkumulation von im wesentlichen Windstau sowie astronomischen Einwirkungen, Fernwellen und sonstigen externen Einflussgrößen. Auch hier geht der Grundgedanke davon aus, dass eine nach dem Eingriff ggf. beobachtete Abweichung von der funktionalen Approximation, die für einen im Planfeststellungsbeschluss nicht näher definierten Zeitraum vor dem Ausbau aufgestellt wird, einzig und allein dem Ausbau zuzuschreiben ist.

Grundsätzlich ist neben der mangelnden Berücksichtigung natürlicher Ursachen, die für Änderungen im Sturmflutverlauf verantwortlich gemacht werden müssen, eine gewisse Abhängigkeit vom Eintreten statistischer Zufallsgrößen (Sturmflutwasserstände) im Untersuchungszeitraum zu bemängeln. Erst bei Vorliegen einer ausreichenden Grundgesamtheit wird eine empirische Beziehung unempfindlich gegenüber einzelnen Ausreißern. Bis diese Grundgesamtheit in ausreichendem Maße vorliegt (statistische Tests können dabei Auskunft über den Vertrauensbereich einer verfügbaren Datenbasis geben), können viele Jahre ohne nennenswerte Sturmflutereignisse ins Land gehen, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat. Je länger die zu betrachtende Maßnahme zurückliegt, desto schwieriger wird aber auch eine eindeutige ursächliche Zuordnung einer sich möglicherweise abzeichnenden Veränderung.

Ohne die hierzu durchgeführten Auswertungen schon als abgeschlossen bezeichnen zu wollen, sollen im Folgenden der angesprochenen Problempunkte am Beispiel der Stauentwicklung für den Pegel St. Pauli vorgestellt werden.

Die Beziehung zwischen den Stauwerten an einem vom Oberwasserabfluss beein­flussten Revierpegel und dem externen unbeeinflussten Referenzpegel ist um einen Term zur Berücksichtigung des Oberwassereinflusses zu erweitern. In sehr guter Nä­herung kann dieser Einfluss, wie auch jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Sturm­flutvorhersageverfahren WADI III gezeigt haben, durch einen linearen Term beschrie­ben werden. Damit kann der Stau an einem Pegel der dem Einfluss des Oberwas­sers unterliegt, durch die Funktion:

näherungsweise beschrieben werden, wobei

 einen mittleren Oberwasserabfluss der vergangenen 2-6 Tage darstellt. Diese Mittelung ist sinnvoll, weil die oberwasserbedingte Wasserstandshebung an einem Pegel im Tiderevier nicht vom aktuellen Wert in Neu Darchau abhängig ist. Dieser erreicht z. B. Hamburg erst rd. 2 Tage später.

Wenn im Zuge der Erläuterungen zu den nachfolgenden Darstellungen von oberwasserabflussnormierten Stauwerten am Pegel St. Pauli gesprochen wird, dann ist damit die Differenz STRP – bRP ·QND gemeint. Zur Veranschaulichung der effektiven Streubreite und Kontrolle der Funktionsgüte des Steigungskoeffizienten

 ist diese Form der Darstellung am besten geeignet.

Für die in Abbildung III.1.1.1.3-4 (links) aufgetragenen 103 Ereignisse im Zeitraum von 11/1989 bis 04/1999 mit Stauwerten am Referenzpegel Cuxhaven von > 115 cm ergibt die durchgeführte Regressionsanalyse für bRP einen Wert von 0,01 oder 10 cm/ 1000 m³, der auch dem im WADI III verwendeten Wert entspricht. Der mittlere Fehler der Streuung beträgt 17 cm.

In der Abbildung III.1.1.1.3-4 (rechts) sind zusätzlich die Ereignisse nach der Fahrrinnenanpassung für den Zeitraum 11/99 - 10/05 dargestellt. In diesen Zeitraum fielen weitere 48 Ereignisse mit Stauwerten > 115 cm am Referenzpegel Cuxhaven. Da bei diesen Darstellungen der Oberwassereinfluss bereits herausgerechnet ist, wird die Höhe des mittleren Abflusses am Pegel Neu Darchau durch die Größe der Symbole repräsentiert, um mögliche systematische Auffälligkeiten ggf. leichter identifizieren zu können.

Abb. III.1.1.1.3-4:         Beziehung zwischen dem Stau am Pegel Cuxhaven und St. Pauli vor und nach dem Ausbau.

 

Die Regressionsgerade für die Ereignisse nach dem Ausbau liegt exakt über der für die Daten vor dem Ausbau, d. h. der funktionale Zusammenhang zwischen dem Stau in St. Pauli und Cuxhaven ist gegenüber dem Zeitraum vor dem Ausbau unverändert. Die mittlere Abweichung der 48 Ereignisse von der funktionalen Approximation für die Ereignisse vor dem Ausbau beträgt derzeit +0,3 cm.

Damit zeigt auch diese Auswertung, dass auf Basis der bisherigen 48 eingetretenen Sturmflutereignisse nach der Fahrrinnenanpassung 1999/2000 statistisch keine Änderungen der Stauwerte zu beobachten sind.