Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

A.5                      Berechnungsmethoden

A.5.1                   Verfahren nach NIEMEYER (1995)

Glättung der Zeitreihen (Smoothing)

Bei der Analyse der langfristigen Wasserstandsentwicklungen (vgl. Kapitel III.1.1.1.1 im Teil A - Textband) wird aus den Monatsmittelwerten der Scheitelwasserstände ein gleitender Durchschnitt gebildet, der die vorhandene Zeitreihe glättet und dadurch zeitliche Entwicklungen der Zeitreihe leichter erkennen lässt. Bei der Berechnung eines gleitenden Durchschnitts wird jeder Datenpunkt durch das arithmetische Mittel der benachbarten Datenpunkte innerhalb eines gewählten Zeitfensters ersetzt. Dieses Verfahren ist gleichwertig zur Anwendung eines Tiefpassfilters. Die berechneten Datenpunkte werden bestimmt nach:

                                             (A.5 - 1)

Dabei ist n die Anzahl der benachbarten Punkte auf jeder Seite, so dass 2n + 1 der gewählte Zeitabschnitt ist. Zur Berücksichtigung der Nodaltide (T = 18,613 Jahre) wurde für das Zeitfenster eine Länge von 223 Monaten gewählt; damit ist n = 111. Die oben angegebene Formel setzt voraus, dass es jeweils 111 benachbarte Datenpunkte auf beiden Seiten gibt. Dies ist jedoch bei den ersten 9 und letzten 9 Jahren einer Zeitreihe nicht gegeben. In diesem Fall wird der geglättete Wert nur aus der Anzahl der vorhandenen Werte bestimmt. Damit sind der erste und letzte geglättete Wert identisch mit den vorhandenen Werten.

 

Gewichtetes Mittel einer Zeitreihe

Langperiodische Schwingungen innerhalb einer Zeitreihe werden bei der gewöhnlichen arithmetischen Mittelwertbildung durch die große Anzahl von gleichwertig berücksichtigten Randwerten häufig ungewollt geglättet. Bei der gewichteten Mittelwertbildung einer Zeitreihe werden daher die dem betrachteten Wert zeitlich benachbarten Randwerte mit einer zur Entfernung vom betrachteten Ereignis proportional abnehmenden Gewichtung berücksichtigt. Neben der einfachen linearen Abnahme des Einflussfaktors besteht auch die Möglichkeit durch Verwendung von quadratischen oder trigonometrischen Funktionen den unmittelbar benachbarten Randwerte gegenüber den weiter entfernten eine überproportionale Gewichtung zu verleihen.

             (A.5 - 2)

 

Linearer Trend

Zur Beschreibung eines säkularen Meeresspiegelanstieges wird in der Regel eine lineare Ausgleichsfunktion an die Zeitreihe angepasst. Der säkulare Trend beschreibt die mittlere Steigung der linearen Anpassungsfunktion, bezogen auf eine Zeitspanne von 100 Jahren. Der Vorteil einer linearen Funktion liegt in der einfachen Form der Ausgleichsgeraden, jedoch lassen sich Zeitabschnitte innerhalb einer Zeitreihe mit unterschiedlich starkem Anstiegs- oder Senkungsverhalten nicht gut beschreiben. Zu diesem Zweck kann die Zeitreihe in verschiedene Teilabschnitte unterteilt werden, für die jeweils eine Ausgleichsfunktion bestimmt wird. Die Entscheidung, welche Zeitreihenabschnitte untersucht werden, ist eine subjektive Entscheidung des Bearbeiters, die sich im Wesentlichen auf zwei Merkmale stützt.

Zum einen wird eine visuelle Überprüfung der Zeitreihe vorgenommen, bei der markante Punkte gesucht werden, an denen sich das Steigungsverhalten ändert. Dazu ist das zuvor berechnete gleitende Mittel eine nützliche Hilfestellung. Zum anderen ist darauf zu achten, dass eine Zeitspanne betrachtet wird, die ein Vielfaches der Periode der astronomischen Nodaltide (T = 18,61 Jahre) ist. Die Nodaltide ist die einzige Tide mit einer Periode ≥ 1, die einen nachweisbaren Einfluss auf das Tidegeschehen hat (JENSEN ET AL., 1992).

Um eine lineare Ausgleichsfunktion an die Zeitreihe bestmöglich anzupassen, wird die Methode der kleinsten Abstandsquadrate verwendet. Eine lineare Ausgleichsfunktion ist definiert als eine Gleichung, deren Koeffizienten linear sind:

                                                    (A.5 - 3)

In der vorliegenden Untersuchung wurden für die Pegel Helgoland und St. Pauli mehrere Ausgleichsfunktionen für eine Zeitreihe berechnet. Die visuelle Überprüfung der Zeitreihen hat ergeben, dass sich beim Pegel Helgoland ungefähr zur Mitte der '70er Jahre eine Änderung des Tideverhaltens eingestellt hat. Um die Trendänderung für den Zeitraum danach bis heute deutlicher hervorzuheben wird für dieses Ansinnen auf die o. g. Maßgabe, dass der untersuchte Zeitabschnitt ein Vielfaches der Nodaltide sein sollte, verzichtet. Im direkten Vergleich zur Entwicklung der Tideverhältnisse am Pegel St. Pauli sind ohnedies die anthropogen verursachten Änderungen gegenüber dem Einfluss einer Nodaltide dominierend.

 

Doppelsummenanalyse

Die Doppelsummenanalyse nach einem Verfahren von WEISS & WILSON (1953); DYCK(1980) wird von NIEMEYER (1995) zur Bestimmung sog. "unbeeinflusster" Zeiträume auf die Scheitelwasserstände der Revierpegel angewendet. Dabei schränkt bereits NIEMEYER (1995) die Anwendbarkeit der Doppelsummenanalyse auf die Revierpegel unterhalb Kollmars ein. Oberhalb dieser Station führe der Einfluss des Oberwasserabflusses zu keinen brauchbaren Ergebnissen.

Bei der Doppelsummenanalyse werden die mittleren Scheitelwasserstände am untersuchten Revierpegel sowie am Referenzpegel jeweils chronologisch aufaddiert und die nach jeder Addition resultierenden Summen zueinander in Relation gesetzt. Die so resultierenden Summenquotienten SQ können dann als Ganglinie über die Zeit auf getragen werden.

                             (A.5 - 4)

Verfahrensbedingt wird die Ganglinie der Quotienten SQ(t) mit fortschreitender Summation der in Relation gesetzten Parameter immer stärker geglättet, was damit zu erklären ist, dass es aufgrund der kontinuierlich zunehmenden Basis (= Summe der Scheitelwasserstände am Referenzpegel Helgoland) einer betragsmäßig immer größeren Änderung des Nenners (= Summe der Scheitelwasserstände am Revierpegel) bedarf, um in Form eines vergleichbar signifikanten Ausschlages in der Ganglinie in Erscheinung zu treten. Ein einfaches Beispiel soll dieses verdeutlichen:

Zu Beginn der Zeitreihe bspw. zum Zeitpunkt (x0+5 Mon.) sei die Zwischensumme:

                           (A.5 - 5)

Das ergibt bis dahin ein durchschnittliches MTnwRP von 360 [cm PN] und ein MTnwHEL von 375 [cmPN]. Im nächsten Monat also zum Zeitschritt (x0+6 Mon.) soll das Ergebnis betrachtet werden, dass ein Ereignis am Revierpegel mit einer Abweichung um +25 cm vom bis dahin gebildeten Durchschnitt hervorruft.

                (A.5 - 6)

Zu diesem frühen Zeitpunkt in der Ganglinie ergibt sich damit aus einer Abweichung von 25 cm ein DSQ von

. Um die Vergleichbarkeit zu wahren sollen die Durchschnittswerte beibehalten werden, aber die gleiche Betrachtung zu einem Zeitschritt (x0+ 5 Jahre) wiederholt werden. Zu diesem Zeitschritt beträgt die Zwischensumme:

                         (A.5 - 7)

Die gleiche Abweichung von +25 cm ergibt nun 4,5 Jahre später:

        (A.5 - 8)

Damit wird die gleiche betragsmäßige Änderung eines der beiden in Relation gesetzten Parameter das erste mal mit einer Steigungsänderung von 1,157% ausgewiesen, während sie einige Monate später - bei sonst gleichen Voraussetzungen - nur noch mit einer Steigungsänderung von 0,11%, also 1/10 des ersten Wertes zu Buche schlägt.

In Analogie zu diesem Beispiel kann leicht nachvollzogen werden, dass aufgrund der entsprechend höheren Werte, die beim MThw aufaddiert werden (bei Bezug auf PN ca. doppelt so groß), der gleiche Glättungseffekt schon bei der Hälfte des zurückgelegten Zeitraumes eintritt.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Relevanz des Ergebnisses von der zeitlichen Entfernung (bzw. Anzahl der Schritte) des betrachteten Ereignisses vom Startpunkt der Analyse ist aber die bei NIEMEYER (1995) vorgenommene Erweiterung des Verfahrens der Doppelsummenanalyse durch die Einführung einer so genannten Gewichtung als kritisch zu betrachten. Mit dieser individuell einstellbaren Gewichtung lässt sich definieren, bis zu welcher prozentualen Schwelle eine geringfügige Änderung noch als akzeptierte Schwankung toleriert wird und der aktuelle Wert auf den letzten Wert zurückfällt (also als konstant angesetzt wird). Erst bei Überscheiten dieser zugelassenen prozentualen Abweichung wird eine Änderung der Steigung als Sprung in der Ganglinie sichtbar.

Damit hängt das Ergebnis dieser Methode nicht nur von der Länge bzw. vom Beginn des betrachteten Zeitraumes ab, sondern vielmehr auch von der individuellen Justierung der noch akzeptierten Gewichtung, die eine Steigungsänderung indiziert und nicht zuletzt davon, ob die Daten auf NN oder PN bezogen werden. Exemplarisch ist die Anwendung der erweiterten Doppelsummenanalyse für das Thb am Pegel Kollmar in Abbildung A.5.1-1 dargestellt. Zu sehen sind die Steigung der Doppelsummenanalyse (pink), die Mittelwerte der seit einem Sprung vorangegangenen Steigungen (hellblau), die Differenz zwischen den beiden Ganglinien (dunkelblau) und die oben erläuterte Gewichtung (dunkelgrün) - hier in der Größenordnung von 1,0 % der Steigung. Die entscheidenden Punkte sind diejenigen, an denen die Differenz zwischen Steigung und Mittelwert der Steigung die Gewichtung überschreitet. An diesen Punkten verändert sich die Steigung der Doppelsumme dermaßen, dass das gewählte Kriterium überschritten wird und die Methode von vorn beginnt. Mit dieser Methode gelangt man zu den in der unteren Abbildung dargestellten Referenzzeiträumen.

Die DSA liefert in diesem Beispiel 4 Zeiträume, die als konstant ausgewiesen werden. Tatsächlich zeigt aber die pinkfarbene Gerade (Steigung der DSA), dass sich das Verhältnis der beiden Pegel zueinander in einem kontinuierlichen Prozess stetig verändert und seit Beginn der 1970er Jahre immer größer wird.

Abb. A.5.1-1:               Anwendung der Doppelsummenanalyse auf die Monatsmittelwerte das MThb am Beispiel des Pegels Kollmar

Verfahren nach NIEMEYER (1995)

Das gemäß den Auflagen zum Planfeststellungsbeschluss anzuwendende Verfahren zur Ermittlung der "ausbaubedingten Änderungen der mittleren Scheitelwasserstände", welches auch schon bei vorangegangenen Ausbaumaßnahmen sowohl an Unter- und Außenelbe (-13,5 m KN-Ausbau) als auch bei verschiedenen Vertiefungen der Unter- und Außenweser angewendet wurde, basiert auf einem Ansatz nach NIEMEYER (1995), der von folgendem theoretischen Konzept ausgeht:

Wenn die örtliche und zeitliche Variation der Wasserstände in dem Untersuchungsgebiet unmittelbar vor dem Eingriff durch eine oder mehrere vom Eingriff unabhängige Einflussgrößen funktional beschrieben werden kann, dann lassen sich mit Hilfe eben dieser Beziehung auch die fiktiven Wasserstände prognostizieren, die theoretisch ohne den Eingriff zu erwarten gewesen wären. Die Differenz dieser für den Prognosezeitraum nach dem Eingriff aus den unabhängigen Einflussgrößen berechneten hypothetischen Werte zu den tatsächlich beobachteten Wasserständen kann dann lt. NIEMEYER zur Quantifizierung der ausbaubedingten Wasserstandsänderungen herangezogen werden.

Als maßgebende Einflussgrößen zur Beschreibung der örtlichen Wasserstände an einem beliebigen Revierpegel (RP) im Ästuar mit den zuvor genannten Eigenschaften nennt Niemeyer den mittleren Tidenhub (MThb) und den mittleren Scheitelwasserstand (entsprechend der Fragestellung MTnw oder MThw) am Referenzpegel Helgoland sowie den von der Tide unbeeinflussten mittleren Oberwasserabfluss Qm. Für das Elbeästuar sind hierbei die Abflussverhältnisse am Pegel Neu Darchau oberhalb des Wehres in Geesthacht zu Grunde zu legen.

Mit der Wahl dieser drei Einflussgrößen ist einerseits die Voraussetzung gegeben, dass die unabhängigen Variablen von einem Eingriff im Regime unbeeinflusst bleiben, andererseits werden aber auch die wesentlichen kausalen Wirkparameter zumindest implizit erfasst. Denn neben der direkten Berücksichtigung des Oberwasserabflusses, werden durch die Verwendung des Tidewasserstandes und des Tidenhubs am Pegel Helgoland, unweit des Mündungsgebietes der Elbe, auch die in diesen Parametern eingeprägten astronomisch und meteorologisch bedingten Variationen, die zweifellos in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Variation des örtlichen Wasserstandes stehen, indirekt erfasst.

In dem von Niemeyer gewählten allgemeinen linearen Modell (ALM) wird die Zielgröße (der örtlich gesuchte Scheitelwasserstand MTnw bzw. MThw) am jeweiligen Revierpegel (RP) durch eine lineare Superposition der gewichteten unabhängigen Einflussgrößen dargestellt, wobei der Einfluss des Oberwasserabflusses in Neu Darchau, soweit er denn vorhanden ist, durch eine nichtlineare Gewichtung erfasst wird.

(A.5 - 9)

Für jeden zu betrachtenden Revierpegel (RP) im Ästuar müssen die Regressionskoeffizienten (aRP) bis (dRP) jeweils getrennt für die Tnw- bzw. Thw-Gleichung durch eine multiple Regressionsanalyse ermittelt werden. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde hierzu die Software LABFit V.7.2.31 © WILTON & C. P. SILVA eingesetzt.

Von besonderer Bedeutung für die statistische Aussagekraft der gewonnenen Regressionskoeffizienten ist der Zeitraum über den die Regressionsanalyse zur Bestimmung der Regressionskoeffizienten (aRP) bis (dRP) durchgeführt wird. Abgesehen von der Notwendigkeit, dass dieser Zeitraum vor dem zu betrachtenden Eingriff gelegen haben muss, stellt die Anwendung stochastischer Methoden zur Beschreibung funktionaler Zusammenhänge gewisse Anforderungen an den Umfang und die Homogenität der Datenbasis. Nur wenn die Variationen der berücksichtigten Parameter in der zu erwartenden Bandbreite in der Datenbasis abgebildet sind, können auch die Ergebnisse als repräsentativ angesehen werden. Dabei sollten aus der Analyse jeder Stichprobe innerhalb der zur Verfügung stehenden Grundgesamtheit der Daten vergleichbare Ergebnisse resultieren.

NIEMEYER (1995) weist hinsichtlich der Festlegung des „unbeeinflussten“ Bezugzeitraumes zudem darauf hin, dass die morphologischen Nachlaufwirkungen vorangegangener anthropogener Eingriffe abgeschlossen sein sollten, um das vorgeschlagene Modell sinnvoll anwenden zu können. Eine Differenzierung der aktuellen ausbaubedingten Änderungen von ggf. noch existenten morphologischen Nachlaufwirkungen zurückliegender anthropogener Eingriffe ist durch das gewählte Modell und den dabei berücksichtigten Parametern nicht abzubilden.

Die Anwendung des Verfahrens setzt somit voraus, dass sich die hydrologischen Verhältnisse im Ästuar vor dem Eingriff in einem stabilen Gleichgewichtszustand befunden haben müssen. Die Frage welche Folgen die Anwendung dieses Verfahrens auf instabile Verhältnisse bewirkt, wird bei der Bewertung der Ergebnisse hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu ausbaubedingten Folgeerscheinungen zu diskutieren sein.